Wenn Männer weinen

Am Freitag nach dem Massaker an der Schule in Newtown trat Barack Obama vor die Presse, um seinem Entsetzen und seiner Trauer über die Ereignisse Ausdruck zu geben. Der Präsident war sichtlich erschüttert, biss sich auf die Lippen, blickte irgendwo ins Leere und bei der Feststellung, die meisten Opfer dieser Tragödie seien Kinder gewesen, wischte er den Augenwinkel, um ein paar imaginäre Tränen zu trocknen.
Ein bekannter Schweizer Politiker spottete daraufhin auf Twitter über Obama: «Ist Obama schon offiziell ‹Präsident der Herzen› und wird mit Lady Di in einem Atemzug genannt?» In der folgenden Diskussion ging es um die Tränen Obamas, ob sie echt gewesen seien, der Präsident also eine «Heulsuse», oder nur Show, was impliziert, dass der Präsident die Tragödie für politische Zwecken ausgeschlachtet habe. Indem er sich emotional zeigt, stellt er sich auf eine Stufe mit den Trauernden.
Auch weibliche Tränen bringen uns in Verlegenheit, zumal Frauen im Allgemeinen näher am Wasser gebaut sind als Männer und es auch schon mal vorkommen kann, dass sie in den unpassendsten Momenten zu weinen beginnen. Vergiessen aber Männer Tränen, dann sind wir oft vor den Kopf gestossen, denn sie unterlaufen unser Bild von Männlichkeit. Boy’s don’t cry. Als Roger Federer in der Zeit seiner grössten Triumphe regelmässig von Schluchzern geschüttelt wurde, wenn er seinen Pokal hochstemmte, gab sich die Weltpresse höchst verlegen – sofern sie sich nicht über den weinenden Held lustig machte.
Die meisten Frauen kennen sich gut aus mit Tränen. Manche setzen sie schamlos ein, um das Gegenüber unter Druck zu setzen und zwar auch mächtige Frauen, wie mir ein Journalist neulich erzählte, als eine Politikerin wegen eines geplanten unvorteilhaften Porträts zu weinen begann, er liess sich erweichen, worauf sie sofort wieder auf fröhlich umschaltete. Oft fliessen die Tränen aber auch unfreiwillig, wenn man sehr emotional ist, ohnmächtig oder wütend und mit den Tränen kämpfen muss, was besonders in Situationen, in denen es um etwas geht, sehr schlecht ist, da man nur die Wahl hat, entweder still zu sein, um mit dem Augenwasser zu kämpfen oder es zuzulassen und sich damit zu diskreditieren.
Als emotionaler Mensch kenne ich diese Situation sehr gut und vom Dampfschiff aus würde ich behaupten, dass Federer damals wirklich echt weinte. Bei Obama bin ich mir dagegen nicht so sicher. Und als ich die Aufzeichnung seiner Rede sah, dachte ich zwar nicht, dass er eine Heulsuse sei, aber dass die Tränen doch leicht inszeniert scheinen und ich mir nicht vorstellen kann, dass ein amerikanischer Präsident in so einer Situation tatsächlich von Tränen, nun ja, übermannt wird. Die andere Frage ist, ob das zulässig ist, ob er sich nicht als «gspüriger» Präsident geben darf.
Ich persönlich halte wenig davon, Tränen taktisch einzusetzen, so wie beschriebene Politikerin. Und auch Obama tut sich meines Erachtens keinen Gefallen damit, wenn er sich den Tränen nahe zeigt ob einer solchen Katastrophe. Nicht weil ich finde, Männer sollten grundsätzlich nicht weinen. Die Spötter, die sich über Federers Tränen lustig machten sind in meinen Augen selber Weicheier, weil sie es nicht aushalten können, wenn jemand unser Bild von Männlichkeit unterläuft. Obama hingegen machte nicht wirklich den Eindruck, als hätte er auf sein Tränchen nicht auch verzichten können, womit er in die Kategorie der oben erwähnten Politikerin fällt, die ihr Weinen berechnend dafür einsetzte, um zu bekommen, was sie wollte. Wenn wir erwarten, dass die Überlegenen auf Unterlegene Rücksicht nehmen, die Starken auf die Verletzlichen, dann dürfen wir diese Verletzlichkeit nicht strategisch einsetzen. Das ist schwach, weil es die eigene Unterlegenheit instrumentalisiert. Oder aber im Falle Obamas unangemessen wirkt. Seine Rolle ist nicht die des Klageweibs. Seine Aufgabe ist es, solche Ereignisse künftig zu verhindern. Oder es zumindest zu versuchen. Das sollte er im Auge behalten. Nicht seine Tränen.
Im Bild oben: US-Präsident Barack Obama an der Pressekonferenz nach der Schiesserei in Newtown, 14. Dezember 2012. (Foto: Keystone)
35 Kommentare zu «Wenn Männer weinen»
Genau, man kann sich schon fragen, warum Obama nicht weinen muss, wenn es bei einem Drohnenangriff in Afghanistan Kinder trifft.
Warum Urteilen sie welche Träne das angebracht sind und welche nicht ? Obama ist auch ein Vorbild, für Millionen von Menschen. Eine Gefühlsregung zu zeigen, sie ev. etwas zu verdeutlichen kann nicht schlecht sein, sie wirkt nicht deplatziert. Die Affekte abzuspalten wie dies unsere Ahnen taten und uns gelehrt wird, ist eine verkrüppelung des Wesens. Vielleicht wirkt drum mancher Mann der Versucht Gefühle zu zeigen etwas unbeholfen.
Roger Heulsuse Federer ist peinlich, es ist im zu gute zu halten, dass er nach 4h mentaler Höchstleistung womöglich keine Kraft mehr hat sich zusammen zu reissen.
Männer dürfen weinen, wenn auch besser nach innen. Politiker, unabhängig vom Geschlecht dürfen es nicht. Von denen erwarte ich von Emotionen ungetrübtes Denken, Reden und Handeln.
Auch feuchte Augen dürfen abgewischt werden, genau wie Tränen. Immer noch ist irgendwo im Hinterkopf verankert, das Männer nicht weinen dürfen. Was mich so stört ist, dass immer geurteilt, bewertet und darauf gelauert wird, dass eine Privatperson oder eine Person des öffentlichen Interesses, sich so verhält, wie es sich der „Normalbürger“ vorstellt. Da werden Kriterien aufgestellt: darf Federer weinen, Emotionen zeigen, darf Obama feuchte Augen angesichts dieses Massakers bekommen – darf der dies, oder darf der andere das. Werden Tränen missbraucht usw. Die Gesellschaft ist krank !!!
Ich finde es anmassend, wenn sich Frauen herausnehmen, die Situationen zu formulieren, in denen Mann weinen darf. Hallo? Weshalb sollen Männer nicht einfach weinen, wenn ihnen danach zu mute ist? und Frauen auch? Gerade von einer Journalistin, welche sonst der Gleichberechtigung und Gleichstellung der Frau die Fahne hält, würde ich etwas mehr Offenheit auch in Männerfragen erwarten.
Es geht hier nicht nur um Männer, auch wenn Frauen in unpassenden Situationen weinen kommt das nicht besonders gut an. Die Frage ist: was ist passend un was nicht?
Aber Frau Binswanger, „unpassende Situation“? Hallo? Da sind 20 Kinder und 6 Erwachsene ganz plötzlich in einer eigentlich sicheren Umgebung ermordert worden, das ist wohl kaum eine unpassende Situation für Tränen. B.O. ist auch ein Mensch und Vater, dass ihm da die Tränen kommen, zumal er vorher noch mit Angehörigen gesprochen hat, finde ich nur menschlich. Ein Mensch, der in dieser Situation nicht mit den Tränen kämpfen müsste, wäre mir unheimlich, ob Mann oder Frau.