Ist es schick, nicht auf Facebook zu sein?

Nein, liebes Publikum, ich will hier überhaupt nicht über irgendwelche vermeintlichen staatlichen Interweb-Ausspähprogramme reden. Dazu nur so viel: Ein Publikum, das online seine Daten und Intimitäten mit grosser Bereitwilligkeit streut und sich gleichzeitig trotz einer solcherart längst digital durchgepausten Lebensführung die Illusion geschützter Privatheit erhalten will, indem nämlich das Recht auf informationelle Selbstbestimmung paradoxerweise nur als ein Anspruch gegen den Staat und seine Organisationen verstanden wird, benimmt sich schlicht schizophren. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung richtet sich, wie das Recht auf körperliche Unversehrtheit, grundsätzlich gegen alle Welt. Also nicht nur gegen den Staat oder gegen Unternehmen, sondern immer öfter auch gegen Privatpersonen oder Gruppierungen, die sich eine Enthüller- oder Transparenzritterrolle anmassen. Die dümmliche Idealisierung des Transparenzgedankens in Teilen der sogenannten «digitalen Öffentlichkeit» lässt geltungssüchtige Einfaltspinsel wie Julian Assange zu Helden werden und entspricht im Übrigen genau dem, was der Philosoph Axel Honneth in seinem Buch «Das Recht der Freiheit» als «soziale Pathologie» bezeichnet. Mit dem Begriff der Pathologie betitelt Honneth den Umstand, dass versprochene Freiheiten, die in Institutionen als Ansprüche enthalten sind, sich quasi verselbständigen, falsch praktiziert, verabsolutiert werden, was vor allem ein gruppendynamischer Prozess ist und dazu führt, dass die betreffende Gruppe von Akteuren in ihrer Wahrnehmung eingeengt und letztlich unfrei wird. Genau das aber passiert in der digitalen Sphäre, wo eine vermeintliche Diskursivität oft einer kulturellen Kalibrierung auf unterstem Niveau gleichkommt, also der Desinformation und Daueremotionalisierung. Der Schwarm ist eine Organisationsform niederer Lebewesen.
Facebook-Zombies?
Das ist freiheitsfeindlich, aber offenbar für viele Leute unterhaltsam, und deshalb liesse sich hier durchaus eine Lust am Verlust der Freiheit konstatieren. Und das bringt uns auch wieder zurück zu Facebook. Ich will Ihnen ebenfalls nichts von Filterselbstbestimmung, gezielter Werbung, gekappten Mitspracherechten und grapschender Datenkrake erzählen, denn ich bin nicht auf Facebook und war nie auf Facebook. Ich habe Facebook auch noch nie vermisst – andererseits aber nutze ich wahrscheinlich auch nur 15 Prozent des Potenzials meines Smartphones, obschon ich immer das teuerste und beste haben muss, aber das hängt damit zusammen, dass ich als Kind nur ein Damenfahrrad hatte, wie einige von Ihnen ja bereits wissen, meine Damen und Herren. Wo war ich?
Genau: Eine Studie der Humboldt Universität Berlin zeigte vor kurzem, dass jeder dritte Facebook-Nutzer nach dem Besuch des sozialen Netzwerks verstimmt ist. Hauptgründe dafür sind Missgunst oder fehlende Anerkennung. Dieses Ergebnis spiegelt die sogenannte soziale Vergleichstheorie wider, nach der Menschen ihr Selbst durch den Vergleich mit anderen verorten. Die digitale Welt macht also den Menschen nicht notwendig und nicht per se zufriedener. Susan Greenfield, Neurowissenschaftlerin an der Oxford University, vertritt zudem die These, das sogenannte Facebook-Denken verändere Gehirnstrukturen: Vor allem «Facebook Home», die neue Nutzeroberfläche, die über die Startseite des Smartphones für eine nahezu ständige Echtzeit-Präsenz von Facebook im Leben der Nutzer sorgt, hält Frau Greenfield für bedenklich, und zwar im Hinblick auf zwei Momente: Einerseits werde so eine Gegenwartsfixierung des Denkens forciert, andererseits eine Gemeinschaftsfixierung. Letztere bedeute, dass das Subjekt nur in der Validierung seiner Taten und Worte durch eine mehr oder weniger abstrakte Internet-Gemeinde Bestätigung erfahre – statt individualistischen Werten zu folgen. Auch Haltungen und Einstellungen werden von der «Crowd», dem Schwarm, abhängig gemacht: Ich mag eher, was andere «liken». Zugleich wird eine Infantilisierung des Denkens gefördert, im Sinne einer bipolaren Kategorisierung der Welt in jene Gut/Böse- bzw. Schwarz/Weiss-Raster, wie sie auch in Online-Welteroberungsspielchen vorkommen.
Das alles schränkt Freiheit ein. Die Gegenwartsfixierung aber bedeutet, dass im Facebook-Denken das Jetzt quasi auf eine Aktualitätsspitze zusammenschrumpft, die stets neu durch das letzte Posting gebildet wird. Einerseits nimmt sich der Einzelne nicht mehr die Zeit, zu überprüfen, wie er zu bestimmten Phänomenen steht, sondern neigt reaktiv der Meinung der Crowd zu. Andererseits – und gleichzeitig – jedoch dient ihm die Facebook-Gemeinde vorzüglich der Bestätigung des eigenen Selbstbildes: Die digitale Kommunikation ist hier im Grunde unfähig zum Dialog. Sie ist ein narzisstisches Instrument der Selbst-Vergewisserung, das den Rest der Welt, sofern er stört, zum Verschwinden bringt.
Darüber hinaus wird im Dienste des ständigen sozialen Vergleichs eben die Privatsphäre aufgegeben, im Dienste auch der schnellen Reaktion, denn die unmittelbare Aufmerksamkeit ist ein wichtiger Wert der Celebrity-Gesellschaft. Und auf Facebook gibt es Millionen kleiner Celebrities. Ständig im Jetzt, doch selten im Hier. Und deshalb wird es immer schicker, nicht auf Facebook zu sein. Denn gerade Abwesenheit ist ja ein Zeichen von wahrer Distinktion (und Distinktion ist das, was früher Berühmtheit ausmachte). Wir leben in einer beschleunigten Gegenwart, die zeit- und ruhefressende Gadgets en masse produziert und fetischisiert, und so wird der Zugriff auf immaterielle Güter, zum Beispiel Frieden, Privatheit und Unerreichbarkeit, zu einer luxuriösen Erfahrung – deren Benennung sich übrigens ändert: Während es vor zwanzig Jahren noch darum ging, «Zeit zu haben», geht es heute darum, «offline zu sein» (gelegentlich auch als «digitales Fasten» bezeichnet). Aber egal, wie man es nennt: Die Kunst, nicht da zu sein, wird immer mehr zum Privileg, und Facebook in der westlichen Welt (genau wie Rauchen oder Fernsehen) immer mehr zu einer Klassenfrage. Und nun entschuldigen Sie mich. Ich halte jetzt meinen Mittagsschlaf. Vorher will ich, fair and balanced, auch noch auf die Vorteile hingewiesen haben: Ohne Facebook wäre es unmöglich, zu wissen, ob jemand, mit dem man mal vor fünf Jahren kurz zusammengearbeitet hat, den neuen Film mit Melissa McCarthy mag oder nicht.
Bild oben: Facebook frisst einen auf. (Flickr/dkalo)
46 Kommentare zu «Ist es schick, nicht auf Facebook zu sein?»
Ich wüsste noch eine andere Welt als die digitale, die die Menschen nicht „per se zufriedener“ macht: die reale. Und dass wir dazu neigen, uns darüber zu definieren, wie uns andere sehen, und gut zu finden, was alle anderen gut finden, weil wir dazugehören wollen, ist auch gelinde gesagt älter als Facebook. Neu ist lediglich, dass Facebook diese Mechanismen offensichtlicher quantifizierbar macht. Fazit: Auf Facebook sein ist das neue nicht auf Facebook sein. Denn dieses ewige Affentheater um die „digitale Welt“ war spätestens vor 10 Jahren überholt.
Wunderbar, ich bin nicht allein ! – Gründen wir doch eine socialmedia Plattform für uns Dauerabstinenzler.
gute Idee! Z.B. auf der Website des blauen Kreuzes
Dazu fällt mir nur ein Satz ein:
… a fool with a tool is still a fool 😉
Facebook macht Blöde nicht klüger, aber ihr Blödheit offensichtlicher 😉
Ich bin kritisch eingestellt gegenüber Facebook. Habe da so meine Erfahrungen durch meine beiden Töchter gemacht. Finde es bedenklich was da teilweise für Sachen weitergegeben werden. Verbieten ist nicht sinnvoll. Doch beobachten und am Ball bleiben ist meine Antwort als Mutter. Und auch über div. mit den Jugendlichen reden.
Für mich persönlich ist Facebook ein typischer Spiegel der heutigen Gesellschaft. Kurz gesagt: Viel belangloses, kurioses, Werte u. Moral verachtendes Gerede, …. gemischt mit wenig amüsanten und informativen Dingen. Brauche Facebook nicht! Bevorzuge den pers. Austausch