Betreff: Innere Sicherheit
Was braucht ein Mensch, um sich sicher zu fühlen? Die Ausstellung «Innere Sicherheit / The State I Am In» in Köln geht dieser Fragen nach.
Foto: Jochem Hendricks; © 2016, Pro Litteris, Zürich
Die Trennung in einen privaten und einen öffentlichen Bereich ist mit dem Liberalismus des 18. und 19. Jahrhunderts und dem Gedanken des grundlegenden Schutzes individueller Freiheit und Autonomie vor unzulässigen Eingriffen des Staates oder der Gesellschaft verbunden. Die Privatsphäre soll einen Raum des Rückzugs schaffen und die eigenen vier Wände ein Refugium bieten, in das wir nur ausgewählte Menschen hineinbitten.
Seit einiger Zeit verändern sich nicht nur die Konzepte des Privaten, sondern auch die damit verbundenen Verhaltensweisen. Das, was schützenswert ist oder was mit der Öffentlichkeit geteilt werden kann, wird unterschiedlich bewertet. Ununterbrochen können wir an dem privaten Leben anderer teilhaben, Bilder davon betrachten. Auf den Smartphones vermischen sich die eigenen Fotos mit Fotos von Freunden und Fremden; wir betrachten sie an der gleichen Schnittstelle, nichts unterscheidet die eigenen Erinnerungen mit
denen der anderen.
© Allan Gretzki, Am Güterbahnhof, 2010
Allan Gretzki hat nach der Loveparade-Katastrophe in Duisburg 2010 persönliche Gegenstände wie Brillen, Taschen, Schmuck, Schuhe, Kleidungsstücke oder Taschen aufgesammelt und sachlich dokumentiert. Die Bilder, die wir von diesen Ereignissen in unseren Köpfen haben, beeinflussen unsere Wahrnehmung der Fotografien. Versammlungen wie die Loveparade, aber auch Demonstrationen, sollten keine Orte der Unsicherheit sein – Menschenmengen sollten nicht angsteinflössend sein, sondern eher ein Gefühl von Zusammengehörigkeit vermitteln.
Am Leben, 2012 © Daniel Josefsohn
Daniel Josefsohn hat in seiner wöchentlichen Fotokolumne «I’ll be back soon» im «Zeit-Magazin» sein gesamtes Leben, seinen Tagesablauf nach seinem Schlaganfall, dargestellt und über sehr Persönliches berichtet. Wie weit kann man gehen, wann ist man noch sicher bei einem so offenen Umgang mit seinem Privatleben in der Öffentlichkeit – und warum haben immer mehr Menschen immer weniger Hemmungen, ihr Leben in Blogs, vor Life-Webcams, in sozialen Netzwerken zu teilen?
© Jason Lazarus
Der Amerikaner Jason Lazarus hat für seine Serie «Too hard to keep» Menschen aufgefordert, ihm Bilder zu senden und sie ihm zur Verfügung zu stellen; Bilder, die sie nicht mehr besitzen wollen – weil sie mit traurigen oder schlechten Erinnerungen verknüpft sind, mit peinlichen Momenten, mit Andenken an Menschen, die sie vielleicht vergessen wollen. Die Verknüpfung von Emotionen und Erinnerungen an Fotografien interessiert uns im Hinblick auf das Thema ebenso wie die Frage nach der Wichtigkeit und Notwendigkeit von Fotografien für das Andenken an die Vergangenheit.
Max Regenberg, Kosovo‚ 1994, L.B. System Koeln-Mitte © 2016, Pro Litteris, Zürich; Courtesy Galerie Thomas Zander, Köln
Der Kölner Max Regenberg hat schon seit den 1970er-Jahren die Grossflächenplakate in den Strassen der europäischen und amerikanischen Städte dokumentiert. Die Benetton-Kampagnen der 1990er-Jahre waren umstritten, da sie dokumentarische Aufnahmen, Nachrichtenbilder von Soldaten oder Aids-Kranken, Themen wie Krieg, Rassismus oder Umweltverschmutzung in der Werbewelt thematisierten.
Francesco Jodice, Hikikomori, 2004 © Francesco Jordi; Courtesy Umberto Di Marino Arte Contemporanea, Napoli
Immer wieder gibt es Tendenzen, aus der Gesellschaft aussteigen zu wollen. Der italienische Fotograf hat sich mit Jugendlichen in Japan beschäftigt, die ihre privaten Zimmer nicht mehr verlassen können. «Hikikomori» werden von ihren Eltern oft dabei in dem Sinne bestärkt, dass sie ihr Verhalten nicht ändern, um die «Schande» vor Freunden, Nachbarn und Fremden zu verheimlichen. Die Jugendlichen kommunizieren zwar über die digitalen Medien, in sozialen Netzwerken, haben aber eine grosse Furcht, ihre sichere, ihnen vertraute Umgebung zu verlassen.
© Jan Dirk van de Burg, Censorship Daily, 2012
«Censorship Daily» ist der Titel der Arbeit des holländischen Künstlers Dirk van de Burg. Er zeigt zensierte Zeitungen im Iran. Den Zensoren geht es dabei vor allem um die dargestellten Fotografien in den ausländischen Zeitungen, die für Mitarbeiter der ausländischen Konsulate nach Teheran gesendet wurden – nur einige explizite Details werden mit geometrischen Formen beklebt, Texte sind in der Regel unberührt. So entsteht eine besondere, eigenwillige Ästhetik durch die Zensur.
© Luisa Whitton, What about the Heart? 2011–2015
Die Engländerin Luisa Whitton hat für ihre Serie «What about the Heart» den japanischen Wissenschaftler Hiroshi Ishiguro in seinem Labor in Osaka besucht. Dort hat er lebensechte Roboter gebaut, einen auch nach seinem eigenen Vorbild. Japaner haben einen anderen, weniger von Ängsten geprägten Zu- und Umgang mit Robotern. Luisa stellte eher emotionale Fragen an diese Entwicklung, und auch Hiroshi Ishiguros Antworten sind nicht immer wissenschaftlich analytisch. Wie verändern die Menschen sich, ihre Selbst-Versicherung bei der Konfrontation mit Robotern? Und wann werden wir sie in unserem täglichen Umgang für ganz normal erachten? Wie wird unser Umgang mit ihnen in Zukunft sein?

Die zentrale Ausstellung «Innere Sicherheit / The State I Am In» des Photoszene-Festivals 2016 ist von Katja Stuke und Oliver Sieber kuratiert worden. Ein Teil der Ausstellung ist bis zum 30. Oktober 2016 in den Kunsträumen der Michael Horbach Stiftung in Köln zu sehen.
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