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Himmel! Hölle!

Ein freundlicher Satanist steckt hinter Zeal & Ardor: Manuel Gagneux im Keller der Basler Off-Bar. Bild: Stefan Bohrer

Der Sänger sitzt dem Totengräber im Nacken, feuert ihn an beim Tragen der Leiche: «Bring the dead body down to the graveyard now!», singt er ihm zu – mit einer Stimme voller Soul, die Gott und auch den Teufel in sich trägt. Eine, die den Lord anruft, und ihn dann auch gleich wieder versetzt. Die Musik, die mit einem Klavier wenig bedrohlich begonnen hat, zieht dann ins Bodenlose. Wird schwerer und schwerer. Und man weiss nicht, ob dieser «Gravedigger's Chant», den Zeal & Ardor auf dem neuen Album entfachen, nun gnadenbringend ist – oder doch nur gnadenlos.

Manuel Gagneux heisst der Basler, der hinter dem Projekt steckt. Und der Black Metal mit Black Music kreuzt. Unter dem Bandnamen Zeal & Ardor, was übersetzt so viel wie «Eifer und Hitze» heisst, erscheint nun das erste «richtige» Album: «Stranger Fruit». Es darf zweifellos zu den spektakulärsten der Saison gezählt werden. Abseits der Bühne, abseits des Studios, wo er selbst dem Gevatter Tod die Hölle heiss machen kann, wirkt Ga­gneux in einer Basler Bar wenig furchteinflössend. Der 30-Jährige – ganz in Schwarz gekleidet – wirkt beinahe sanft, immer wieder auch verblüfft, wenn er über seine Musik und seine Karriere spricht.

Seit zwei Jahren nimmt sein Weg schon fast unwirkliche Züge an. Nicht weil hinter Gagneux' Musik ein ausgeklügelter Masterplan steckt. Sondern eine Geschichte, die eine Eigendynamik angenommen hat: Mittlerweile sind Zeal & Ardor der begehrteste Schweizer Musikexport – und Gagneux und seine Liveband reisen im Festivalsommer 2018 quer durch Europa: von Montreux über Barcelona bis hin ins norddeutsche Wacken, wo eines der grössten Metalfestivals der Welt stattfindet.

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Eigentlich war aber alles ein besserer Witz, als Gagneux mit seiner Kollision der Musikwelten begonnen hat. Und es war ja auch gar nicht seine Idee, sondern er erhielt sie in einem Onlineforum, als er nach zwei zufälligen Genres fragte, die man einmal miteinander kreuzen sollte: «Die ersten sieben Lieder, die ich dann an meinem Computer gemacht habe, waren zwar thematisch interessant, aber sie haben absolut scheisse geklungen», erinnert sich Gagneux, der damals in New York lebte, an seine ersten Tüfteleien.

Musikalische Idee aus dem Onlineforum

Aber Gagneux, der früher unter dem Pseudonym Birdmask eine «komische Popschiene» gefahren ist, liess sich nicht entmutigen und spielte die Songs ein, die auf dem Minialbum «Devil Is Fine» landeten. Einfach für sich, und weil er es lustig fand. «Und ich habe mir gedacht: Vielleicht kaufen es die Kollegen oder meine Mutter aus Mitleid. Doch dann tweetete die einflussreiche Metaljournalistin Kim Kelly über mich, der ‹Rolling Stone› griff die Songs auf, und ich dachte mir, vielleicht steckt in dieser Musik ja wirklich etwas.»

Was folgte, war ein Reinschleudern in die Metalwelt, das eine Rückkehr in seine Jugend war: «Es war bizarr. Ich habe als Teenie sehr viel Metal gehört, mich damit identifiziert. Mit Black Metal, Melodic Death Metal, Bands wie Wintersun, Nagelfar und wie die auch immer heissen.» Gagneux hat sich später von der Metalszene entfernt, hörte Popmusik, frönte dem Eklektizismus. Um dann wieder zurückzufallen. «Das war extrem lustig. Metal hat auch etwas dezent Maskulines, fast schon sexuell Verunsichertes.» Konkret? «Metaller sagen ja: Wir sind so männlich mit unseren schwarzen Ledersachen, gleichzeitig haben sie aber die wohlriechendsten Haare. Wenn die Leute an einem Konzert in den vordersten Reihen headbangen, kommt ein Schwall an Shampoo auf dich zu. Das ist einfach so gut.»

Der moderne Satanismus bringe eine Ehrlichkeit mit sich, die etwa im Katholizismus fehle, sagt Gagneux.

Um Missverständnissen vorzugreifen: Gagneux ist kein popkultureller Tourist oder einer, der sich Dinge einfach rasch aneignet, weil sie ihm lustig erscheinen. Denn da ist seine Beschäftigung mit dem Okkultismus, dem modernen Satanismus auch, der in seiner Musik deutliche Spuren hinterlässt. «Im Metal hat man eine Carte Blanche, diese Elemente zu inkorporieren. Und das liess ich mir nicht nehmen.»

Das Okkulte ist für ihn «eine kleine Parallelwelt mit Fantasy-Elementen», und die Ansätze im philosophischen Satanismus reizen Gagneux, der in einem atheistischen Haushalt aufgewachsen ist: «Im modernen Satanismus akzeptiert man das Ego als Gott. Es geht auch darum, dieses Ego und all seine Triebe auszuleben, ohne andere zu gefährden.» Das bringe eine Ehrlichkeit mit sich, die etwa im Katholizismus fehle. Und der freundliche Satanist Gagneux, der vor dem Gespräch noch rasch ein Salamisandwich verdrückte, nennt dann ein satanistisches Beispiel: «Wenn ich Lust auf ein Sandwich habe, dann esse ich auch ein Sandwich.»

«Stranger Fruit» , auf dem er seine Musik verfeinert und auch weit dynamischer und weniger schablonenhaft interpretiert als noch zu Beginn, ist auch abseits des Okkulten alles andere als ein Witz. Denn es ist Zeal & Ardor ernst. Das beginnt beim Titel. Dieser erinnert an den klassischen Song «Strange Fruit» von Billie Holiday – und an die darin besungenen Körper der gelynchten Afroamerikaner, die von den Bäumen der US-Südstaaten baumelten. «Ich wollte das Thema in die Gegenwart ziehen. Weil für mich sind die «strange fruits» die Jugendlichen, die von der Polizei erschossen wurden. Sie hängen zwar nicht an Bäumen, sondern liegen einfach leblos am Boden», sagt der Doppelbürger, der auch einen US-Pass besitzt.

Elemente aus den Worksongs der Sklaven

Die Wut auf die Polizeigewalt und der Kampf gegen Rassismus ist nur ein Antrieb des Albums, das aber auch auf Versöhnung aus ist. Vielleicht sind deshalb die Elemente aus dem Gospel und den Worksongs, die Sklaven während der Zwangsarbeit gesungen haben, präsenter als auf dem Erstling «Devil Is Fine». Gagneux' Quellen liegen in den Songs, die der Archivar Alan Lomax aufgenommen hat, als er in den 1930ern mit seinem Aufnahmegerät durch die USA gereist ist. «Ich dichtete diese Gesänge dann mit meinen Mitteln gewissermassen fort.» Aber kann und darf man als Schweizer diese Songs überhaupt übernehmen? «Es war zwar sehr emotional, doch ich spürte auch eine gewisse Distanz – ich bin ja halb weiss und mein ganzes Leben in der Schweiz gewesen. Nun zu sagen, ich sei betroffen gewesen, wäre eine absolute Lüge.»

Am deutlichsten ist Gagneux' Adaption dieser Worksongs in «Row Row» zu hören, in dem die Gesänge des Leidens übergehen in die Growls und Schreie. Und die Drums und Gitarren einen Sturm entfesseln, der das Schiff und die Passagiere ersaufen lässt. In jenem Song wird auch klar, dass die beiden Pole seiner Musik sehr gut zusammenpassen. Etwas, das auch Gagneux beobachten konnte: «Beide Stile haben eine emotionale Vehemenz, sind unzensiert, beharren ganz stark auf einem Gefühl. Beim Metal ist es oft Aggression, Verzweiflung auch, und im Soul und Blues ist es ekstatische Freude oder bedrückende Trauer. Das alles balanciert sich gut aus.»

Die Musik auf «Stranger Fruit» ist in gewissem Sinne auch süffiger geworden. Geht das denn zusammen mit Gagneux' Hang zum Extremen? Er wiegelt ab und sagt: «Auch etwas Süffiges kann extrem sein. Ein Popsong, beispielsweise von der Songwriterin Sia, ist emotional auch nicht ambivalent. Er ist einfach extrem.»

Sowieso, gemütlich machen darf es sich bei Zeal & Ardor niemand. Schon gar nicht Gagneux, der im Studio ausser den Drums alle Instrumente selber eingespielt hat, und nun mit seiner Liveband auf Festivaltour geht. «Scheisse Schiss» hat er vor den riesigen Bühnen, aber vor allem ist bei Gagneux eine neugierige Vorfreude zu spüren: Wie reagieren jene, die am Primavera in Barcelona gerade von einem Björk-Konzert rüberwandern? Wie die Metalheads in Wacken? «Vielleicht finden sie es ja gar nicht geil, aber da muss ich dynamisch bleiben.»

Zeal & Ardor: «Stranger Fruit» (Radicalis), erscheint am 8. Juni