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Vorwürfe gegen Jonah HillWie Therapiebegriffe als Waffe missbraucht werden

Soll seine Ex-Freundin «emotional missbraucht» haben: Schauspieler Jonah Hill und Sarah Brady 2021 bei der Weltpremiere von «Don’t Look Up» in New York.

Therapiesprech, also eine Sprache gespickt mit Begriffen aus der Psychologie, hat längst Einzug in unsere Alltagssprache gefunden. Alles, was einem zuwider ist, «triggert» einen plötzlich. Eine unangenehme Erfahrung wird schnell zu einem «Trauma». Und wenn sich jemand gegen die eigenen Erwartungen verhält, ist die Person gleich eine «toxische», wandelnde «Red Flag». Dass diese Begriffe nicht nur inflationär gebraucht werden, sondern zweckentfremdet auch als Waffe eingesetzt werden können, zeigt gerade das jüngste Beispiel von Schauspieler Jonah Hill.

So machen auf Social Media gerade SMS-Nachrichten die Runde, die er seiner Ex-Freundin Sarah Brady während ihrer rund einjährigen Beziehung geschickt haben soll. In den Screenshots, die Brady am Wochenende auf Instagram teilte, erlegt der «The Wolf of Wall Street»-Star ihr mehrere Verhaltensregeln auf – unter dem Deckmantel des beliebten Therapiebegriffs «Boundaries», was so viel wie «Grenzen» bedeutet.

Erst letztes Jahr wurde Jonah Hill für seine offene Herangehensweise an das Thema psychische Gesundheit gefeiert.

Unter anderem fordert Hill seine damalige Freundin mehrmals dazu auf, ihre Bikini-Fotos auf Instagram zu löschen. «Ich habe meine Grenzen klargemacht, aber du scheinst es nicht zu verstehen», schreibt Hill.

Dass der Schauspieler ein Fan von Therapie ist, ist bekannt: Erst letztes Jahr drehte er mit «Stutz» eine Netflix-Doku über seinen Therapeuten – und wurde für seine offene und positive Herangehensweise an das Thema psychische Gesundheit gefeiert. 

Instrument für emotionalen Missbrauch

In einem anderen Screenshot schickt Jonah Hill der 26-Jährigen eine ganze Liste mit seinen Forderungen. Es sei «plain and simple»: Wenn sie es für nötig halte, mit anderen Männern zu surfen oder mit Männern eine grenzüberschreitende Freundschaft zu pflegen, sei Hill nicht der richtige Partner für sie. Sarah Brady ist nebenbei bemerkt eine semiprofessionelle Surferin, auch wenn dies nichts zur Sache tun sollte.

Auch zu modeln, anzügliche Bilder zu posten oder Freundschaften mit «instabilen» Frauen zu pflegen, sind laut Hill inakzeptabel. «Das sind meine Grenzen für eine romantische Partnerschaft», schreibt der Schauspieler.

Brady beschuldigt Hill nun nicht nur des «Missbrauchs des Begriffs ‹Boundaries›» – sondern auch des emotionalen Missbrauchs. «Dies ist eine Warnung an alle Frauen. Wenn dein Partner so mit dir redet, erstell dir einen Fluchtplan», kommentiert die Surferin die Screenshots – für deren Publikation sie von manchen auch heftig kritisiert wurde. 

Hill soll seiner damaligen Freundin gleich eine ganze Liste mit Forderungen geschickt haben – und wollte ihr das Modeln verbieten.

Auf Social Media haben die geleakten Nachrichten Diskussionen über die Bedeutung des Begriffs ausgelöst – aber auch Fragen über die Gefahren von Therapiesprech aufgeworfen. Denn wie Therapeut Jeff Guether in einem viralen Erklärvideo auf Tiktok sagt, setzt man sich bei dem Konzept «Boundaries» eigentlich selbst gesunde Grenzen, um sein Wohlbefinden und seine Integrität zu schützen. Dabei gehe es jedoch nicht darum, anderen Menschen eine Grenze zu setzen, um ihre Handlungen zu kontrollieren.

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Ob beabsichtigt oder nicht: Der Fall von Jonah Hill zeigt, dass viele bei der Psycho-Wortwahl etwas durcheinanderbringen – und Begriffe aus der Psychologie zu einem Instrument für emotionalen Missbrauch und Manipulation werden können.

Dabei ist es an sich eine positive Entwicklung, dass die psychische Gesundheit an Bedeutung gewonnen hat. Immer mehr Menschen nehmen psychologische Hilfe in Anspruch. Das zeigte sich auch in der Schweiz, als im Frühjahr aufgrund der erhöhten Nachfrage ein Engpass in der Psychotherapie herrschte. Nicht weil mehr Leute psychisch krank sind als früher, sondern weil psychische Erkrankungen und deren Behandlung heute weniger tabuisiert sind, wie diese Zeitung schrieb

Werden wir durch «Selbstfürsorge» noch einsamer?

Zur Entstigmatisierung psychischer Krankheiten trägt sicher auch die Verbreitung von Therapiesprech bei. Und tatsächlich können Begriffe wie «Gaslighting» oder «Boundaries» hilfreiche Werkzeuge sein, um Gefühle und Verhaltensweisen zu entschlüsseln und einen Namen zu geben. Doch einige Therapeuten warnen, dass diese Begriffe heute ironischerweise dazu benutzt werden, egozentrisches Verhalten zu rechtfertigen.

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Wie die Autorin Tara Isabella Burton in einem Essay in der «New York Times» schreibt, gebe es einen kulturellen Trend zum Solipsismus, der sich als «self-care», also Selbstfürsorge, tarne. Immer mehr Menschen würden etwa Treffen mit Freunden mit der Ausrede absagen, dass man gerade das eigene geistige Wohlbefinden um jeden Preis schützen müsse. Das Streben nach dem eigenen Glück werde zunehmend als das ultimative Ziel gefeiert – laut Burton auf Kosten unseres Sinns für gemeinschaftliche Verpflichtungen.

Auch die belgisch-amerikanische Startherapeutin Esther Perel warnte erst kürzlich, dass Therapiesprech uns zu einsameren Menschen mache, da wir uns selbst über unsere Beziehungen stellten. «Das Gespräch über ‹Mental Health›, also dass Therapie nicht für ‹Verrückte› ist, hat eigentlich viel Gutes», sagte sie in einem Interview mit der «Vanity Fair». «Aber es gibt ein Paradoxon. Der Aspekt der ‹Selbstfürsorge› wird so sehr betont, dass wir dadurch noch isolierter und einsamer werden, weil wir uns nur auf uns selbst konzentrieren.»

Begriffe aus der Psychologie machen Gespräch unmöglich

Anstatt Konflikte oder Unbehagen mit Menschen aufzuarbeiten, könne man aus Gründen der «Selbstfürsorge» einfach «Boundaries» setzen und sich zurückziehen. Laut Perel bestehe damit die Gefahr, dass man alle Nuancen verliere und seine persönlichen Kommentare und Erfahrungen erhöhe, indem man sich auf die höhere Autorität des Therapiesprechs berufe.

Dafür hat sie auch gleich ein Beispiel: «Mir gefällt nicht, was du tust, also sage ich, dass du mich «gaslightest». Du hast eine andere Meinung, und ich bringe einen Begriff ins Spiel, der es dir unmöglich macht, überhaupt ein Gespräch mit mir zu führen.» Dieses «Labeln» ermögliche es einem, sich nicht mit dem Gegenüber auseinandersetzen zu müssen.

Falsch angewendeter Therapiesprech unterbindet laut Startherapeutin Esther Perel echte Gespräche.

Startherapeutin Perel warnt: «Dadurch wird klinische Terminologie in die Hände von nicht klinisch ausgebildeten Menschen gegeben, die sie dann als Waffe einsetzen.» Laut Therapeut Jeff Guether ist genau das im Fall Jonah Hill geschehen: «Es ist schade, dass Jonah Hill das, was er gelernt hat, instrumentalisiert, um seine Freundin zu manipulieren.»

Viel gesünder wäre es gemäss Guether gewesen, wenn Hill seiner Freundin erklärt hätte, was für Gefühle ihre Handlungen bei ihm auslösen – anstatt ihr vorzuschreiben, was sie tun und lassen soll.