So bin ich eben

Sie wollen Ihr wahres Gesicht zeigen? Aber bitte nicht, wenns ums Benehmen geht! Foto: iStock; Montage: Kelly Eggimann
Wollen Sie wissen, was in der gegenwärtigen Konsumlandschaft und -gesellschaft eine der Hauptwaren ist, meine Damen und Herren? Eine der Hauptspitzen, ragend über einem Meer von Produkten und Dienstleistungen? Ich sage es Ihnen: Authentizität. Das spätmoderne Ich ist beflügelt von der Sorge, sich selbst zu verfehlen, seinen mutmasslich authentischen Kern zu verpassen. Und um sich selbst nicht zu versäumen, hält der Markt, unser Freund, eine Vielzahl von Angeboten bereit: von der Platinpartikelaugencreme über den Leaf-to-root-Diätplan bis zur Achtsamkeitsgruppe. Hoch ist der Warendruck.
In einer Debatte, die ich neulich auf der Bühne des Berner Theaters mit dem Soziologen Andreas Reckwitz führte, fiel der Ausdruck «performative Authentizität». Herr Reckwitz meinte damit, dass in unseren Zeiten nicht nur die (vermeintliche) Authentizität, sondern auch deren Darstellung wichtig ist. Diese Darstellung vollzieht sich gerne über die sozialen Medien, aber beispielsweise auch über Umgangsformen. Das Feld der Manieren, des mutmasslich richtigen Benehmens, ist natürlich heutzutage ebenfalls hochgradig kommerzialisiert, es herrscht ein reiches Angebot an Beratung und Bildung zu Fragen des Auftretens. Interessant dabei ist, dass der Leitgedanke der Authentizität hier in die Umschreibung und Normierung der Umgangsform selbst Einzug hält, jedenfalls bei jenen Ratgebern, die für «authentisches» Benehmen, das «Leben aus einem Guss», plädieren.
Inmitten von Rauchern und Fleischessern
Eine derartige Sichtweise von Benehmen hat offenbar vergessen, dass der Grundsatz von Manieren gerade darinnen besteht, eben nicht authentisch zu sein. Wenn Ihnen jemand auf den Fuss tritt, offensichtlich aus Versehen, werden Sie auch dann, wenn Sie einen kurzen Schmerz verspüren, auf die Entschuldigung des Treters erwidern: «Macht nichts.» Sie sind dann also überhaupt nicht authentisch. Und genau das macht Zivilisiertheit aus.
Manieren sind eben nicht das «Leben aus einem Guss», im Gegenteil, Manieren existieren, weil der zivilisierte Mensch von verschiedenen Verhaltenskodizes ausgeht: mindestens einen für die private Sphäre und mindestens einen für die öffentliche. Die Trennung von Privat und Öffentlich ist grundlegend und entscheidend für das Verständnis von Manieren. Ein Grossteil der Benimmprobleme, die unsere Tage kennzeichnen, entsteht, weil Menschen nach der Maxime «aus einem Guss» und «so bin ich eben» private Standards nach aussen tragen, also nicht mehr davon ausgehen, dass sie im öffentlichen Raum ein höheres Mass an Selbstverleugnung aufbringen müssen als zu Hause, indem sie es beispielsweise ertragen, dass andere Menschen sich anders benehmen, als sie es am liebsten hätten. Andere Menschen rauchen, zum Beispiel, oder essen kein Fleisch. Oder rauchen nicht oder essen Fleisch, wie Sie wollen.
Der Vereinnahmung des öffentlichen Raums nach der Massgabe der eigenen mutmasslichen Authentizität («So bin ich eben!») ist, wie der Philosoph Robert Pfaller festgestellt hat, etwas Kindisches zueigen. Und Benehmen «aus einem Guss» ist nichts anderes als eine Manifestation jener «Tyrannei der Intimität», mit der bereits 1974 der Soziologe Richard Sennett den Verfall des öffentlichen Lebens beschleunigt sah. Diese Beschleunigung wird übrigens unterstützt durch einen weiteren Irrtum mit Blick auf Manieren, nämlich die Annahme: Ein Fauxpas hört dann auf, einer zu sein, wenn die Mehrheit ihn begeht.
13 Kommentare zu «So bin ich eben»
Wie geht’s ? Gut, danke. Und ihnen ?
Dies ist einfach „freundlich“ man will ja nicht wissen ob alles gut geht, ob die Person gut geschlafen hat, usw. Es handelt sich hier typisch um eine Formalität aber um eine freundliche.
Leute aber welche nie sich selbst sind, wirken irgendwie wie ein „Stillleben“. Man weiss nicht wer sie sind, was sie denken. Ein wenig mehr Offenheit, Authentizität, würde das guttun. Natürlich darf man nicht unter diesem Vorwand der Authizität dann hässig und unfreundlich sein, aber einfach offener, ein wenig persönlicher. So sehe ich das.
Alles sehr schlüssig, bis auf den Schlusssatz: „Ein Fauxpas hört dann auf, einer zu sein, wenn die Mehrheit ihn begeht“ Denn es müsste eine Instanz geben, die festlegt, was ein Fauxpas ist und was kein Fauxpas ist. Wer, ausser der Mehrheit, soll das sein?
Vor 50 Jahren war es ein „Fauxpas“, wenn einer schwul war, weil die Mehrheit der Bevölkerung dieser Meinung war. Heute ist schwul sein kein „Fauxpas“ mehr, weil die Mehrheit anders denkt.
Man könnte selbstverständlich die Deutungshoheit auch den Mehrheiten wegnehmen und z.B. der Kirche übergeben. Oder dem Staat, der dann der Mehrheit den Mund verbietet. Dass geht auf Dauer aber schief.
Autsch oder wenn die Argumente ausgehen oder authentisch genug um die Vorurteile anderer zu erfühlen.
Würden Sie nicht auch sagen, in dem Moment, da Authentizität bewusst dargestellt wird, also es zu einem geschaffenen Schein kommt (und Schein und Sein somit nicht mehr übereinstimmen), sie sich selber abschafft?
Nicht einverstanden bin ich mit dieser Entweder-Oder-Trennung von Natur/Authentizität und Kultur/“Zivilisiertheit“. Ich sehe überhaupt kein Problem darin, Kulturtechniken anzuwenden (z.B. Manieren) und dabei authentisch zu sein. Einmal mehr scheint mir ein „Sowohl-als-Auch“ angebracht zu sein.
Köstlich die letzte Formulierung! Gelacht habe ich sogar!