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Start der WintersaisonDas Skiparadies mit dem unterirdischen Paralleluniversum

Passiert einem in Lech öfter: Dass man irgendwo aus dem Berg auftaucht – und in diese unglaubliche Landschaft blinzelt.

Das vegetarische Menü kommt vom Fleisch. Von Oliver Fleisch. Die Gäste grinsen, als der Chefkoch des Hotels Goldener Berg sich selbst und die einzelnen Gänge vorstellt. Die Hauptspeise ist sogar vegan. Wilder Broccoli und Rande grüssen farbig vom weissen Teller. Natürlich wuchten die Kellner auf Wunsch auch XXL-Schnitzel und Pommes-Berge, aber: Das fleischlose Menü ist der neue Renner. «Die Leute denken um», sagt der Koch und verabschiedet sich. Er muss noch das Dessert richten und die neue Ware kontrollieren. Heute ist Mittwoch, Gemüseanliefertag.

Pastinaken, Schwarzwurzeln und Nüsslisalat kommen aber nicht an der Hintertür an. Sondern am Tunnelportal. Wir sind in Oberlech in Vorarlberg, einem Ortsteil von Lech, das zu den bekanntesten und grössten Skiorten der Alpen zählt. Dort stehen einige luxuriöse Hotels und Restaurants. Man bekommt alles, was das Herz begehrt: Suite und Spa, Châteauneuf und Champagner, Königskrabben und Kaviar. Was es indes nicht gibt: Strassen. Zwischen den Hotels liegt im Winter schon mal meterhoch Schnee. Doch niemand schaufelt, niemand salzt ihn aus dem Weg. Gemüse, Bierfässer, Reinigungsmittel, Seife, gereinigte Arbeitskleidung kommen mit Golfcarts. Im Untergrund. Mitten im Berg.

Also steigen wir runter.

Bis zu 15 Meter geht es hinab in den Bauch des Berges, durch den sich mehr als drei Kilometer Tunnel schlängeln. Allein könnte man sich verlaufen. Gut, dass Gerhard Lucian an unserer Seite ist. Der 59-Jährige ist nicht nur Bürgermeister von Lech, sondern auch Untergrund-Herrscher in Oberlech. Sein Vater Fridolin kam vor 30 Jahren mit der Idee um die Ecke, den Boden aufzugraben und Versorgungswege anzulegen. «Er musste einige Widerstände aus dem Weg räumen», sagt Lucian diplomatisch. Am Ende überzeugte der Herr Papa alle, und es entstand ein «weltweit einzigartiges Tunnelsystem».

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Lucian junior sass beim Bau selbst im Bagger und schraubte auch Wellblech an die Wände. Heute predigt er die Vorzüge: Oberlech ist im Winter autofrei. Kein Motorlärm stört die Skifahrer auf den Terrassen, keine Abgase wabern durch die Luft. «Und alles ist so, wie es im Winter sein muss: weiss.»

Unten 3 Kilometer Tunnel, oben 300 Kilometer Pisten

Wir sind mittlerweile am Ende des Tunnels angekommen. Oder am Anfang – je nach Sichtweise. In der unterirdischen Umschlaghalle parkieren Transporter und LKW. Ein Lieferant sortiert Gemüsepakete in die Boxen der unterschiedlichen Hotels, die später abgeholt werden. Das Müllfahrzeug biegt ums Eck, um Altglas abzuholen. Bürgermeister Lucian, zugleich Chef in einem der zwei Dutzend Hotels, die an dieses Tunnelsystem angeschlossen sind, kramt einen Schlüssel hervor und sperrt eine Halle auf. Dort steht ein roter Pistenbully mit Feuerwehrcontainer auf dem Rücken. «Gibt es nur bei uns!» Das Fahrzeug hatte erst einen Einsatz, als ein Fernseher in Flammen stand.

So sehen die ältesten Stücke des unterirdischen Tunnelsystems aus. Manche der Wellbleche hat der heutige Bürgermeister von Lech damals mit eigenen Händen montiert.
Mittlerweile sehen die Tunnels schon fast wohnlich aus.
Und mit solchen Golfbuggies ist man hier unten unterwegs. Zu Fuss wärs doch etwas weitläufig.

Oberlech hat sich eine feine Lage am Südhang ausgesucht, die Sonne ist ein guter Freund. Wenn die langen Schatten der Berge die Häuser unten im Tal verschlucken, herrscht im Hotel Goldener Berg immer noch Terrassenwetter. Die Tische sind gut besetzt, obwohl die Bäuche längst voll sind. Zwei Pisten treffen in Oberlech aufeinander, die eintrudelnden Skifahrer kommen von der Mohnenfluh oder dem Kriegerhorn. Wer dort keine Pause macht, nimmt den Petersbodenlift, der mitten zwischen den Hotels startet. Jene, die runterwollen, wedeln ein Stück durch den Wald, dann folgt die breite Talabfahrt nach Lech. Es ist das Zentrum des Arlberger Skigebiets, das sich über zwei Bundesländer und vier Orte erstreckt. Wintersportler können weiter nach Warth-Schröcken oder nach Zürs. Seit 2016 gibt es auch eine Verbindung mit St. Anton in Tirol. Unterm Strich macht das mehr als 300 Pistenkilometer.

Mit dem Lift geht es 13 Meter in die Tiefe. Wenn sich die Tür öffnet, blickt man auf ein Skidepot mit 1000 Plätzen.

Lech ist legendär, hat Olympiasieger und Weltmeister hervorgebracht. Die ersten Ski fahrenden Feriengäste kamen vor mehr als 130 Jahren. Bereits 1939 bauten die Lecher ihren ersten Skilift. Kurzum: Der Ort spielt in der obersten Liga. Daher ist er auch Mitglied im Verein «Best of the Alps», dem nur ein Dutzend andere Skigebiete in Europa angehören, darunter Davos und Crans-Montana. Die Wurzeln der Vereinigung liegen in der Schweiz, Sitz ist in Grindelwald. Wer dazugehören will, muss für bestimmte Werte wie «Pioniergeist, zeitlosen Charme, Einzigartigkeit» stehen.

1500 Paar Ski warten im UG auf neue Kunden

Einzigartig ist in Lech sicherlich das Ortsbild. Der Bebauungsplan wacht streng darüber, dass der warme, dörfliche Charakter erhalten bleibt, ohne kitschig und aufdringlich zu wirken. Die Gebäude dürfen nicht höher als vier Stockwerke sein, müssen «ohne zusätzliche modische Gestaltungselemente schlicht ausgeformt werden». Die Gemeinde verbietet grelle Leuchtreklame, verlangt ein Farbkonzept bei Neubauten, regelt sogar die Luxzahl und die Farbe von Satellitenschüsseln. Wer durch den Ort schweift, trifft auf Hotels und Wohnhäuser im alpenländischen Holzstil. Zurückhaltend, aber vornehm. Selbst der namensgebende Fluss, der in der Nähe entspringt, ist mit speziellen LEDs in Szene gesetzt.

Strenge Bauvorschriften sorgen dafür, dass der Ortskern von Lech seinen dörflichen Charakter behält.

Die Lage von Lech auf 1460 Metern beschert den Skifahrern durchschnittlich knapp acht Meter Schnee pro Winter. Aber die Siedlungen sind nah an die Berge gewachsen, Grund und Boden knapp und teuer. Die Lösung, einfach in die Höhe zu bauen, verbietet die Bauordnung. Also muss man in die andere Richtung ausweichen. Wie in Oberlech spielt sich auch im Hauptort vieles unter der Erde ab. Ein prominentes Beispiel ist der Skiverleih Strolz mitten im Zentrum. Mit dem Lift geht es 13 Meter in die Tiefe. Wenn sich die Tür öffnet, blickt man auf ein Skidepot mit 1000 Plätzen. Im anderen Untergeschoss warten 1500 Paar Ski und 200 Snowboards auf neue Kunden. «Wir konnten nicht in die Breite und nicht in die Höhe gehen. Dann sind wir halt in die Tiefe», erklärt Filialleiter Daniel Walch.

Den Starkünstler angelockt

Selbst die Bergbahnen agieren nach diesem Motto. Wenn sie einen Lift erneuern, wandert die Garage für die Gondeln oder Sessel in den Keller. Jüngstes Beispiel ist die Zugerbergbahn. Sie schaufelt Skifahrer, die gerade die berüchtigte und steile Madloch-Skiroute ab Zürs bewältigt haben, zurück Richtung Lech. 2021 ging sie in Betrieb. Oben war kein Platz mehr, weil auch ein neues Personalhaus für die Liftmitarbeiter entstand. Deshalb hat man ein grosses Loch gebaggert und eine Tiefgarage für die 41 durchnummerierten Gondeln geschaffen, die so gross ist wie eine Turnhalle. Nummer 19 ist heute nicht im Einsatz, sie wartet in der Ecke auf eine Reparatur, weil die Tür verbogen ist. Die einzige Gondel, die keine Nummer hat, trägt den Schriftzug einer Champagner-Firma, drin steht ein Tisch. Jedes Mal, wenn sie ihre Runde durch die Talstation dreht, schauen wartende Skifahrer verdutzt, wie sich ein Pärchen zuprostet.

Naturgemäss gibt es beim Ausstieg weniger Zuschauer. Die Leute purzeln aus den Gondeln, nehmen sofort die Rolltreppe zur Piste. Die Bergstation wurde in den Fels gegraben. Obendrauf sitzt mit der Balmalp nämlich ein Restaurant. Dank der unterirdischen Bergstation haben die Gäste freien Blick auf die Rote Wand und Dutzende andere weisse Gipfel.

Für die 2021 eröffnete Zugerbergbahn wurde gleich zweifach in die Tiefe gebaut: Die Gondelgarage in der Talstation ist unterirdisch «versorgt», und auch die Bergstation (im Bild) gräbt sich in den Berg hinein.
James Turrell, US-amerikanischer Superstar der zeitgenössischen Kunst, präsentiert überall rund um den Globus seine Installationen, bei denen die Aufmerksamkeit auf die wandelbare Schönheit des Himmels gelenkt wird. Lech ist eine der glücklichen Destinationen, die zum Handkuss gekommen sind.
Besonders eindrücklich ist der «Skyspace» zu Sonnenauf- oder -untergang: Dann laufen spezielle Lichtprogramme.

Eine Abfahrt von der Balmalp entfernt steht noch ein Bauwerk im Erdboden. Skyspace nennt sich das begehbare Kunstwerk, das der Starkünstler James Turrell in den Berg gepflanzt hat. Über einen 15 Meter langen Tunnel erreicht man den unterirdischen Raum, nimmt auf beheizten Granitbänken Platz und blickt durch eine Öffnung in der Decke zum Himmel. Je nach Wetter und Uhrzeit ändern sich Sicht und Wahrnehmung. Besonders eindrücklich ist ein Besuch zu Sonnenauf- oder -untergang, wenn spezielle Lichtprogramme laufen. Künstler Turrell hat lange nach einem geeigneten Platz für seine Installation gesucht. Nur eines war von Anfang an klar: Er wollte unter die Erde. In Lech waren sie sofort begeistert von der Idee. 

Hinweis der Redaktion: Die Recherchereise für diesen Beitrag wurde zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels und Tourismus-Agenturen.

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