Die Angst vor dem Glück

Seit er privat glücklich ist, leidet seine Kreativität: Sänger Robbie Williams mit seiner Frau Ayda Field am Filmfestival in Cannes. Foto: Lionel Cironneau (Keystone)
Ich gehöre zu den Leuten, die Mühe haben, Glück zu geniessen, weil ich mir dessen Flüchtigkeit ständig bewusst bin. Geht es mir gut, überkommt mich oft das Gefühl: Von nun an gehts bergab. Und da das Leben bekanntlich eine Achterbahn ist, sind diese Gefühle durchaus berechtigt.
Eine kleine Umfrage in meinem Freundeskreis brachte Beruhigendes zutage. Mit meiner «fear of happiness», wie Psychologen dieses Phänomen bezeichnen, bin ich nicht alleine. Auch Fachleute sind überzeugt, dass es viele Menschen mit einer eigentlichen Glücksphobie gibt. Die beispielsweise das Gefühl haben, sie hätten das Glück nicht verdient, oder die Angst davor haben, dass sie mit ihrem Glück den Neid anderer erwecken könnten. Zwar sei diese Scheu vor dem Glück keine psychische Krankheit, aber ein Phänomen, das man immer öfter sehe.
So ist dem klinischen Psychologen Paul Gilbert von der University of Derby aufgefallen, dass vor allem depressive Patienten grosse Probleme haben, sich selbst Freude oder Genuss zuzugestehen. Gilbert glaubt, dass solche Bedenken schon früh entstehen, etwa, wenn Kinder die Erfahrung machen, dass sie sich auf etwas freuen, das dann nicht eintritt. Der Wissenschaftler Mohsen Joshanloo von der Keimyung University im südkoreanischen Daegu hat untersucht, warum viele Menschen einen Glücksbammel haben. Er sieht dafür vier Gründe:
- Glücklich zu sein, macht es wahrscheinlicher, dass es wieder bergab geht.
- Glücklich zu sein, ist unmoralisch.
- Glück auszudrücken, verstärkt die Distanz zu Mitmenschen.
- Das Streben nach Glück tut einem nicht gut.
Bei Punkt 1 kann ich nur zustimmen. Punkt 2: lächerlich! Punkt 3: Da ist was dran. Punkt 4: genau! Denn in unserer Gesellschaft ist die Jagd nach dem Glück oberste Maxime: Wir suchen es überall und finden es kaum mehr. Doch das Glück lässt sich weder herbeizwingen, herbeireden noch festhalten. Es ist auch nicht «machbar», indem man es kräftig schmiedet. Glück ist eine Momentaufnahme, ein Geschenk, das durch seine Vergänglichkeit so kostbar ist.
Heute wird mir an jeder Ecke Glück verkauft. Aber ich brauche keine Glücksmagazine vom Kiosk, keinen Glücks-Workshop und auch kein Glücksyoga. Ich finde es befremdlich, wenn Glück in Deutschland in Schulklassen gelehrt wird (siehe Video), und wenn ich auf Facebook die vielen glücklich Grinsenden sehe, wird mir ein bisschen übel. Wen wollen die Glücklichen von ihrem Glück überzeugen? Ich denke, in erster Linie sich selber. Ich lese auch keine Bestseller, die mir zum schnellen Glück verhelfen wollen. Und will ich meine Stimmungslage aufhellen, dann brauche ich keine Glückspillen, eine Toblerone XL tut ihre Dienste auch.
Einblick in den Glücksworkshop für Schüler. Video: Gluecksminister
In Anbetracht der Weltlage ist zeitweilige pessimistische Weltsicht doch nur normal und bedarf, abgesehen von einer Depression, keiner psychologischen Behandlung. Auch wenn gewisse Fachleute da ein neues Geschäftsfeld wittern. Und ein etwas niedergeschlagener oder melancholischer Zustand kann durchaus seinen Reiz haben und hat schon viele Künstler zu Wunderbarem inspiriert.
Was man vom Glücklichsein nicht behaupten kann. So glaubt zum Beispiel Robbie Williams, dass sein privates Glück seiner Kreativität geschadet habe. «Ich muss zugeben, dass meine Songs tatsächlich nicht mehr so gut sind, seit ich so glücklich bin», sagte der 41-jährige Sänger in der «Welt am Sonntag». Ich mag Robbie sein privates Glück gönnen, aber ich vermisse seinen Weltschmerz.
Und dann denke ich an Udo Jürgens, der in einem Interview zu seinem 80. Geburtstag im «Zeitmagazin» gesagt hat: «Das Glück ist ein flüchtiger Vogel. Er setzt sich bisweilen auf deine Schulter und beschenkt dich mit seiner Gegenwart, aber er ist ganz schnell wieder weg. Du musst jeden Glücksmoment mit einem traurigen Moment bezahlen. Das ist der Ausgleich im Leben.» Und wo Udo recht hatte, hatte er recht.
Was macht uns glücklich? Der Psychiater Hector wills wissen. Video: Movie Trailers
21 Kommentare zu «Die Angst vor dem Glück»
Eigentlich könnte jeder alles haben, auch Glück. Damit meine ich, dass einem nur Gutes wiederfährt und somit
wäre man glücklich. Die meisten Menschen wissen aber gar nicht, wie das geht. Man könnte viel Geld, gute Freunde, eine
wundervolle Beziehung haben usw.
Apropos Glück. Es hat einmal einer gesagt: „Ich bin glücklich, wenn ich das Chaos sehe, in das ich Belgien gestürzt habe.“
Abgesehen davon gibt es normalerweise ja einen Grund, wieso man Glücklich ist. Wenn man zum Beispiel eine Prüfung erfolgreich bestanden hat, so ist man zuerst doch glücklich. Und gewöhnt sich schnell genug daran, um dann mit klarem Kopf die weiteren Sachen anzupacken. Aber nur weil das Glück nachlässt, wird man ja nicht gleich darauf wieder unglücklich. Es muss auch nicht gleich immer ein Unglück folgen. Ohnehin nie lange während, kann man das Glück ruhig geniessen.
Ich kann mit dieser pessimistischen Haltung wenig anfangen. Streben nach Glück macht für mich das Leben überhaupt lebenswert. Allerdings scheinen die meisten Zeitgenossen ein falsches Konzept von „Glück“ zu haben. Glück ist in erster Linie ein innerer Wert, den man finden muss. Dazu braucht es Psychohygiene und ein klares Bild von dem, was man will. Wenn man das hat, kann man „viel“ errreichen und tatsächlich ein glückliches Lebensgefühl kultivieren, das einhergeht mit Dankbarkeit und Zufriedenheit.
Wenn man von diesen Gedanken nicht wenigstens eine Grundahnung hat, ist man wirklich arm dran.
Es gibt keinen Anspruch auf Glück. Aber wenn an Unglück erfahren hat fällt es schwer, in das Glück zu vertrauen. Es macht auch keinen Sinn, in einen Zustand zu vertrauen, der flüchtig ist. Es darf aber auch nicht sein, sich jeden Glücksmoment von Angst verdorben wird. Bleibt nur: Das Glück geniessen, wenn es da ist. Und Unglück irgendwie zu überstehen.
Wenn wir wissen, wie sich Unglück anfühlt, fürchten wir uns vor dem Glück, weil uns dessen Flüchtigkeit bewusst ist.
Glücklichsein verbinde ich mit einem unbeschreiblich seltenen Moment des wohligen Durchrieselns eines Schauers über meinen Rücken beim Anblick von einem geliebten Menschen. Wenn es mich scheu werden lässt vor guten Gefühlen, die in diesem Moment keinen Raum lassen vor negativen Gefühlen und Gedanken. Ein Blackout sozusagen, das mich umhüllt und mich geistig abheben lässt. Es ist der Moment, wo ich beim Betrachten von Tautropfen auf einem duftenden Blumenblatt tief einatme und dabei die Augen schliesse….
Leben in der Einbildung von Glück.
Ist es nicht viel eher so, dass es gar kein eigentliches Glück gibt?
Philosophen haben dies jedenfalls so ähnlich definiert.
Die Maxime scheint eher das Unglück.
Dieses Unglück gilt es eben möglichst zu begrenzen.
vielleicht hilft es, wenn nicht nur glück, sondern auch unglück als flüchtig anerkannt wird.
Vielleicht sollte man einfach der Tatsache ins Gesicht sehen, dass Glück eben ein flüchtiger Vogel ist? Das man Glück nicht konservieren kann und erhalten, da das Wesen des Glücks an sich flüchtig ist und niemals längerfristig bestehen kann.
Warum möchte man überhaupt Glücklich sein (meistens im Zusammehang mit langfristigem Denken ausgedrückt)? Ich verstehe das absolut nicht. Glück sind doch diese kleinen Momente wie Sonnenstrahlen auf der Haut, ein Vogel der sing, Kinderkreischen, etc. halt alles was einem gefällt und gut tut. Ein schönes Bild anschauen und innehalten, eine gute Pizza essen
gerade eben habe ich für zwei tage meine enkelin… sie ist ein neuer abschnitt in meinem leben. was mir an meinem neuen zustand „granny“ auffällt: meine ganz einmaligen und nie dagewesenen gefühle für dieses kleine menschlein sind einzigartig! …glücksgefühle? liebe auf neue andere art? ist das mehr wie zufriedenheit? nun ich gebe silvia heute ganz einfach recht! das glück hat verschiedene seiten und zufriedenheit ist wenn man das glück nicht an seiner häufigkeit misst.euch allen einen guten zufriedenen glücklichen tag. edith
Vielen Dank für diesen Beitrag. Manchmal erlebei ich ein Gegenüber das meine Glücksgefühle nicht teilt oder teilen will, sei es aus Missgunst oder wie auch immer. So werde ich immer vorsichtiger von meinen kleinen Glücksgefühlen zu erzählen – was ich ziemlich versch…. finde. Und das Glück liegt wirklich im Kleinen – wenn wir das nicht lernen, oder heisst es besser spüren?, wo sollen wir dann unser Glück herholen?
Wer das Glück in äußeren Umständen sucht, bzw. von äußeren Begebenheiten abhängig macht, kann nicht dauerhaft glücklich sein.
Glück ist ein im „innen angekommen sein“, dort, wo man nicht mehr vertrieben werden kann.
Die Religionen haben kein Interesse daran, die Menschen dorthin zu führen.
Das Unglück muss dem Glück vorausgehen, nur so kann man das Glück geniessen.
Ich habe einen Job der mich anscheisst, einen Choleriker als Chef, mache jeden Tag als einziger Überstunden und pendle mehr als 3 Stunden am Tag und weil es ein Praktikum ist, verdiene ich keinen Rappen.
Gestern sass ich im Garten, trank ein Bier und habe meinem Sohn beim Spielen zugesehen. Mir war vollkommen bewusst, dass ich diesen Moment nie so geniessen könnte, wenn die Woche nicht dermassen beschissen gewesen wäre.
Das Glück versteckt sich in den kleinen Dingen, wer nicht Acht gibt, verpasst es.
Ja, glücklicher Felix, halten wir es wie Marc Aurel und danken auch all unseren Gegnern, Feinden, ja sogar den A… darunter, an denen wir nicht nur wachsen, die uns auch solche kleinen Momente so beglückend erleben lassen. Ob allerdings zwingend das Unglück dem Glück vorausgehen muss – nun, ich tendiere, das zu bejahen, hege aber unverbesserlich optimistisch meine Zweifel, hoffe, im Alter zu einem anderen Schluss gekommen zu sein – immer diese wunderbaren alten Menschen im Sinn, die einfach zufrieden und dankbar da sind. Da kann ich mir eine Riesenscheibe abschneiden: Genügsamkeit!
Auch ich möchte mich bei der Autorin für diesen Beitrag bedanken und bei dieser Gelegenheit auf die Geschichte „Glück oder Unglück – wer weiss das schon“ aus „Der Pfad des friedvollen Kriegers“ hinweisen. Früher habe ich das Schöne auch nicht geniessen können. Heute weiss ich, dass dazu eine grosse Portion Gelassenheit nötig ist, die ich täglich übe. Seit ich das Leben mit mehr Gelassenheit lebe, bin ich zufriedener, glücklicher, selbstsicherer geworden. Eine gelassene Haltung ermöglicht mir auch, das Glück an irgendeiner Bushaltestelle zu finden und es dann auch tatsächlich wahrzunehmen.
Herzlichen Dank für diesen Artikel. Und auch ich kann eine Glücksphobie bei einigen Menschen in meiner Umgebung ausmachen. Für mich persönlich habe ich einen anderen Weg gewählt: die Zufriedenheit. Nicht, dass ich nicht auch glücklich sein möchte. Aber ich verfolge das Ziel, zufrieden zu sein. Dadurch entgehe ich der enormen Erwartungshaltung ans Glück, ausserdem ist Zufriedenheit nicht so flüchtig. Und wundersamerweise stellt sich bei Zufriedenheit ein Gefühl von Glück ein!
In den Zufriedenheit nicht auch Glück? Oder was hält sie davon ab im Zustand Zufriedenheit nicht auch Glück zu sehen? Man hat doch Glück und ist doch glücklich, wenn man zufrieden ist? Oder etwa nicht?
Oh nein, man kann sehr, sehr zufrieden, aber gleichzeitig unglücklich sein. Geht mir sehr oft so. Aber ich schliesse mich Clina an, ich halte Zufriedenheit für sehr viel erstrebenswerter als Glück. Und in Dankbarkeit kann man sich üben, die kann man viel einfacher bewusst herbeiführen als Glück. Glück finde ich überbewertet. Wenn es einen überkommt, dann soll man’s geniessen, aber man kann auch ziemlich gut ohne leben.
Zufriedenheit ist für mich die kleine Schwester des Glücks.
Glücklich zu sein, ist für mich ein Zustand zwischen Euphorie, Freudentaumel und einem breiten Lachen.
Zufriedenheit ist ein Lächeln und die Einstellung, mehrheitlich mein Leben gut zu finden, so wie es ist.
Und klar gibt es diese kleinen Glücksmomente in der Zufriedenheit.
Im Artikel geht es aber um die „Angst vor dem Glück“.
Bevor ich vor lauter Angst lieber nicht glücklich bin, wähle ich eben als Ziel die Zufriedenheit.
Und seitdem kann ich das Glück ohne Angst geniessen, wenn es kommt 😉
im religiösen zusammenhang ist nachzulesen dass das Glück bereits das Unglück beinhaltet. jeder stellt fest dass nach einer glücks-Phase wieder das Unglück kommt. es scheint ein Naturgesetz zu sein. vielleicht ist das glück eine falsche Schlange die dich zuerst erfreut und dann sein wahres gesicht zeigt, das negativ ist
Der Fehler welche die meisten Menschen machen: Sie wollen Unglück, Schaden, etc. vermeiden und nur daher sind sie absolut am Boden wenn das Glück vorbei geht. Jemand welcher nicht zwingend vor allem Schlechten davon läuft, der wird niemals so auf den Bodenaufschlagen nach einer vorbeiziehenden Glücksphase wie jemand welcher um jeden Preis Schmerz vermeiden will. Wir sollten lernen, dass auch Schmerz zu unserem Leben gehört, dann werden wir gar nie so unglücklich werden können.