Immer das Gleiche

Die Zwänge des Komforts.

Eigentlich paradox, dass das Auftauchen zweier Damen im gleichen Kleid immer noch als peinlich empfunden wird. Foto: Getty Images, Montage: Nathalie Blaser

Wir leben im Zeitalter der Selbsterschaffung des Einzelnen. Dies geschieht im Rahmen einer Konsumgesellschaft, in der die Auswahl scheinbar unendlich ist, meine Damen und Herren, in einem Zeitalter, in dem der konsumtive Individualismus hochgehalten wird wie wenig andere Tugenden – und doch besitzen viele Leute das Gleiche. Das gleiche Telefon, zum Beispiel. Oder das gleiche Teil von Balmain für eine skandinavische Billigtextilkette.

Alle mit der Noé-Tasche

Trotzdem wird bei einem gesellschaftlichen Anlass das Auftauchen zweier Damen im gleichen Kleid immer noch als peinlich empfunden. Dieses Paradox ist damit zu erklären, dass die Mode eben aus dem Wechselspiel zweier entgegengesetzter Bedürfnisse entsteht: Distinktion und Assimilation. Die relative Ausprägung dieser Komponenten ist in unterschiedlichen Milieus mit Blick auf unterschiedliche Dinge unterschiedlich stark. Das führt im Effekt dazu, dass irgendwann mutmasslich 73 Prozent aller Sachbearbeiterinnen mit der Noé-Tasche von Louis Vuitton rumlaufen. Weil das affiliative Motiv so dominierend ist. Also der Antrieb, der sagt: «Ich will dazugehören.» Worauf wiederum die Tasche ihren Status verliert. (Es sei denn, sie ist alt. Mithin «vintage» in der Sprache der Mode.) Denn nicht nur die Produzenten, auch die Konsumenten stehen in der Marktwirtschaft im Wettbewerb zueinander. Mit anderen Worten: Der erste und der letzte Vertreter einer Mode sind stets lächerlich. Allerdings auf grundverschiedene Art.

7 Kommentare zu «Immer das Gleiche»

  • peter sagt:

    Individualismus wird uns vom Konsumssystem vorgegaukelt, damit wir die sinnlose Auswahl an sinnlose Produkte weiterhin als Errungenschaft anstatt Blödsinn sehen. Blöd bleiben die meisten Konsumenten, welche Individualismus in seriemässige Kleider bzw. Modeerscheinungen suchen, um später enttäuscht zu werden, wenn an einem Party jemanden mit dem gleichen Kleidungsstück auftaucht.
    In Wirklichkeit bleiben Menschen Herdentiere, für welche das „dazu gehören“ überlebenswichtig und -notwendig. Wer möchte allein geboren werden und später sterben.?

    • Max Blatter sagt:

      Also … allein geboren wird jemand nur selten: die Mutter ist meist dabei. Bei mir jedenfalls war es so – auch wenn ich ehrlicherweise zugeben muss: Ich weiss es nur vom Hörensagen, da ich mich selbst nicht dran erinnere…

  • Rémy sagt:

    73 Prozent aller SCHWEIZERISCHEN Sachbearbeiterinnen: in keinem Land der Welt ausser der Schweiz reicht der Lohn einer Sachbearbeiterin für eine Louis Vuitton Tasche aus (ausser Japan vielleicht)

  • Kristina sagt:

    Wären da zwei Typen auf dem Photo, würde man von einer Gang sprechen. Aber so? Ein Unglück kommt selten allein?

  • Robin sagt:

    Das ist ja das Peinliche an den Hipstern.
    Da sind pro Party nicht nur zwei, sondern über 50% der Männer und Frauen in der gleichen Uniform unterwegs und ach so individuell tätowiert 🙂

  • Anh Toàn sagt:

    „Der erste und der letzte Vertreter einer Mode sind stets lächerlich. Allerdings auf grundverschiedene Art.“ Der erste und der letzte Vertreter einer Mode folgen gerade nicht der Mode. Nur beim letzten könnte es daran liegen, dass er es als einziger nicht gemerkt hat. Das halte ich aber für höchst unwahrscheinlich. Dann sind dies aber die einzigen, die einen eigenen Stil haben, vielleicht geschmacklos, unmodisch aber zumindest authentisch sind. Ich find die „dedicated followers of fashion“ (The Kinks) lächerlich.

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