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Mamablog: KindesmisshandlungWie ich Gewalt an einem Kind erlebte

Auch in der Schweiz sind immer noch viele Kinder von Körperstrafen und Demütigungen betroffen.

Als ich gestern kurz durchsaugte, signalisierte mir der Staubsauger pfeifend, dass etwas Unverdauliches in seinem Schlund steckt. Tatsächlich war es die kleine, weiche Stoffrobbe, die ich meinen Kindern damals von Sylt mitgebracht hatte. Die Robbe, die, seitdem sie von meinen Kindern mit einem kurzen «Jöööö!» empfangen wurde, ein völlig unbeachtetes Dasein fristet. Ich sackte aufs Sofa, denn dieses Kuscheltier ist mit einer Geschichte behaftet, die ich gerne mit Ihnen teilen möchte.

Unruhe im Abteil: Ein verstörender Vorfall

Es war vor zwei Jahren, als ich – gesättigt vom rauen Meer und vom Kreischen der Möwen – in Sylt den Zug bestieg, um Richtung Hamburg zu fahren. Im Abteil neben mir sassen zwei Männer in Militäruniform und ein Junge von etwa sieben Jahren. Sein Blick war auf ein Tablet gerichtet, jener der Erwachsenen im Smartphone versunken. Etwa eine Stunde lang herrschte Stille im Abteil. Dann wurde der Junge unruhig und begann auf seinem Sitz hin und her zu rutschen. Da herrschte ihn einer der Männer – offensichtlich sein Vater – an: «Sitz still!» Der Kleine gab sich Mühe, versuchte es noch einmal mit dem Tablet, gab dann jedoch auf und krabbelte auf den Schoss seines Vaters. Von diesem – keine Reaktion. Seine Arme legten sich nicht um den kleinen Körper; er reagierte erst, als sein Sohn sich an ihn schmiegte, indem er ihn grob auf den Sitz neben sich setzte. Daraufhin zog der Junge seine Schuhe aus und warf sie gegen seinen Vater. «Spinnst du? Musst du immer Ärger machen? Wie soll jemals etwas aus dir werden?», schrie der Vater und packte den Kleinen so fest am Handgelenk, dass eine kleine blutende Wunde sichtbar wurde.

Nun reichte es mir. Ich weiss nicht mehr genau, was ich zum Vater sagte, aber ich betonte, dass sein Verhalten inakzeptabel sei und seinem Sohn Schaden zufüge. In diesem Moment trafen mich zwei Blicke. Ein hochaggressiver des Vaters. Und jener des Jungen, in dem ich zu lesen glaubte: «Mach das nicht. Das macht es nur noch schlimmer!» Vielleicht habe ich mich getäuscht, doch irgendetwas in mir sagte mir, dass Reden hier nicht der richtige Weg ist. Mein Herz klopfte bis zum Hals, mein Hirn lief auf Hochtouren. Als die Tränen dem Kleinen stumm übers Gesicht liefen, holte ich die kleine Stoffrobbe aus der Tasche, die ich für meine Kinder als Mitbringsel erstanden hatte, und begann ihm mit ihr zu winken. In diesem Moment fixierte mich der Bub mit seinen Augen. Noch nie habe ich erlebt, dass ein Kind einen Blickkontakt so in sich einsaugt. Ich hielt seinem Blick stand, obwohl seine Intensität schwer zu ertragen war. Während wir uns anstarrten, ging meine Fantasie auf Reisen. Ich sah in ihm eines dieser Kinder, die überall anecken, durch Aggressionen gekennzeichnet sind und von Therapeut zu Therapeut gereicht werden, vielleicht sogar von Heim zu Heim. Vor meinem inneren Auge erschien sein Lebenslauf voller Abbrüche, Hilflosigkeit, später Kriminalität und Drogenmissbrauch. Ein Kind, ein Jugendlicher, an dem alle ratlos herumdoktern, weil niemand sein destruktives Verhalten in den Griff bekommt – ohne dass seine zugrunde liegende Sehnsucht nach Bindung und Sicherheit je genährt wird. Stattdessen erhält er in Endlosschleife die immer gleiche Message: dass er so, wie er ist, nicht in Ordnung ist, was den Kreislauf der Gewalt weiter anheizt.

Ein verpasstes Geschenk

Irgendwann kam der Junge zu mir, und wir begannen gemeinsam mit der Robbe zu spielen. Plötzlich sagte er: «Ich will sie haben!» Natürlich hätte ich ihm die Robe schenken sollen. Ich verstehe bis heute nicht, warum ich das nicht tat. Stattdessen sagte ich, dass es leider nicht möglich sei, da die Robbe für meine Kinder sei. Darauf erwiderte der Junge natürlich postwendend: «Ist mir egal. Ich mag Robben sowieso nicht», und wendete den Blick von mir ab. Als wir kurz darauf in Hamburg ankamen, verschwanden die drei in der Menge, ohne dass wir uns verabschieden konnten.

Ich aber fand keine Ruhe und durchstreifte stundenlang die Strassen Hamburgs, mit einer Robbe im Gepäck, die nicht dorthin gehörte. Das Erlebte lastete schwer auf mir, und ich fühlte meine eigene Ohnmacht. Es war schwer mitanzusehen, wie ein vermutlich selbst traumatisierter Vater keine Bindung zu seinem Kind aufbauen kann und dieses Kind wiederum traumatisiert wird, sodass die Spirale der Gewalt sich weiterdreht.

In diesem Moment wurde ich als Fremde kurzzeitig Teil dieser Dynamik und gleichzeitig von Hilflosigkeit überwältigt. Die Szene war zweifellos extrem, sicher. Dass ich die Robbe hätte schenken sollen, steht ausser Frage. Doch fragte ich mich: Hätte ich mehr tun können? Wie handeln in solch einer Situation? Wie kann man sich einmischen, ohne noch mehr Aggression auszulösen? Fragen, die uns überall auf der Strasse begegnen können. Ich danke Ihnen für Ihre Gedanken.