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Authentisches Reality-TVGucken wir doch ein wenig Elchwanderung!

In weissen Leggings ziehen oder eher torkeln die Elche durch Schweden.

Manchmal dauert es etwas länger. In diesem Fall bis zum späten Vormittag, bis die vier Gefährten hinter den Bäumen auftauchen. Ganz erhaben laufen sie durchs Bild, von links nach rechts. Einer eindrucksvoller als der andere. Als wäre der Auftritt genau choreografiert, als wüssten sie, wie viel Abstand sie untereinander einhalten müssen, damit es super aussieht, und wo die Kamera steht. Einer nach dem anderen dreht den Kopf, schaut her, bleibt kurz stehen. Strike a pose.

Schauplatz Westpassage, nördliches Schweden, RTL+. Wo sich seit letztem Montag, passenderweise seit dem Earth Day, zwei Wochen lang Spektakuläres abspielen wird. Die grosse Elchwanderung vereint Komik, Drama, Spannung und Entspannung wie kein zweites Format. Der Plot ist simpel: Jedes Frühjahr ziehen Elche in kleinen Rudeln von der Küste ins Landesinnere und durchqueren dabei auch den Fluss Ångermanälven. An unterschiedlichen Schauplätzen installierte Kameras filmen dieses aufregende Geschehen. Ohne Skript oder Kommentar aus dem Off. Unverfälscht und ehrlich. Tierisch authentisches Reality-TV.

In Schweden läuft die Sendung mit dem Originaltitel «Den stora älgvandringen» bereits seit 2019 und ist so beliebt, dass nach Finnland nun auch andere etwas Elch-Erfolg abhaben wollen. Geo TV überträgt zweimal am Tag neunzig Minuten, auf RTL+ läuft der kostenlose Livestream durchgehend. Für die kurz getakteten Aufmerksamkeitsspannen des digitalen Menschen ist das pures Detox. Als die vier eingangs erwähnten Gefährten zu sehen sind, sind bereits knappe elf elchlose Stunden rum. Stattdessen: Morgendämmerung, Rabe auf Ast, verschneite Waldlichtung, Ente.

Da ist noch nicht mal ein Elch im Bild

Man kann guten Gewissens und ohne gross zu spoilern, verraten, dass in diesem Format öfter mal lange Zeit wirklich nichts passiert. Und die Kameras lediglich schwedische Naturaufnahmen zeigen. Wobei, was heisst schon lediglich? Verschneite Ebenen, dicht stehende Bäume, ein Flusslauf. Wie der Blick in einen Reisekatalog. Die Kamera filmt meistens eine Totale. Wenn mal nicht, erschrickt man fast. Huch, und schon wird die verschneite Landschaft rangezoomt. Aber es wird noch wilder.

Weil die Sendung nun mal «Die grosse Elchwanderung» heisst und nicht «Stille schwedische Landschaften», müssen früher oder später, genau, Tiere auftauchen. Ein Rabe war morgens schon da, irgendwann sind es sogar mehrere, und zwei Mäusebussarde kommen unglaublich gut rüber im Close-up. Aber wo sind – die Elche? Ist das noch ein Holzstoss oder schon ein zusammengekauertes Kalb?

Was es hier braucht, ist Fokus, Konzentration. Ständig sucht man den Bildschirm ab nach Bewegung, nach Leben. Was könnte es Meditativeres geben?

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Ein bisschen Comedy ist auch dabei. Die Elche, die gegen kurz nach elf Uhr an der Ostpassage auftreten, sehen mit ihrer Maserung aus, als hätten sie weisse Leggings an. Ihr Gang, von Haus aus eher torkelnd, wird auf dem eisigen Untergrund natürlich nicht sicherer. Also noch mehr Schlagseite, und hoppla, schon ziehts einem Protagonisten die Vorderläufe weg. Und das auch noch in Nahaufnahme. Aber: gerade noch gefangen. Puh.

Bei so viel Action schnell zurück an einen ruhigeren Schauplatz. Dieses Mal heisst der Ort «Festland», man sieht jedoch ein Gewässer, gut möglich, dass es der Ångermanälven ist. Irritierte Frage einer Kollegin, die man am Spektakel teilhaben lassen will: «Sind das da zwei dicke Entenbürzel?» Tatsache. Und schlussendlich ihr Fazit: «Toll, aber sehr wenig Elche.»

Ganz klar, da fehlen einfach noch Ausdauer und Geduld. Aber die kommen mit der Zeit. Das grösste Tier im schwedischen Wald muss man sich verdienen.

Im Nichts ist die Schwelle zum Best-of entsprechend niedrig

Wem die Entenbürzel schon aufregend genug sind, der sollte die Highlight-Clips aus den vergangenen Jahren vielleicht lieber nicht schauen. Da passiert zu viel. Man muss natürlich sagen: Im grossen kontinuierlichen Nichts wird schon auch schnell was zum Best-of. In der Zusammenfassung vom vergangenen Jahr kommen dichter Schneefall und ein Ast, von dem Wasser tropft, ganz gross raus. Aber auch ein Fuchs und ein Bär, die sich jeweils an einem Tierkadaver zu schaffen machen.

Das alles lässt erahnen, worauf man sich in den nächsten Tagen live gefasst machen muss. Elche, die ins Wasser galoppieren, im Fluss schwimmen, ins Eis einbrechen. Solche Szenen sind bei der grossen Elchwanderung in etwa das, was im Kinofilm «Dune II» die Szene ist, in der Timothée Chalamet unter lautem Getöse auf einem Sandwurm reitet.

Wer will sich das anschauen? Ziemlich viele, wie Statistiken zeigen.

Und dann natürlich der Sound: Wind, der durch die Baumwipfel zieht, quakende Frösche, krähende Krähen (was durchaus irritiert, wenn man den Livestream im Hintergrund laufen lässt). Ein plätschernder Fluss. Und vor allem im Wald: Stille.

Elche haben ja eher ein Maskottchen-Image. Der norwegische Ski-Rennläufer Kjetil Jansrud wurde einst «Baby-Elch» genannt; als der schwedische Manager Håkan Samuelsson MAN-Chef war, nannte man ihn einen «sturen Elch», und der «Göttinger Elch» ist ein Satirepreis. Ein paar Stunden im schwedischen Livestream zeigen jedoch: Dieses Tier hat mehr verdient. Wobei der Ausdruck Elchwanderung etwas schief klingt. Wandern hat schliesslich etwas Determiniertes, die Tiere hier schlendern jedoch eher. Aber eine Sendung namens «Das grosse Elchschlendern» zieht vermutlich nicht so gut.

Die grosse Elchwanderung im Livestream auf RTL+.