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Internationale Gastro-RankingsDie Schweizer Küche ist grauenhaft – laut Online-Bewertungen

Fondue im Restaurant  Fribourger Fonduestübli  in Zürich – für einen Platz unter den ersten Hundert reicht das nicht.

In einem langen Beitrag feiert die italienische Zeitung «La Repubblica» ein weltweites Ranking über die kulinarisch besten hundert Städte und deren lokale oder regionale  Spezialitäten. Rang eins: Florenz. Rang zwei: Rom. Dann die peruanische Hauptstadt Lima und auf dem vierten Rang erneut eine italienische Stadt, nämlich Neapel. 

Kein Wunder, ist Italiens Öffentlichkeit erfreut über die Rangliste, mussten die Italienerinnen und Italiener doch kürzlich unter Schmerzen und patriotischem Protest zur Kenntnis nehmen, dass der einheimische Ernährungshistoriker Alberto Grandi behauptet, viele angeblich klassisch italienische Gerichte (Pizza, Spaghetti carbonara, Parmesan, Panettone) seien anderswo erfunden worden. 

Wo gibt es in der Schweiz lokale Spezialitäten, die zu den Besten der Welt gehören? Nirgends.

Geht man auf der Städterangliste nach unten bis zur Nummer 100 (das mexikanische Mérida), gleitet der Blick vorbei an Namen wie Prag (Rang 17), Sarajewo (61), Indianapolis (62), Recife (67), Bogotá (84), Warschau (92), Ankara (98). Und wann, fragt man sich mit zunehmender Beklemmung, kommt endlich mal eine Schweizer Stadt? Wo in der Schweiz gibt es lokale Spezialitäten, die zu den 100 Besten der Welt gehören? Die Antwort: nirgends. 

Erstellt hat das Ranking die auf Kulinarik und Reisen spezialisierte Organisation Taste Atlas, deren Bewertungen in internationalen Medien häufig zitiert werden, nicht nur von «Repubblica». Nach eigenen Angaben hat Taste Atlas seine Rangliste nicht auf das Urteil von Gourmets, sondern auf Google-Bewertungen gestützt. Auch eine zweite Taste-Atlas-Rangliste, nämlich jene über die besten nationalen Küchen, ist alles andere als schmeichelhaft für die Schweiz: Sie liegt auf Rang 87 von 100, gleich vor Schottland, aber hinter Ländern wie Neuseeland, Kuba oder Albanien. 

Haben wir ein Problem?

Haben wir ein internationales kulinarisches Imageproblem? Die Frage geht an zwei Experten, nämlich Paul Imhof, Gastrokritiker und Autor der fünfbändigen Reihe «Das kulinarische Erbe der Schweiz». Es gibt hierzulande wohl kaum jemanden, der sich mit lokalen Spezialitäten besser auskennt. Und an Daniel Böniger, langjähriger Tamedia-Gastrokritiker und heute stellvertretender Redaktionsleiter des Onlineportals von «Gault Millau». 

«Solche Rankings sind völliger Schwachsinn.»

Paul Imhof, Gastrokritiker und Kulinarik-Experte.

Paul Imhof hält kulinarische Massen-Rankings grundsätzlich für «völligen Schwachsinn». Lokale Spezialitäten, sagt Imhof, hingen vom Klima ab, vom Boden, von Traditionen und der kulinarisch-kulturellen Identität einer ganzen Region – «eine Rangliste aufgrund von Google-Bewertungen wird dieser Vielschichtigkeit niemals gerecht».

Ein grosser Kenner einheimischer Kochkunst: Gastrokritiker und Autor Paul Imhof.

Und dass man in der Schweizer Gastronomie besseren Betriebskantinen-Food vorgesetzt bekomme, sei erst recht absurd. Als Gegenargumente führt Imhof an: die weltweit einzigartig hohe Dichte an Schweizer Restaurants, die mit Sternen ausgezeichnet worden sind. Das weltweite Renommee der Hotelfachschule Lausanne. Und die Tatsache, dass der spanische Krimiautor und Spitzen-Gourmet Manuel Vázquez Montalbán – der Schöpfer des Privatdetektivs Pepe Carvalho – in einem seiner Bücher den Schweizer Koch Frédy Girardet als den raffiniertesten, innovativsten der Welt lobt.

«Viele Gäste aus den USA ‹gruuset› es vor der Art, wie wir Fondue essen.»

Daniel Böniger, Gastrokritiker und stv. Redaktionsleiter beim «Gault Millau»-Channel.

Allerdings gibt es laut Daniel Böniger eigentlich nur zwei nationale Schweizer Gerichte mit internationaler Ausstrahlung, nämlich Raclette und Fondue. «Käsegerichte sind nicht wirklich gourmettauglich, und auch ein Teil des breiten ausländischen Publikums hat Mühe damit – etwa viele asiatische Touristinnen und Touristen. Oder Gäste aus den USA, die es schnell mal als unhygienisch empfinden, wenn man beim Essen gemeinsam in einem Käsetopf herumrührt.»

Ausserdem, fügt Imhof hinzu, fehle den beiden Schweizer Nationalgerichten ein wenig die Exotik.

Kulinarischer Kantönligeist

Und warum gehören angeblich Zürcher Geschnetzeltes, Salm à la Baloise, Berner Platte oder andere typisch schweizerische Lokalgerichte nicht zu den 100 Besten der Welt? Abgesehen davon, dass das Geschmackssache sei, nennt Böniger andere mögliche Gründe: «Die Schweiz ist kleinteilig, deshalb herrscht hier tendenziell ein kulinarischer Kantönligeist», sagt er. Lokale Gerichte fänden international nur wenig Beachtung, zumal in Zürich oder Genf die internationale Kochkunst extrem vielfältig sei und sich auf einem hohen Niveau bewege. Um lokale Spezialitäten überhaupt wahrzunehmen, müsse man gezielt danach suchen.

Wir vermissen ihn: Unser ehemaliger Gastrokritiker Daniel Böniger, genannt «Böni». Hier isst er ein Schnitzel Pommes frites im Restaurant Bahnhof Wiedikon.

Und bei einer Umfrage, die sich auf die Bewertung des breiten Publikums stütze, hätte die Gastronomie in Schweizer Städten einen grossen Nachteil: «Sie ist für ausländische Gäste wahnsinnig teuer», sagt Böniger.

Also gönnen wir den Italienerinnen und Italienern die Freude über ihr verdientermassen hervorragendes Abschneiden. Wir trösten uns damit, dass das zehnmal grössere Deutschland auch nur mit einer einzigen Stadt vertreten ist (München, Rang 75). Und freuen uns auf eine Bratwurst am Vorderen Sternen in Zürich.  

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