Oder wie “Neues Deutschland”, das Zentralorgan der Sozialistischen Einheitspartei (SED), am 29. Juni 1954 nach dem Auftritt der brasilianischen Elf im Wankdorf-Stadion gegen Ungarn titelte: “Brasilianer entpuppten sich als tollwütige Raufbolde.”

Nach einem harten Spiel auf beiden Seiten im Viertelfinal der Fussball- Weltmeisterschaft zwischen Ungarn und Brasilien am 27. Juni 1954 im Wankdorf-Stadion in Bern eskalierte das Spiel durch eine Schlägerei auf dem Spielfeld. Der Schiedsrichter hat den Brasilianer D. Santos und den Ungaren Bozsik nach einem Zuammenstoss und verweigertem Händedruck vom Feld geschickt, was den Tumult auslöste. Ungarn gewinnt den Viertelfinal der Fussball WM gegen Brasilien mit 4:2. Sicherheitsleute der Securitas versuchen ein grösseres Handgemenge zu verhindern. (KEYSTONE/PHOTOPRESS-ARCHIV/Str)
Der Korrespondent wusste zudem zu berichten, dass knapp eine Woche zuvor, am 20. Juni 1954, bei einem Spiel des Rio-Sao-Paulo-Pokals zwischen Botafogo und Partuguesa in Sao Paolo gleich alle 22 Akteure des Feldes verwiesen wurde und die Polizei eingreiffen musste, damit die “Zuschauer [nicht] an der allgemeinen Rauferei teilnahmen.”
Dass schon wenige Tage später die “aus Berufsspielern zusammengesetzte Nationalmannschaft bei der Fußballweltmeisterschaft in der Schweiz die gleichen Kostproben südamerikanischer Auffassung vom Fußballsport” preisgeben werde, habe da noch niemand geahnt. Das Ziel der Brasilianer sei “Sieg um jeden Preis” gewesen, “von ihren mehrere hundert Mann umfassenden Landsleuten auf wild schreiende und gestikulierende Art unterstützt und durch allerlei mögliche und unmögliche Lärminstrumente noch angefeuert.” Radioreporter Wolfgang Hempel schilderte für die “BZ am Abend” unter anderem, dass “[d]er normale Sportplatzbesucher entsetzt [war] – die Südamerikaner aber in ihrem Element. Sie schrien, ließen Sirenen ertönen, schwenkten Fahnen und last not least, sie fingen an zu Boxen, zuerst bei Spielende gegen die Schweizer Bundespolizisten, die absolut kein Verständnis dafür hatten, daß man jetzt das Spielfeld stürmen müßte…”
Im Anschluss habe es eine Rauferei unter Brasilianern gegeben, nämlich zwischen Spielern, Funktionären und Fanatikern unter einander, “daß die Fenster splitterten und der Putz von den Wänden fiel. Nach etwa zehn Minuten erschien die ganze Korona Arm in Arm auf dem Parkplatz hinter der Tribüne, bestieg den knallgelben Omnibus und entschwand singend wie ein Spuk aus einer anderen Welt. Das war Fußball-Brasiliens letzter Auftritt in der Schweiz.”
Vor der Abreise hatten die brasilianischen Spieler in den Katakomben des Wankdorf-Stadions aber noch Ungarn mit Schuhen und Flaschen beworfen, so dass mehrere der Magyaren Verletzungen erlitten. Zum Schluss des Artikels enervierte sich der Reporter dann noch, dass vor dem Spiel gegen Uruguay nun sechs Ungarn verletzt oder angeschlagen seien unter anderem Mannschaftskapitän Puskas, “der von dem westdeutschen Stopper Liebrich grundlos zusammengetreten wurde”, dies, so schliesst der Bericht “ist das Resultat, wenn die amerikanische Unkultur auch im Sport ihr Unwesen treibt.”
Lesen Sie nächsten Montag: Die Reaktionen in der DDR auf das Auftreten der brasilianischen Mannschaft.
Quelle: “Neues Deutschland” vom 29. Juni 1954, zu konsultieren z.B. in der Schweizerischen Osteuropabibliothek Bern, an der Hallerstrasse 6.
« Zur Übersicht
Unterdessen haben einige von uns einiges von dieser amerikanischen Unkultur angeeignet.
Also ich für mich das Gejohle nach dem Spiel.
Sensationeller Beitrag, ausserordentliche Recherche! Mit einer Securitas, die eher speziell gekleidet ist. Hatten die eine Partnerschaft mit der rumänischen Truppe ähnlichen Namens?
hochinteressant, vielen Dank! Traurig, dass
für die Ungarn auch noch negative Nachwirkungen im Final hatte.
Vor allem wegen dem Liebrich, Herr Alleswisser. Bei dem ich in den 90ern regelmäßig den kicker kaufte.
Ich habe nicht so viel verstanden, ausser dass Corona offenbar schon damals erschienen ist.
Übrigens ein sehr schöner, gelungener Beitrag, damit das auch lobend vermerkt ist! Hätte eindeutig mehr Kommentare verdient.
Hier ein Kommentar in Würdigung des Beitrags. Bravo.
+1, Herr Bieri.
Trotzdem muss Herr Briger heute wahrscheinlich ohne Steak ins Bett. So sad!