Nichts läuft mehr in London

Schon beinahe Dauerzustand: Verkehrschaos in London – hier aufgrund eines Uber-Streiks. (Bild: Reuters/Luke MacGregor)
So hat es irgendwann kommen müssen. In Hammersmith stehen alle Räder still. Nichts läuft mehr. Nichts bewegt sich. Nach einer halben Stunde beginnt sogar das verzweifelte Hupen im erstarrten Kreisverkehr zu ersterben. Im Grunde könnte man das Auto mitten auf der Strasse stehen lassen und nach Hause gehen.
Warnungen hat es ja genug gegeben. Hier in West-London, wie anderswo an der Themse, sind die Durchgangsstrassen seit langem zum Bersten gefüllt. Und obwohl die roten Doppeldecker zur Stosszeit über eine eigene Busspur verfügen, stecken auch sie, wegen der blockierten Knotenpunkte, heillos im Gedränge fest.
Ausweichen auf die Schiene?
Nur mit dem Fahrrad oder zu Fuss kommt man noch ans Ziel, in diesem Blech-Chaos. Mit meinem Rad, hat jemand mir vorgerechnet, wäre ich oft sogar auf Londons Ringautobahn M25 schneller als mit dem Auto.
Auf einem M25-Abschnitt, nahe Dartford Tunnel, beträgt die Durchschnitts-Geschwindigkeit inzwischen früh morgens noch 15 km/h und im Feierabend-Verkehr 11 km/h. Vom Bau doppelstöckiger Autobahnen ist inzwischen die Rede statt von besseren öffentlichen Systemen: Bei den Bussen hat die Zwei-Etagen-Idee ja auch funktioniert.
Ausweichen auf die Schiene? Das hat auch seine Tücken. Denn die Bahnen sind ebenfalls voll bis obenhin. Kürzlich bei einer Fahrt nach Brighton bin ich, bei einem Streit um die letzten Sitze, Zeuge regelrechter Handgreiflichkeiten geworden.
Dummerweise werden zurzeit auch noch bittere Arbeitskämpfe zwischen Bahngesellschaften und Bähnlern ausgetragen. Viele Zugverbindungen fallen aus. Englands Zugpassagiere stehen sich zur seligen Weihnachtszeit zu Tausenden die Beine in den Leib – wenn nicht in den Zügen selbst, dann an den Bahnsteigen, beim Warten auf einen Zug.
Immer mehr Pendler aus der weiteren Umgebung Londons, mit denen man spricht, wissen sich nicht mehr zu helfen. Eltern kleiner Kinder bekommen ihren Nachwuchs nicht mehr zu sehen. Einige unserer Bekannten haben das Pendeln aufgegeben und gute Stellen in London gekündigt. «Wir können nicht stundenlang auf Bahnhöfen herumstehen oder in endlosen Autoschlangen sitzen», klagt eine junge Frau, die dem Familienleben just ihren City-Job geopfert hat.
Kampf der «4×4»-Geländewagen
Verkehrsforscher haben unlängst gemeldet, dass auf Grossbritannien fast 50 Prozent der Verkehrsengpässe von ganz Europa entfallen. London hat im Strassennetz achtmal so viele «Problemstellen» wie Rom. Die wachsende Aggressivität darüber ist überall zu spüren. Im «Road Rage» hat vor allem der Kampf der «4×4»-Geländewagen groteske Formen angenommen.
Kein Wunder: Fahrspuren und Parkplätze sind zu eng bemessen, für die immer grösser und breiter werdenden Fahrzeuge. Und je ungeduldiger die Fahrer werden, desto wütender kämpfen sie um den Raum, den sie beanspruchen. «Ein Volk! Ein Reich! Ein Range Rover!», hat ein hiesiger Kollege die Stimmung aufgespiesst.
Weitgehend unbehindert kommt man mit dem Auto heute im Grunde nur noch zwischen drei und vier Uhr nachts durch London. Das ist mir kürzlich einmal aufgefallen, als ich auf der Suche nach Medikamenten für Freunde durch die Stadt gekreuzt bin. Um diese Uhrzeit sind auch «Problemstellen» kein Problem mehr. Nach fünf Uhr wird es dann an den Engpässen aber schnell wieder eng.
28 Kommentare zu «Nichts läuft mehr in London»
wäre das photo nicht gewesen, hätte ich geglaubt, dass da einer über zürich schreibt. auch in LONDON wurde bis zum kollaps «verdichtet»… und jetzt? keiner weiss weiter.
anstatt, dass wir hier in zürich unsere lehren daraus ziehen und mit der verdichterei stoppen, solange es noch ginge, machen wir munter weiter! nun, was eines tages auch bei uns realität sein wird, konnten wir ja bereits mit den überfüllten zügen in richtung tessin sehen, wo leute gezwungen wurden, auszusteigen, weil die bremsen sonst nicht mehr mitmachen.
wir sind genug menschen hier – ganz besonders in zürich!
Wie überall, wurde in Sachen Verkehrsplanung zu wenig gemacht. Die Automobilisten sind durchaus gewillt, etwas für den flüssigen Verkehr zu bezahlen, aber oft wird das Geld aus der Spritsteuer, Vignette, Autosteuer etc. zweckentfremdet, um Löcher im Haushalt zu stopfen.
Auch in Zürich wurde viel zu wenig gemacht in den letzten 20 Jahren, die Nadelöhre sind die gleichen wir früher.
Ergebnis: ich fahre nur noch in die Stadt, wenn ich unbedingt muss. Schade !
(Da ich von auswärts komme, geht das mit der S-Bahn nicht gut)
Herr Ritzi
Wo ist „auswärts“ ?
Die Londoner werden eine Lösung finden. Denn wenn nichts mehr geht ist der Erfindergeist ab grössten. Die Multikopter werden dereinst in den Weltstädten als erstes zu sehen sein. Natürlich werden auch dann vor allem die Reichen diese nutzen können/dürfen.
Heute sind alle fähig einen SUV zu fahren und sich darin wie ein König zu fühlen. Selbst im Stau. Dass das Fahrzeug eigentlich fürs Gelände gedacht war, werden sie dann mit der Zeit schon noch lernen. Die Dinger fahren auch über Bürgersteige…….
Die Privatisierung und konsequente Vernachlässigung des öffentlichen Verkehrs trägt Früchte. Aber einige Leute wollen das ja auch für die Schweiz.
Habe fuer ueber 10 Jahre in London gelebt und der Verkehr war schon vor 18 Jahren fuerchterlich. Ich wohnte am aeusseren Ende von Westminster und arbeitete in der Naehe der Square Mile. Auto 45 min, Underground 55 min und Motorrad 20 min…Man wird halt manchmal etwas Nass aber es lohnt sich auf jeden Fall.
Ein sehr wichtiger Aspekt welcher hier nicht erwähnt wird: Verkehr ist immer im Zusammenhang mit Raumplanung und Siedlungsstrukturen zu sehen.
London ist die Stadt mit den weltweit höchsten Bodenpreisen. Wohnen in London ist extrem teuer, viel Wohnfläche funktioniert als Anlageobjekt für die Superreichen und die Menschen, die in London arbeiten, müssen immer weiter nach aussen ziehen für bezahlbaren Wohnraum. Das generiert extrem viel Verkehr.
Eine gute soziale Durchmischung, Mischzonen für Wohnen und Arbeiten und wenig Zweitwohnungsanteil ergeben kurze Wege und wenig Verkehrsprobleme. Zudem macht es den ÖV wirtschaftlicher.
Alle Zentralismen haben zunehmende Verbindungs- und Verteilungsprobleme: Verkehr, Energie, Ernährung. Gescheite Leute würden nun auf Dezentralismus setzen, doch lässt sich mit dem Bau immer neuer Strukturen viel Geld „machen“. Regional, saisonal, umweltgerecht soll neben Erdbeeren und Tomaten auch bei Jobs und Energie greifen.
Die Politik der Innenstadtzufahrtsbeschränkung, exorbitante Preise für öffentliche PP, usw. sprich dem Strassenverkehr jede Fahrt zu vermiesen hat voll funktioniert. Schritt für Schritt scheint sich unser Stadtrat dem anzunähern..
Es hat zuviele Fahrzeuge in London, zuviele Pendler. Mindestens den Zustrom von Fahrzeugen hat unsere Stadt im Griff. Der „Stau“ findet vor den „Stadttoren“ von Zürich statt. Es werden nur Autos hineingelassen wenn der Verkehr fliesst.
Was schlagen Sie denn vor wenn die Vernunft keine Chance hat? Ein Auto für durchschnittlich 1,2 Personen ist ja auch etwas krass oder?
Der Titel sagt schon alles! Wenn nämlich mehr Briten laufen würden könnte man auch fahren!
Sie meinen wohl eher: Wenn die anderen laufen würden, dann könnte ich fahren.
In der Geburtsstunde der Raumplanung (1980) ist bei uns auch der Begriff ‚Dezentrale Konzentration‘ geboren worden: Es sollten nicht alle öffentlichen und privaten Verwaltungen auf ‚Teufel komm raus‘ in den Städten angesiedelt werden. Leider ist dann im Grunde genau das Gegenteil passiert. Erlebt dieser Begriff nun eine Wiedergeburt, wenn der Kanton Bern beabsichtigt, die kantonale Verwaltung auszulagern? Eine solche Auslagerung könnte ein Ansatz sein für die Linderung der Verkehrsprobleme in den Städten. Das EPS-Programm des Kantons ist ein Schritt in die richtige Richtung, der aber durch die Bevorzugung der Städte und Agglomerationen im neusten Richtplan bereits wieder relativiert wird. Dezentrales Wachstum statt Wachstum in den Städten ist das Gebot der Stunde.
Die Briten treiben viel Aufwand für ein eloquentes Auftreten. Dabei geht die Zeit um etwas umzusetzen oder zu unterhalten verloren. Logische Konsequenz: GB weist in vielen Bereichen wie öffentlicher Raum, Verkehr oder Lohnschere Drittwelt-Niveau auf.
Wann kommen die Engländer auf die Idee, Doppelstockwagen einzusetzen? Gibt es im Moment noch nicht, nur weil überall Passerellen über die Züge gehen…
Das Lichtraumprofil des britischen Bahnnetzes entspricht nicht demjenigen des kontinentaleuropäischen Bahnnetzes. Die Tunnel- und Brückenprofile sind derzeit zu niedrig. Andrerseits liegt die zulässige Höhe für Strassenfahrzeuge bei 4,9 Metern (statt nur 4 Metern auf dem europäischen Kontinent. Somit ist das Fassungsvermögen in Kubikmetern von LKW und Aufliegern fast 20% grosser als beispielsweise in der Schweiz.
Man kann 80kg Mensch mit 150 Ross und einer 1500 kg schweren Verpackung transportieren. Man kann auch mit Kanonen auf Spatzen schiessen. Klug ist weder das ein noch das andere. Was sagt das nun über diejenigen aus die es trotzdem tun? Tag für Tag, Jahreinjahraus.
Bei einem Range Rover können das auch gut über 2500 kg mit bis zu 550 Rösschen seis. Allenfalls ist der Mensch dann auch über 100kg fett – macht aber die Ratio auch nicht besser…
In einem Range Rover ist man sicherer und sitzt bequemer, als in einem alten englischen Mini. Auch wenn es ein Cooper S wäre. Harte Federung. Sogar im Stau. Sehr bequem sind auch diese Jaguar oder Daimler Limousinen. Egal XJ6 oder gar XJ12. Diese sanften Katzen schnurren so leise, dass nichts den Musikgenuss stört. Etwa vom Royal Philharmonic Orchestra. Mach’s mit Stil und very british.
Kann man das als Beleg nehmen das road pricing nicht funktioniert?
Nein, road pricing funktioniert in London vorzüglich. Ich habe in den Jahren vor und nach der Einführung der Congestion Charge in London gelebt und der Unterschied war gigantisch. Mit dem Bus ins Zentrum zu fahren war vor der Einführung der Maut oft nicht schneller als zu Fuss zu gehen. Vom Auto bzw. Taxi ganz zu schweigen. Es hat sich gezeigt, dass ein paar Prozent weniger Autos auf der Strasse den Unterschied zwischen totaler Blockade und fliessender Verkehr ausmachen können, wenn ein System am Limit ist. Übrigens bezahlen die meisten Automobilisten lieber die Congestion Charge als dass sie Stunden lange im Stau stecken. Das erklärt auch, weshalb der konservative Bürgermeister Boris Johnson die Maut nicht etwa abschaffte sondern sogar noch ausweitete.
Andere Städte haben das besser im Griff – es ist also machbar und eine Frage des (politischen) Willens, bessere Lösungen zu finden.
z.B. habe ich in Toronto (nicht viel kleiner als London, weder Stadt, noch Grossraum) extrem wenig Stau erlebt: Dort dürfen Autos die linken (Überhol-)Spuren nur verwenden, wenn mehrere Personen drin sitzen. Und siehe da, plötzlich funktionierten Fahrgemeinschaften! Wer alleine fährt, riskiert immer noch Staus. Wer das Auto mit anderen teilt, ist schneller. Ein einfaches Rezept, aber wirkungsvoll.
Ich bin sicher, wenn der Leidensdruck gross genug ist, finden auch die Londoner plötzlich ihre Lösung.
London hat gegen 9 Millionen Einwohner und ist eine urpsrünglich mitteralterliche Stadt. Toronto hat nicht mal 2,5 Millionen und wurde mehr oder weniger auf den Reissbrett geplant. Toronto hat unendlich mehr Platz als London. Und es gibt nur eine Möglichkeit: Weg vom Auto. Ein eigenes Auto zu haben ist ein auslaufendes Phänomen des 20. Jahrhunderts.
Herr Süss, sie können doch nicht ernsthaft Toronto mit London vergleichen. Toronto hat 2.6 Mio. und London 8.6 Mio. Einwohner. Auch zgl. der Metropolregion ist London mehr als 2.5 so gross.
Zitat: Die Briten versinken im Verkehrschaos. Ihrem Korrespondenten sollte eigentlich bekannt sein, dass die Mehrheit der Briten nicht im Großraum London wohnt und somit kein tägliches Verkehrschaos kennt.
Ca. 1/7 der Briten wohnen/leben in London. Und da gibt es noch weitere grosse Städte wie Birmingham oder Leeds. Und kennen Sie die Verkehrssituation auf den Hauptautobahnen in England?
Verwunderlich? Die vermeintliche selbsternannte intellektuellste Spezies dieser Kugel – die dümmste in Wahrheit. Ein solches Chaos – der Komposthaufen unserer Zivilisation.