Das wahre Märchen von Zermatt
Canyoning im Winter? Die Reise durch ein echtes Wintermärchen ist so fantastisch, dass man vergisst zu frieren.
Hochbetrieb kurz vor Weihnachten: Am Fusse des Matterhorns wird kein Meter von wintergenüsslicher Relevanz verschont. Jeder soll sein Märchen finden. Doch mitten im Skigebiet gibt es einen Ort, der höchst selten von Menschen betreten wird. Nur schüchterne Blicke finden den Weg dorthin, doch selbst diese sind rar – was sollte denn schon sein dort unten, wo im Sommer die Gornera donnert und im Winter die dunklen Felsen unter Schneewulsten hervorlugen und überaus abweisend wirken, als hüteten sie ein düsteres Geheimnis?
Das Abseilen ist mulmig. Ein Seil schnell ums Geländer gefädelt, geht es in die Tiefe – mitten in die dunkle Schlucht. Vorsichtig setzt man auf der Eisplatte auf, die einen wenig vertrauenserweckenden Boden bildet. Und dann bricht sie auch schon ein. Schwimmen ist angesagt, man klettert sorgfältig auf die nächste Eisplatte – sie hält, solange man sich bäuchlings bewegt wie ein Pinguin. Dann endlich ein Fels, Zeit sich umzuschauen.
So sieht es also aus, wenn ein Bergbach Pause macht von seinem Trieb, sich tief in die Felsen zu fressen: runde Steinformen mit marmorierten Mustern, Schneepolster, die im Kontrast zu scharfen Eiszapfen stehen. Überhaupt Kontrast! Ist das wirklich noch Zermatt? Eben stand man noch im emsigen Treiben von Wintersportbienen mit Pelz und Gopro. Doch jetzt ist es ruhig, ein einziges Abseilen wird zum steilsten Gradient der Realitäten.
Man fühlt Geborgenheit inmitten erstarrter Naturgewalt nebst kaltem Wasser im Neopren, das der Körperwärme den Kampf ansagen will. Doch die Wärme siegt, denn zu fantastisch ist diese Schlucht, die Fortbewegung ebenso spannend wie anstrengend. Man hat keine Zeit zu frieren: abseilen, einbrechen, schwimmen, mit den Steigeisen über fauchende Felsen kratzen. Erst als man mitten im Dorf endet, gewinnt die Kälte. Doch nur kurz: selten fühlt sich eine Sauna besser an, als nach der Entdeckung von Zermatts wahrem Märchen.

Die Reise in die Gornerschlucht wurde durch Fred Bétrisey, Hervé Krummenacher und Timo Stammwitz ermöglicht.
6 Kommentare zu «Das wahre Märchen von Zermatt»
Schön – einfach schön! Habe lange gesucht alle Bilder zu sehen, im Printmedium komischer Hinweis, nach ein paar Tagen immernoch schön!
Grossartig. In jungen Jahren hätte ich auch dabei sein wollen.
Früher hatten wir durch ähnliche Schluchten Holz transportiert im Winter, hatten oft fürchterlich gefroren und vor allem wenig verdient, heute finden es die Leute toll, nur so, durch Wasser und Eis zu krabbeln, in teuren Kleidern und bezahlen auch noch dafür. Ihre Arbeitgeber, Krankenkassen und Unfallversicherungen haben , so wie deren Prämienzahler ja jegliches Einsehen für solches Tun, wurden doch diese Leute von schönen farbigen Bildchen unwiderstehlich in die tiefsten Abgründe gelockt!
Lieber Herr Boss, man könnte sich auch einfach darüber freuen, dass heute das Leben in vielen Belangen einfacher ist, als damals. Genau dafür haben wir damals nämlich geschuftet: Für eine bessere Zukunft.
…Wie Geschrieben,wir hatten Holz transportiert und auch niemand anderes in Gefahr gebracht. Während der Vegetationszeit hatten empfindliche Pflanze und Tiere Ruhe von uns! Ich habe ganz bestimmt nicht geschuftet, um den hintersten Winkel auf dieser Erde zu zerstören!
Mir fehlen auf den Bildern etwas die empfindlichen Pflanzen und Tiere, die gestört werden. Oder reden Sie über Seetang und Forellen?
Außer ein paar Kratzer im Fels, die nach dem nächsten Unwetter vom Schutt abgerieben sind, schadet man dort doch keinem und zerstört auch nichts.
Warum muss man sich über alles stören, als sich den an den Bildern zu erfreuen?