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KI-Musikgenerator Suno im TestObacht, die Musikwelt geht unter!

Elektronische Instrumente dürften bald von gestern sein: Suno hat das Potenzial, eine ganze Kreativwirtschaft auf den Kopf zu stellen.

Es herrscht gerade Unruhe im Musik-Milieu. Dabei bestünde Grund zur nackten Panik. Bis anhin hat die künstliche Intelligenz, was ihren musikalischen Ausstoss angeht, ja eher für Belustigung gesorgt. Zu komplex – so schien es – die Aufgabe, etwas elektronisch herbeizuhalluzinieren, was uns Menschen in Gefühlsaufwallung bringt.

Und nun also das: Seit Ende März ist die dritte Modifikation eines Musikgenerators im Internet verfügbar, der alles infrage stellt, was wir bisher über das Schaffen von Musik wussten.

Suno heisst das Programm, das im amerikanischen Cambridge erfunden und trainiert worden ist. Und schon die Slogans auf der Startseite weisen die Richtung: «Aus deinen Gedanken wird Musik», heisst es da. «Kein Instrument erforderlich, nur Fantasie.» Das haben andere Musiktools freilich auch schon versprochen, um dann Musik zu generieren, die so wertlos war, dass man sie nicht einmal in eine Telefon-Warteschleife speisen mochte.

So begrüsst einen Suno auf seiner Startseite.

Doch Suno ist anders. Ein Quantensprung, sagen alle bisherigen Zeugen. Höchste Zeit also, das Ding zu testen, mit der hehren Zielsetzung, in einem Tag ein ganzes Album zu produzieren.

Dazu muss die Pro-Version für monatlich 30 Franken abonniert werden, danach gilt es – gemäss Werbeversprechen – nur noch, die Fantasie walten zu lassen. Dies tut man in einem simplen Textfeld, das mit «Song-Beschreibung» betitelt ist. Der weitere kreative Workflow besteht darin, die «Create»-Taste zu drücken. Mehr ist da nicht. Als «Chat-GPT der Musik» wurde Suno schon bezeichnet; wir sagen, was wir begehren, das System spuckt Musik aus, die wir dann unser Eigen nennen dürfen. Ich lege also los und gedenke, den Generator bereits mit dem Eröffnungssong des Albums zum Glühen zu bringen. 

«Alma Vazia» (Bossa-Morna-Trip-Hop) – Quasi-Gefühlsechtheit auf Knopfdruck

Unser Album soll mit einem kleinen Gefühlsausbruch beginnen. Ich weise die künstliche Intelligenz an, mir eine traurige Bossa-nova-Ballade zu schreiben und diese mit der Melancholie der Morna zu kreuzen, einem Musikstil, der nur auf den Kapverdischen Inseln gespielt wird. Das Ganze soll zudem einen leichten Trip-Hop-Einschlag haben. Dazu reibe ich spöttisch die Hände, in der Überzeugung, dass die KI an diesem Auftrag kläglich scheitern wird.

Ich drücke «Create», warte einige Sekunden und bekomme zwei Song-Ideen ausgespuckt. Und? Zwar hat die Morna keinen Platz gefunden (ausser im Songtext), aber das System generiert mir tatsächlich auf Knopfdruck – neben reichlich Ausschussware – hübsche kleine Bossa-nova-Liedchen von erstaunlicher Gefühlstiefe. Die Frau, die da singt, hat ein Stimmchen wie eine chronische Melancholikerin aus Rio de Janeiro. Und die Holzgitarre begleitet mit stilechter Zurückhaltung. Leeres Schlucken. Den Song würde ich mir wohl auf meine Playlist ziehen, würde er mir von Spotify vorgeschlagen. Nach zwei Minuten endet die Bossa jäh. Wir hätten nun die Möglichkeit, das Lied zu verlängern oder eigene Textideen einzubinden. Doch wie befand einst die Gruppe The Residents, als sie ein Album mit lauter einminütiger Songs veröffentlichte? Ein herkömmlicher Popsong biete bloss eine Minute Substanz, die dann beliebig wiederholt werde. Ich belasse es also beim handlichen Zweiminüter.

«Neon Shadows» (jazziger Countrysong) – Suno bockt

Seit Beyoncé wissen wir, dass gerade besondere Aufmerksamkeit erhält, wer sich der Countrymusik zuwendet. Was liegt also näher, als die Suno-KI zu bitten, einen leicht jazzigen Country-Track zu generieren. Und zwar zum in Country-Kreisen eher selten bewirtschafteten Thema intolerante Rednecks in Texas. Der Generator überlegt kurz und verweigert den Auftrag. Er verstosse gegen die Suno-Richtlinien. Ich ersetze die «Rednecks» mit «intolerante Menschen in Texas», und schon spuckt uns die Maschine ein paar Lieder aus. Sie klingen wie Norah Jones mit aufgesetztem Cowboyhut. Und die Text-Abteilung ist um Deeskalation bemüht, indem sie folgende Zeilen dichtet: «People stuck in their ways / With minds closed tight / But love don't discriminate / It's a bright, shining light». Ich gerate ins Schunkeln. Und ins Staunen. Mein Country-Liedchen klingt lockerer und netter als alles, was sich Beyoncé auf ihrem Hit-Album hat zusammenproduzieren lassen.

«City Streets» (UK-Grime) – Rappen muss Suno noch lernen

Musikalische Fähigkeiten sind in der Welt von Suno explizit nicht erforderlich. Es geht vielmehr um ein Talent, das in der künftigen Welt wichtiger sein wird, als einen geraden Satz schreiben zu können: das Prompten, also das genaue Beschreiben, was man von der KI will. Ich versuche dem Album ein bisschen juvenile Hip-Hop-Hippness angedeihen lassen. Dieser Part verläuft erstaunlich harzig. Rappen ist offenbar schwieriger, als ein Country-Liedchen zu singen. Ich fordere einen UK-Grime-Song, Refrain auf Portugiesisch. Suno macht daraus einen distopischen Trap-Track. Nichts, was die Hip-Hop-Polizei feiern würde. Aber immerhin. Suno kann auch Zeitgeist. Rappen muss es noch lernen. Aber das Ding ist ja noch nicht einmal zwei Monate alt.

The Melting Snow (Weihnachtsballade) – Suno als Sparringpartner

Ein beklagenswerter Missstand ist es ja, dass wir zur heiligen Zeit jeweils mit einer sehr dünnen Auswahl an radiotauglichen Weihnachtsliedern behelligt werden. Das soll sich ändern. Ich prompte also: «Ein balladesker Song über weisse Weihnachten in Zeiten des Klimawandels.» Es dauert eine halbe Minute, und Suno schenkt mir ein neues Weihnachtslied mit starkem Beginn, das dann melodiös etwas zerfleddert.

Das ist natürlich alles noch nicht perfekt. Im richtigen Leben würde man daraus die besten Parts extrahieren, ein bisschen selber was dazudichten, und fertig wäre der Hit. Ein Prozedere, das sich nicht gross von dem unterscheidet, was viele heutige Stars ohnehin schon lange tun: Sie beziehen Songs von ihren Verlagen oder Produzententeams und setzen ihre Stimmen drauf. Suno könnte da künftig eine gewichtige Rolle als Sparringspartner spielen. Und es ist zu bezweifeln, dass die Musikwelt damit eine schlechtere wird.

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«Shadow of a Withered Flame» (Grunge/Blues) – Fit fürs Suisa-Songwriter-Camp

Wie wir wissen, kann man heute mit der Erfindung abenteuerlicher Stilkombinationen Weltkarrieren starten. Wie die Basler Band Zeal & Ardor, die sich in einer Schnapslaune vornahm, Gospel mit Death Metal zu verquicken und nun als eine der erfolgreichsten Schweizer Bands durch die Welt tourt. Wir versuchen es mit Gospel und Drum’n’Bass, doch Suno bockt. Sein Gospel klingt wie die Machenschaften eines westenglischen Fischerchors. Und Drum’n’Bass streut er nur widerwillig ein. Nach zwanzig Versuchen gebe ich auf und schwenke auf die Kombi Grunge und Blues um. Und Suno liefert. Ein Lied, das zart beginnt und dann in eine atemberaubende Emphase ausbricht. Es klingt wie Soundgarden in Hochform. Ich spiele bereits mit dem Gedanken, mich zusammen mit Suno fürs nächste Suisa-Songwriter-Camp anzumelden, an welchem jeweils die helvetischen ESC-Songs ausgeheckt werden. Die Chancen stünden gut.

«Ndamang Joow» (Afro-Krautrock in Wolof) – auch die Nischen werden bedient

In der Musikszene fühlten sich ja bisher jene vor der KI in Sicherheit, die glaubten, sie täten etwas ganz Besonderes. Die Meinung war, dass primär jene bedroht sind, die dem phrasenhaften Pop frönen. Alles Unsinn. Wir geben ein: «Krautrock mit afrikanischer Perkussion in Wolof». Und ja. Suno kann auch das. Keine Ahnung, wie gut sein Wolof ist, aber es streut sogar ein Ohrwurm-Thema auf einem Instrument ein, das wie eine Kalimba klingt. Was auffällt: Die Songs tönen wie sehr schlechte MP3-Kopien. Veröffentlichen lassen sie sich dergestalt (noch) nicht. Aber beim Tempo, das die Entwicklung dieser Technologie aufgenommen hat, ist auch das nur noch eine Frage der Zeit.

«Dans l’Ombre de l’Abandon» (Chanson) – Sumo gerät unter Plagiatsverdacht

Weil sich Suno weigert, offenzulegen, mit welchen Daten das Programm trainiert worden ist, besteht der Verdacht, dass darunter auch urheberrechtlich geschütztes Material gewesen sein könnte. Das Magazin «Music Business Worldwide» hat kürzlich eine gross angelegte Untersuchung veröffentlicht, die dies nahelegt. Zwar verweigert Suno das Erzeugen eines Songs, wenn man einen Band- oder Künstlernamen eingibt. Doch was, wenn man den Namen leicht abändert? Suno habe auf die Aufforderung, wie «Beminem» zu rappen, erstaunlich ähnlich geklungen wie Rapper Eminem. Und als man ihn mit dem Text von «Dancing Queen» fütterte und aufforderte, daraus einen 70er-Jahre-Pop-Song zu machen, spuckte Suno ein Lied aus, das den typischen vierstimmigen Harmoniegesang von Abba enthielt. Ein Zufall ist das kaum.

Dass sich Suno auf bekannte Musik stützt, legt auch das nächste Lied nahe, das ich in Auftrag gebe. Ein französisches Chanson soll Suno kreieren, traditionell, im 70er-Jahre-Stil. Und: Auch wenn der Song melodiös etwas ausschweift, klingt er, als sei Jacques Brel wieder auferstanden. Und aus dem Refrain am Schluss liesse sich problemlos ein kleiner Chanson-Klassiker schnitzen.

Wie funktioniert das?

Ich experimentiere weiter. Stelle fest, dass Suno auch deutschen Synthiepop kann, dass es auch den Auftrag, eine 60s-Folk-Ballade mit Literaturnobelpreis-würdigem Text zu erschaffen, ganz passabel meistert. Oder dass es im Felde des Reggaeton erquickende Ergebnisse liefert. Sogar Afrobeats auf Berndeutsch kreiert es, obwohl der Text kaum verständlich ist. Kurz: Das «Eintagesalbum» klingt – bei aller Imperfektion – kaum uninteressanter als das Tagesprogramm von SRF 3.

Wie das Ganze funktioniert? Es bleibt ein Betriebsgeheimnis. Möglich ist, dass Suno gängige Harmoniemuster der jeweiligen Genres imitiert und variiert und davon profitiert, dass es im Pop nicht unendlich viele «logische» Harmoniefolgen gibt, die der gemeinen Hörerschaft vertraut erscheinen. Und die Stimmen leiht es sich von Sängerinnen und Sängern, die diese (bestenfalls) für die Nutzung in KI-Anwendungen zur Verfügung gestellt haben.

Suno statt Spotify

Tatsache ist: Suno ist bereits kein Nischenprodukt mehr. Microsoft ist mit der Firma eine Kooperation eingegangen und hat den Generator in seine KI-App Co-Pilot integriert. Die Suno-Gründer rechnen damit, bald dreistellige Milliardengewinne zu erzielen, und es soll schon Leute geben, die sich lieber auf Suno Musik nach ihrem Geschmack generieren lassen, als sich das Passende auf den Streamingdiensten zusammenzusuchen.

Mit Udio ist zudem bereits ein Konkurrenzprodukt auf dem Markt, das von ehemaligen KI-Forschern von Google konzipiert worden ist und sich noch offensichtlicher an bestehender Musik bedient (die Morna-Aufgabe ergibt hier einen Song, der sehr offensichtlich nach Cesaria Evora – der Meisterin des Stils – klingt).

Ein neuer Schlag «Musikschaffender»

Ob Musik wegen solcher Gadgets wesentlich schlechter oder sogar besser wird? Das ist gerade nicht die Frage. Doch klar ist: Wenn Suno nicht mit Klagen der Musikindustrie eingedeckt und in der Entwicklung behindert wird, mischt da bald ein neuer, sehr gewichtiger Player im Musikgeschäft mit. Und dieser wird alles auf den Kopf stellen, was bisher in Sachen Musikerzeugung und Kreativökonomie geläufig war.

Es werden Musikstars und Urheberrechtsgeld-Beziehende heranwachsen, die nichts anderes tun, als eine kleine Songidee in ein Textfeld einzugeben und danach die «Create»-Taste zu drücken. «Aus deinen Gedanken wird Musik»: So schön der Slogan klingt, so verheerend werden die Folgen sein.

Dieses Tool hat das Potenzial, das Musikschaffen komplett zu entwerten und die Musikindustrie, wie wir sie bisher kannten, mitsamt ihren Künstlerinnen und Künstlern in den Untergang zu stossen. Na dann: Guten Abend.

«Wüst’sand» (Afrobeats auf Berndeutsch)

«Fade to Shadows» (Blues)

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