Dünne Luft

Wenn in der zivilen Luftfahrt die Reiseflughöhe von gut 10’000 Metern erreicht ist, meine Damen und Herren, entspricht der künstliche Luftdruck in der Flugzeugkabine ungefähr dem natürlichen Luftdruck auf rund 2000 Metern über dem Meeresspiegel. Dies ist die Ursache etwelcher Komplikationen und Unbehaglichkeiten für den flugreisenden Menschen. Darunter nicht zuletzt: Blähungen. Der Kabinendruck impliziert, dass ein auf dem Boden aufgepumpter Luftballon sich auf Flughöhe um etwa ein Drittel ausdehnt. Dasselbe geschieht mit den Gasen in Ihrem Darm. Wer also unter Flatulenz leidet, wird im Flugzeug noch viel mehr davon betroffen sein.
Doch der spätmoderne fliegende Mensch ist natürlich ausgestattet; nicht nur mit pharmazeutischen Mitteln gegen Meteorismus oder Dyspepsie (oder wie immer sonst der Abgang von Leibwinden euphemisiert wird), sondern mit einem ganzen Handgepäck-Werkzeugkasten gegen jedwede Art von Unbill über den Wolken: Melantonin zur Jet-Lag-Vorbeugung, Ohrenstöpsel zur Förderung des Druckausgleichs, Kompressionsstrümpfe bei Venenschwäche, Blutverdünner gegen Sitzthrombose, Sedativa gegen Flugangst und so weiter. Alles Teil der Wellness-Dynamisierung am unteren Rand der Stratosphäre.
Bloss gegen ein Phänomen scheint es kein Mittel zu geben: Sentimentalität. Jedenfalls habe ich mich schon häufiger gefragt: Macht die dünne Luft in der Flugzeugkabine nebst allem anderen auch – rührseliger? Kennen Sie das? Ich für meinen Teil habe normalerweise nicht gerade nah am Wasser gebaut, merke aber immer wieder, dass mir auf Langstreckenflügen bei Konsum von Filmen aus dem Bordunterhaltungsprogramm (in der Kategorie Drama) gerne mal Selbiges (also das Wasser) in die Augen zu steigen beginnt. Deshalb vermeide ich im Flugzeug Dramen und schaue lieber sowas wie «Tammy» mit der wundervollen Melissa McCarthy. Hilft aber auch nicht unbedingt. Jedenfalls vermeinte ich unlängst, so nach viereinhalb Stunden Richtung Toronto, tatsächlich profunde, zutiefst berührende Wahrheiten in «Tammy» zu entdecken … Und nun? Was kommt als Nächstes – existenzielle Gefühlsaufwallungen bei «Spy: Susan Cooper Undercover»? Ich werde die Sache weiter beobachten und inskünftig an Bord vielleicht gelegentlich auf Sitcoms oder Dokumentationen umschalten. Früher habe ich im Flugzeug noch gearbeitet oder gelesen, aber das habe ich mir abgewöhnt. (Genauso wie ich mir abgewöhnt habe, meinen idealerweise mitreisenden Ehemann elf Stunden lang aufzufordern: «Lies doch was, Richie!»)
Vielleicht sollte ich die Reiseapotheke konsultieren, um zu sehen, welche Mittel für heitere Gelassenheit sie bereitstellt. Nun würden etwelche Flugpassagiere gewiss behaupten, ein derartiges Mittel werde direkt an Bord ausgeschenkt, und zwar in Form von Alkohol. Der übrigens im Flugzeug stärker und schneller wirkt als am Boden, was wieder mit dem niedrigeren Luftdruck zu tun hat, der beim Menschen zu einer Gefässerweiterung und damit erhöhten Blutzirkulation führt. Also Vorsicht. Ansonsten warten wir ungeduldig auf die Flugzeuggeneration des 21. Jahrhunderts, wie beispielsweise die neue Boeing 787, für die uns an Bord ein höherer Druck versprochen wurde: dickere Luft. Aber im guten Sinne.
Bild oben: Neben Melissa McCarthy sind in «Tammy» zutiefst berührende Wahrheiten versteckt. Foto: Warner
5 Kommentare zu «Dünne Luft»
„Nicht gerade nah am Wasser gebaut haben“ kannte ich nicht. Hübsch!
Ehemann ? Habe ich das richtig verstanden ?
(Ich will nur nachfragen. Bitte nicht schiessen!)
Sie kennen Richie, den besten Ehemann von allen, noch nicht!? Da haben Sie aber mächtig was verpasst, ernsthaft…
Ich nehme auf langen Flügen immer Xanax. Das hilft. Fliegen ist sowieso sehr langweilig.
Wie wärs mal mit einer Videokonferenz statt jede Woche um die Welt zu tschetten?