Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Im Winter an die OstseeEinmal durchpusten, bitte!

Jetzt mal ehrlich: Sieht das Meer im Winter nicht sogar schöner aus als so voller Sand und Menschen im Sommer?

Bei klarem Wetter kann man vom Strand in Neustadt in Holstein weit in der Ferne Mecklenburg-Vorpommern sehen. Die Spätnachmittagssonne taucht Sand und Wellen in ein goldenes Licht. Nur wenige Spaziergänger sind am Meer unterwegs. «Das sehen Sie so nur im Winter», sagt Tanja Zielinski, «wenn das Licht durch die tief stehende Sonne so besonders ist.» Auch die Einsamkeit, fast allein am Strand zu sein, erlebe man nur in der kalten Jahreszeit. «Wir lieben es, bei Wind rauszugehen und uns am Wasser so richtig durchpusten zu lassen», sagt Zielinski.

Der Naturführer Axel Kramer, der ganzjährig mit Gästen auf Bernsteinwanderungen geht, sagt dazu: «Die Leere, das Nichts, das wir hier haben, das ist der wahre Luxus.» Er ist hier geboren und möchte nirgendwo anders leben als an der Küste – und ihre stille Schönheit auch den Gästen nahebringen.

Wollpulli vom lokalen Schaf

Zielinski hingegen ist eine Zugereiste. Die Kunsthistorikerin führt seit zehn Jahren ein Wollgeschäft in Neustadt. Der Laden ist gemütlich wie ein Wohnzimmer, mit Sesseln; wer eintritt, bekommt erst mal eine Tasse Tee. Und wer mit einem komplizierten Strickmuster nicht weiterkommt, kann sich bei ihr Rat holen.

«Einmal im Monat trifft sich hier eine offene Strickrunde», erzählt sie, zwischen 16 und 90 Jahre alt seien die Teilnehmerinnen. Auch Touristen – und Männer – seien willkommen. Der bislang einzige Mann in der Runde habe gehäkelt, sei aber weggezogen, erzählt Zielinski. Sie hat sich ihre eigene kleine Wollgalerie geschaffen – daher heisst der Laden Wolle & Kunst. Besonders stolz ist sie auf ihre holsteinische Wolle: «Ich fand es schade, dass die Wolle zur Verwertung exportiert wird, und wir importieren dann Wolle aus anderen Ländern.»

Noch ein Vorteil, wenn man im Winter ans Meer reist: Man muss sich nicht von Kopf bis Fuss mit Sonnenschutz einreiben!

Die hiesigen Schafe, erklärt sie, seien Fleischschafe, ihre Wolle gelte als minderwertig, kratzig. Nur gut genug für Düngepellets und Dämmstoff. Doch ist nicht auch isländische Wolle kratzig? Trotzdem bringen sich viele Islandurlauber einen Pullover mit nach Hause, denn die halten nun mal mollig warm. Sie suchte und fand in der Hobbyschäferin Marion Jünke eine Mitstreiterin.

Nach der Schur gehen die Vliese von Jünkes robusten Scottish-Blackface-Schafen nun nicht mehr an die Wollbörse, sondern in eine 100 Jahre alte Spinnerei, eine der letzten ihrer Art in Deutschland. Dort wird die Wolle gewaschen, gekämmt und gesponnen und geht dann zurück in Zielinskis Laden. «Die Kunden schätzen die regionale Wolle, auch Urlauber kaufen sie gern als Souvenir.» Und sie hält superwarm.

Hundewetter bekommt an der Ostsee eine ganz neue Bedeutung.

Warme Kleidung ist auf jeden Fall ratsam, um sich im norddeutschen Winter wohlzufühlen. Gäste, die sich hier mal richtig durchlüften lassen, vielleicht sogar mal im vier Grad kalten Wasser barfuss laufen wollen, brauchen auf jeden Fall die richtige Jacke. Wer keine dabeihat: In Grömitz am Jachthafen steht ein Wegweiser. «Hawaii: 11’579 Kilometer, Hamburg: 91 Kilometer, Gute Jacke: 103 Meter». Mit einer guten Jacke kann eine Steilküstenwanderung mit der Naturführerin Petra Sievers gar nicht lang genug dauern. Sie erklärt, wie die Ostsee nach der letzten Eiszeit allmählich entstanden ist durch das Schmelzwasser der gigantischen Gletscher.

Und sie zeigt, dass am Strand allerhand Fossilien zu finden sind: versteinerte Seesterne zum Beispiel. Besonders Kinder fänden das spannend, sagt sie, aber auch Erwachsene kämen mit ihren Fundstücken. «Im Sommer sind das so viele Menschen, dass wir vor lauter Erklärungen manchmal kaum hundert Meter weit kommen auf einer Wanderung.»

Ist so was wie die gute Fee der lokalen Küstenwanderungen: Naturführerin Petra Sievers.

Auch schön flanieren lässt es sich an der Ostsee, auf dem Strandboulevard in Niendorf etwa, und danach auf Kaffee und Kuchen im nostalgischen Café Strandvilla einkehren. Und wer mal auf Wasser laufen will, kann sich den Wind auf einer der vielen neu gebauten Seebrücken um die Nase wehen lassen. In Timmendorfer Strand ist derzeit eine in Bau, die 430 Meter ins Meer ragen und einen Rundweg haben soll.

Doch wenn es mal wirklich Schmuddelwetter gibt, kann man sich in der Ostseetherme aufwärmen: Das weitläufige Bad mit grossem Familien- und Saunabereich hat auch ruhige Ecken. Etwa in der Strandsauna mit Blick auf die Düne, dahinter die Ostsee. Zum Abkühlen kann, wer sich traut, ins Meer springen. Alternativ ins Wellenbad Grömitzer Welle, wo das Wasser alle halbe Stunde zu wogen beginnt.

Gibts hier das beste Fischbrötchen der Welt?

Wenn sich nach Bad, Sauna oder Wanderung der kleine Hunger meldet, ist es Zeit für ein Fischbrötchen. Was ein gutes Fischbrötchen ausmacht? Meike Brockmann stutzt, hebt die Augenbrauen, blickt streng durch ihre Brille: «Na, erst mal der Fisch!» Fangfrisch müsse der sein, und natürlich habe jedes Geschäft sein Betriebsgeheimnis, wenn es um die Würzung, ums Beizen oder Einlegen geht. Dann natürlich gute Brötchen, keine Fabrikware. Und per Hand fein gehobelte rote Zwiebeln. «Wir hatten Gäste von der Nordsee, die sagten, wir haben an der ganzen Nordsee noch kein so gutes Fischbrötchen gegessen.»

Meike Brockmann darf man getrost als Fischbrötchenexpertin bezeichnen. «Ich bin da reingeboren», sagt sie. In Haffkrug, einem Ortsteil von Scharbeutz, habe ihr Vater 1949 das erste Fischgeschäft eröffnet. «Hier an dieser Stelle», sagt sie. Und weil man anfangs nur Aal gefischt habe, heisst das Geschäft noch heute Aalkate.

Glück ist – ein gutes Stück Fisch in einem richtig guten Brötchen.
Meike Brockmann, Fischbrötchenexpertin: «Bei uns gibts keine labberigen Teile wie beim Grosshändler.»

Der Laden liegt an der Fischbrötchenstrasse. Die haben sich Touristiker der Lübecker Bucht ausgedacht. Auf einer Karte sind alle teilnehmenden Betriebe eingezeichnet. Wer also in der Region eine Radtour macht oder wandert, weiss stets, wo in der Nähe ein Fischbrötchen zu bekommen ist. Die Idee kam so gut an, dass die Fischbrötchenstrasse immer weiterwächst.

Bei Meike Brockmann wird jedes Brötchen frisch zubereitet, das könne schon mal dauern. «Aber dafür gibt es bei uns keine durchgeweichten, labberigen Teile wie beim Grosshändler.» Ein gutes Dutzend Sorten seien im Angebot, von Krabbe bis Aal. Sieben Tage die Woche habe man geöffnet, das ganze Jahr hindurch. Ob Sommer oder Winter, sagt sie, die Gäste wollten alle dasselbe: erst mal Meer kucken, «Aaaah!» sagen – und dann ein Fischbrötchen.

Das mit der Kälte ist kein Witz hier an der Ostsee. Sogar die Steine sind dick eingepackt.

Auch wenn er immer weniger wird in der Ostsee, so ist es doch der Fisch, der die Identität und die Mentalität der Menschen hier geprägt hat. Die Fischerei war über Jahrhunderte die Lebensgrundlage. Michael Eim ist seit einem Jahr 1. Ältermann des Neustädter Fischeramtes. Das ist so etwas wie der Vorsitzende der ältesten Fischerinnung Deutschlands, gegründet 1474. Wie viele Ältermänner es vor ihm gegeben hat, weiss er nicht. Sein Ziel ist es, das Fischeramt in die Zukunft zu führen. Für Erwerbsfischer, sagt er, sei die Zukunft düster, von einer Ausbildung im Fischereihandwerk rät er ab.

Traum erfüllt, Fischkutter gekauft

Keinen einzigen Erwerbsfischer gebe es noch unter den Amtsbrüdern. Sieben von ihnen seien Nebenerwerbsfischer, die anderen machten das hobbymässig. Aber Eim liebt nun mal das Fischen und hat sich selbst nicht an seinen eigenen Rat gehalten: «Während ich beim Staat gearbeitet habe, habe ich parallel eine Ausbildung zum Fischwirt gemacht.» Bis vor einem Jahr war er Kriminalbeamter, nun ist er Rentner – und hat sich einen Traum erfüllt: Er hat sich eine Fischerlizenz gekauft und einen winzigen Kutter. Der heisst Kerstin wie seine Frau.

Welche Perspektive also hat diese altehrwürdige Vereinigung? «Ich sehe die Zukunft in der regionalen Direktvermarktung», sagt Eim. Wurde der tägliche Fang früher direkt vom Kutter verkauft, so gibt es seit kurzem im Fischereiamt einen Laden mit Kühltheke und Kühlraum – den Umbau bewerkstelligten die Mitglieder ehrenamtlich. Nun verkaufen sie ihren Fisch im Laden. «Wir kaufen auch zu, durch die Vermarktung haben wir einen derartigen Zulauf, dass der eigene Fisch nicht reichen würde.»

In seinem «früheren Leben» war Michael Eim Kriminalbeamter. Dann hat er sich seinen Traum erfüllt, eine Fischerlizenz gekauft und einen winzigen Kutter.

Einige Fischarten seien schon weniger geworden, es gebe nur noch eine sehr kleine Quote für Dorsche. Hauptbrotfische seien Scholle und Flunder. «Unsere Kutter sind maximal sechs Meter lang, die haben die Neustädter Bucht garantiert nicht leer gefischt», sagt Eim. Da sehe er schon eher die riesigen Schleppnetzkutter in der Verantwortung. Die Landesregierung empfiehlt den Fischern Diversifizierung. Statt zu fischen, sollten sie mit Touristen rausfahren. «Die Kutter sind viel zu klein, um Gäste an Bord zu nehmen.» Oder aber in das profitable Geschäft mit Seebestattungen einsteigen. Man sieht Eim den Unwillen an, doch er sagt nur: «Machen wir nicht. Ich will einfach nur fischen.»

Nächstes Jahr feiert das Fischereiamt sein 550-jähriges Bestehen, ein wichtiges Ereignis, das gross gefeiert werde. Das jährliche Fischeramtsfest im August mit grossem Zelt und Tanz dürfte dann noch grösser ausfallen. Auf jeden Fall gibt es Fisch satt.

Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.

An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.

Die Recherchereise für diesen Beitrag wurde zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluggesellschaften und Tourismusagenturen.