Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Interview zur Schweizer Tafelkultur«Wir haben keine eigene Küche, aber die beste der Welt»

Sieht sich als Tourismus-Versteher: Jürg Schmid. Ihm fehlt es in der Schweiz an ikonischen Rezepten.

Herr Schmid, welches Gericht repräsentiert für Sie die typische Schweizer Küche?

Das ist exakt unser Problem. Es gibt kein einziges Gericht, das die ganze Schweiz repräsentiert. Wir sind ein Land von vier Kulturen und 26 Kantonen. Das ist ein touristischer Segen, weil man auf ultrakurzen Reisen verschiedene Kulturen entdecken kann. Doch gleichzeitig macht es genau dieser Umstand schwierig, die Schweiz gastronomisch zu vermarkten.

Vielleicht haben wir einfach keine Tafelkultur.

Doch, aber in Graubünden oder im Bernbiet zeigt sich eine Tafelkultur sehr unterschiedlich. Was wir gemeinsam haben, ist, dass unsere Gerichte einen bäuerlichen, deftigen und einfachen Hintergrund haben. Man muss damit aufgewachsen sein, um Gerichte wie Waadtländer Saucisson zu lieben. Aber damit punkten wir global nicht sonderlich. Der weltweite Essenstrend ist leicht, bekömmlich und naturnah. So liegt die mediterrane Olivenöl-Küche mehr im Trend als die unsrige.

Ist die Schweiz aus Ihrer Sicht also keine Food-Destination?

Wir haben eine landesweit hohe Qualität, aber eine Foodnation sind wir nicht. Food-Destinationen zeichnen sich dadurch aus, dass Gastronomie für viele das primäre Reisemotiv ist. In der Schweiz reisen Touristen für die Top-Sterne-Gastronomie zu uns, aber nicht für Fondue. Uns fehlt es an landesweiten ikonischen Gerichten, um zur Food-Destination zu werden. Und unser Image ist von Fondue, Raclette und Schokolade dominiert.

Ist aus diesem Grund unter den 100 weltweiten Food-Destinationen keine einzige Schweizer Stadt zu finden?

Ich hinterfrage dieses von «Tasteatlas» publizierte Rating in aller Form. Die Stadt Zürich ging komplett vergessen. Beim Rating wurde wohl nicht primär die Qualität, sondern die Eigenständigkeit der Küchen bewertet. Zürich ist federführend in der Schweiz, man findet hier die ganze Weltküche in höchster Kreativität und Qualität. Aber eine eigenständige zürcherische Küche gibt es in diesem Sinne nicht.

Sind solche Ratings überhaupt wichtig?

Es gibt Ratings mit grosser Kommunikationskraft, beispielsweise die San-Pellegrino-Liste der 100 besten Küchenchefs der Welt. Dort findet man gerade mal einen Schweizer Koch. Wird die Liste publiziert, verbreiten dies die Medien intensiv. Klar, global gesehen ist die Spitzengastronomie eine Nische, aber dessen Kundschaft ist sehr kaufkräftig.

Stehlen uns die südlichen Nachbarländer, die ihre Küchen gut vermarkten, die Show?

In Italien, das für mich die Nummer eins ist, geht es letztlich auch um eine Bauernküche wie bei uns. Ihre funktioniert landesweit gleich gut und ist einzigartig, kombiniert mit der Italianità. Beispielsweise der lässige Pizzaiolo, der mit Berufsstolz die Pizza schwingt. Dieses Ambiente ist einzigartig, das muss man neidlos anerkennen. Wir sind in vielen Dingen touristische Weltklasse, aber in landestypischen, ikonischen Gerichten nicht.

«Man darf nicht etwas vorgaukeln, was man nicht ist.»

Sie waren als Direktor bei Schweiz Tourismus tätig. Hat die Organisation verschlafen, auf dieses Thema zu setzen?

Schweiz Tourismus hat andere Schwerpunkte gesetzt. Man darf nicht etwas vorgaukeln, was man nicht ist. Die Schweiz nicht als Food-Destination zu positionieren, war richtig. Wir haben keine eigene Küche, aber die beste der Welt und eine der höchsten Dichten an «Gault Millau»-Punkten und «Michelin»-Sternen. In den letzten 10 bis 20 Jahren hat sich aber viel gewandelt. Essen ist heute Lifestyle, Kochsendungen auf Netflix boomen, Köchinnen und Köche sind Rockstars, oder die Jungen kochen gemeinsam. Es ist ein Zeitgeist, den man aufnehmen muss.

Sind also Raclette und Fondue für unser Image kontraproduktiv?

Für die Sympathie des Landes sind diese Gerichte top. Ein Fondue findet im Kopf als romantisches Erlebnis in einer tief verschneiten Berghütte statt. Ob es uns hilft, die Schweiz als Food-Destination zu positionieren? Klar nein. Doch es gibt Hoffnung. Top-Chefs interpretieren alte Rezepte neu, bringen Innovation in alpine Traditionen oder zelebrieren vergessene Gemüsesorten. Dieser Trend hat nun ein Branding, New Alpine Cuisine nennt sich das. Der Name ist von Nordeuropa abgeschaut, wo man auf die New Nordic Cuisine setzt.

Warum haben es die nordeuropäischen Länder geschafft, sich als Food-Hubs zu positionieren? Und das, obwohl sie auch Hochpreisinseln sind.

Ich bezweifle, dass der ganze Raum es geschafft hat. Ich nehme vor allem Kopenhagen wahr. Die Ausnahmetalente im Restaurant Noma in Kopenhagen haben Akzente gesetzt. Dann gab es ganz viele Nachahmer.

Das lässt sich auch in der Schweiz beobachten. Ist Andreas Caminada mit seinem Schloss Schauenstein so etwas wie das Schweizer Noma?

Ganz viele Leute, die durch die Schauenstein-Lehre gegangen sind, schaffen später selber den Weg an die Spitze. Ich bin nicht ganz objektiv, aber ich bin überzeugt, dass Andreas Caminada der stärkste Sender ist. Das hat auch mit seiner Persönlichkeit zu tun, darum ist er auf der San-Pellegrino-Liste als einziger Schweizer aufgeführt.

«Der Gast möchte am liebsten den Namen des Huhns auf der Eierschale lesen.»

Was versteht man unter New Alpine Cuisine?

Ich denke da an die Kraft der Natur, an Herkunft, an Wurzeln, Ursprung, Tradition. Und der Umgang mit der Erde, ihr auch in höheren Lagen eine Ernte abzuringen. Ich beobachte, dass immer mehr Restaurants nur Produkte auftischen, die im Umkreis von wenigen Kilometern angebaut und regenerativ produziert wurden. Der Gast will einfach mit gutem Gewissen geniessen. Ein Restaurant muss sich total anstrengen, um diese Sehnsucht zu erfüllen.

Eignet sich die neue Alpenküche auch für Landgasthöfe?

Landgasthöfe haben eigentlich die beste Ausgangslage dafür, weil sie inmitten der Produzenten leben. Manche Wirte haben das aus den Augen verloren, indem sie nur über ihre Distributoren einkaufen. Diese Produkte haben wenig Geschichte. Man muss heute Geschichten erzählen. War das Huhn glücklich? Konnte es nach draussen? Der Gast möchte am liebsten den Namen des Huhns auf der Eierschale lesen. Dann schmeckt das Ei sofort besser.

Newsletter

Gourmail

Erhalten Sie die besten kulinarischen Storys, Rezepte und Trends.