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Interview zu Familienfinanzen«Man will nicht beim Kind sparen»

Manche Eltern verschulden sich sogar noch vor der Geburt des Kindes, weil sie es mit dem Besten ausstatten möchten: Familie beim Einkauf.

Herr Frei, das neue Familienbarometer zeigt, dass viele Mütter und Väter Geldsorgen plagen. Auch beim Mittelstand schwinden die Reserven. Spüren Sie diese Entwicklung in Ihrer Beratung?

Ja, die Zahlen im Familienbarometer sind für mich keine Überraschung. Mit den gestiegenen Kosten für Miete, Strom und Krankenkassen meldet sich eine neue Klientel bei uns. Familien, die sich viele Jahre wenig Gedanken machen mussten ums Geld, müssen sich nun plötzlich mit ihrem Budget auseinandersetzen. Anhand der Budgets, die wir erstellen, sehen wir, dass darunter auch Mittelstandsfamilien sind, die ziemlich genau auf den Medianlohn von 6665 Franken brutto pro Monat und Person kommen.

Zwei von drei der befragten Familien können nicht mehr als 500 Franken pro Monat zur Seite legen, ein Drittel gar nichts.

Auch bei uns zeigt sich, dass Familien von Jahr zu Jahr weniger sparen können. Für die Altersvorsorge über das gesetzliche Minimum hinaus bleibt ebenfalls fast nichts übrig. Budgets, die vor 30 Jahren noch gut gereicht haben, würden heute im Leben nie mehr aufgehen.

Mit welchen Fragen kommen die Leute zu Ihnen?

Das reicht von «Es geht um unsere Existenz» bis «Wir können uns unsere zwei Autos und die Strandferien nicht mehr leisten». Ich will die beiden Situationen nicht gegeneinander ausspielen, beide können belastend sein. Meiner Erfahrung nach haben Menschen, die ständig am Existenzminimum leben, mehr Kompetenzen beim Sparen und Kalkulieren. So hart es klingt – sie sind es gewohnt, jeden Franken umdrehen zu müssen. Für den Mittelstand hingegen ist das eine neue Erfahrung.

Können Sie diesen Menschen helfen?

Mit unserer Unterstützung schaffen es die meisten, ein Budget zu erstellen, mit dem es Ende Monat aufgeht. Fast immer kann man bei den variablen Kosten sparen: Weniger auswärts essen, Auto verkaufen, auch Skiferien waren ein grosses Thema in diesem Winter. Aber oft geht das mit einem Einschnitt im Lebensstandard einher. Gerade ein Auto kann sehr emotional werden. Das sind Statussymbole, die man aufgeben muss. Das schmerzt.

Was führt bei Paaren beim Thema Geld zu Diskussionen?

Die Frage: Wo streichen wir? Jedem ist etwas anderes wichtig. Eines bleibt jedoch gleich: Einsparungen bei den Kindern fallen Eltern sehr schwer. Sie versuchen wirklich, zuerst bei sich selbst anzusetzen. Aber die Freizeitgestaltung der Kinder ist für Eltern zunehmend ein Stressfaktor. Kindergeschenke, aufwendige Geburtstagspartys, Hobbys: Wenn Eltern nicht so grosszügig sein können, wie sie das möchten, ist die Scham gross. Ich erlebe immer wieder, dass Menschen am Telefon ihren Namen nicht sagen möchten.

Welches ist bei Familien finanziell der kritischste Punkt?

Der Moment der Familiengründung. Das erste Kind ist mit Abstand das teuerste, weil die Lohneinbusse so einschneidend ist. Die allermeisten Eltern reduzieren ihr Pensum deutlich. Ein Drittel weniger Einkommen ist realistisch. Die effektiven Ausgaben für das Kind schenken dagegen weniger ein, mit Ausnahme von längeren Ausbildungen im jungen Erwachsenenalter. Abgesehen davon bringt auch eine Trennung grosse finanzielle Veränderungen mit sich.

Gemäss Familienbarometer ist das Geld für manche Paare sogar ein Grund, auf weitere Kinder zu verzichten.

Klar, man braucht vielleicht eine grössere Wohnung, ein grösseres Auto beim zweiten oder dritten Kind. Aber die grosse Entscheidung ist eher: Kind oder nicht? Immer wieder kommen Paare mit der Frage, ob sie sich ein Kind leisten können. Die allermeisten machen sich meiner Erfahrung nach diesbezüglich jedoch keine allzu grossen Gedanken.

Der Dachverband Budgetberatung Schweiz, den Sie leiten, rät auf seiner Website ausdrücklich davon ab, «für Kinderwagen und Kinderzimmerausstattung einen Konsumkredit aufzunehmen». Eltern verschulden sich noch vor der Geburt fürs Kind?

Ja. Man wird als Eltern bombardiert mit Konsumangeboten, und jeder möchte seinem Nachwuchs etwas Gutes tun. Dann kommt das Kind, man reduziert das Pensum, aber die laufenden Ausgaben für den Konsumkredit bleiben unverändert hoch. Wir erleben immer wieder Eltern, die sich verschulden, weil sie ein Vermögen für ihre Kinder ausgegeben haben. Das betrifft übrigens alle Schichten, Verschuldung ist keine Frage des Einkommens.

Konsum als Beweis der Liebe zum Kind?

Wenn wir vorschlagen, dass man für einen Wickeltisch vielleicht auch mal bei einer Secondhandbörse schauen kann, spüren wir oft grosse Hemmungen. Man will nicht beim Kind sparen. Besonders Menschen mit mittlerem und höherem Einkommen sind sensibler in Fragen des Lebensstandards. Wenn sie Kinder haben, müssen manche von ihnen unter Umständen zum ersten Mal ins Brocki gehen.

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Liessen sich also einige Probleme vermeiden, würden Familien ihr Geld anders einsetzen?

Der häufigste Fehler ist: Viele Leute wissen nicht, wofür sie ihr Geld ausgeben. Sie kennen ihre Mietausgaben, Krankenkassenprämien und vielleicht noch die Steuern, dann hört es auf. Wenn wir sie fragen, wie viel sie für das Auto oder für Lebensmittel bezahlen, kommen meist Fantasievorstellungen. Mit diesem mangelhaften Überblick wird es natürlich schwierig, zu entscheiden, wie viel man für den Kinderwagen ausgeben kann.

Welche weiteren Budgetfragen machen Probleme?

Steuern und Krankenkasse, vor allem, wenn die Franchise hoch angesetzt ist. Beides verlangt, dass man Geld zur Seite legt, weil plötzlich hohe Rechnungen kommen können. Am Ende des Monats geht es bei den meisten irgendwie auf. Aber die langfristigen Ausgaben gehen oft vergessen. Und wir beobachten auch: Man versucht unglaublich lange, selber zurechtzukommen, bevor man sich Hilfe sucht. Im Schnitt gehen die Leute erst nach fünf Jahren und mit rund 40’000 bis 65’000 Franken Schulden in die Schuldenberatung.

Wo kann eine Familie am effektivsten sparen?

Kurzfristig: bei Freizeit, Verpflegung, Auto. Zudem haben die meisten Menschen zu viele oder zu teure Digitalabos für Streaming, TV etc. Hier ergibt sich rasch ein Sparpotenzial von mehreren Hundert Franken, die nicht schmerzen. Langfristig: Wohnen und Arbeitspensum. Eine neue Wohnung ist allerdings nicht immer die beste Lösung. Umziehen kostet Geld, man braucht neue Möbel, vielleicht ein teureres ÖV-Abo. Man muss sehr genau ausrechnen, ob sich das lohnt.

Ihr Finanztipp an Paare, die eine Familie gründen wollen?

Ein Budget machen, Reserven einrechnen, vorsichtig kalkulieren. Den eigenen Lebensstandard ehrlich anschauen. Können und wollen wir uns das noch leisten, und wie viel wollen wir aufgeben fürs Kind?

Es werden verschiedene politische Massnahmen diskutiert, um Familien zu entlasten. Aus Ihrer Erfahrung: Was würde Familien finanziell am meisten helfen?

Familien verschulden sich ganz klar am häufigsten wegen Auslagen in zwei Bereichen: Krankenkasse und Steuern. Bei den Steuern ist es weniger die Höhe als die Art, sie zu bezahlen, also einmal im Jahr. Ein monatlicher Direktabzug wäre einfacher zu handhaben. Aktuell die grösste Belastung für Familien sind aber die Gesundheitskosten. Das ist insofern deprimierend, als man sie nur bedingt beeinflussen und optimieren kann. Die Krankenkassenprämien können bis zu ein Viertel des Einkommens aufzehren. Darum sehe ich hier den grössten Handlungsbedarf.