Der Chronist einer unschuldigeren Zeit

Paul Sahner ist gestorben, meine Damen und Herren. Paul Sahner war ein in unserem Nachbarland berühmter Journalist, Mitglied der Chefredaktion der deutschen Illustrierten «Bunte». Einige Nachrufe sprechen vom letzten grossen Gesellschaftsreporter deutscher Zunge, aber das trifft es nicht, wenn Sie mich fragen; Paul Sahner war einfach eine Type aus einer anderen, irgendwie unschuldigeren Zeit. Vor Twitter und so. Als man das Wort «Schickeria» noch benutzte. Als München für die Deutschen irgendwie mondän schien, so eine Art bajuwarischen Heimatglamour verstrahlte, so einzigartig unnachahmlich eingefangen vom grossartigen Filmemacher Helmut Dietl, der leider ebenfalls das Zeitliche gesegnet hat.
Ich habe Paul Sahner vor ein paar Jahren kennen gelernt, anlässlich der Verleihung der Laureus World Sports Awards, die damals in Abu Dhabi stattfand. Er erzählte mir ein wenig über die Schwierigkeiten mit seinem aktuellen Buch beziehungsweise die Komplikationen mit dem Gegenstand dieses Buches, nämlich Karl Lagerfeld.
Wir sassen im Garten des Emirates Palace Hotel, das zu einem guten Teil aus Gold besteht, und derselbe (der Garten) war zum After Awards Dinner (wie es fachsprachlich heisst) märchenhaft beleuchtet; am Nebentisch sass der Sänger Mika, der den Showblock veranstaltete, und benahm sich ordentlich, wenngleich seine Hosen zu eng waren. Vorbei flanierte, in einer Wolke von Pheromonen, Haarspray und Chanel: das Publikum. Kevin Spacey, Jenson Button, Kyle MacLachlan, Monika Seles. In dieser milden orientalischen Nacht. Henry Maske und Mario Adorf und Franz Beckenbauer und ein paar Rugbyspieler. Es war, vielleicht der Natur des Anlasses entsprechend, ein leichter Herrenüberschuss festzustellen, wenngleich nicht wenige Herren ihre stark mit Botox imprägnierten, windhundförmigen Ehefrauen mitgebracht hatten. Einige Tische weiter aber sass allein, nur in Gesellschaft eines mutmasslichen Assistenten, die feengleiche Gwyneth Paltrow in ihrem lieblichen Kleid von Elie Saab – sass und ass, dass es nur so eine Art hatte. Dabei war das Buffet offiziell noch gar nicht eröffnet. Jemand vermutete, dass Frau Paltrow einen Fettspalter schlucke. Bei diesen Mengen. Das war nicht sicher. Aber eine der besten Konversationen des Abends lief ab, als eine namentlich nicht zu nennende Dame neben mir sagte: «Ich hätte gern ein Bild mit Gwyneth Paltrow.»
Worauf eine andere Dame, deren Name leider verloren gegangen ist, erwiderte: «Neben Gwyneth kannst du nur verlieren.»
Denn auch hier, in Gesellschaft, geht es ums Gewinnen, wie im Sport, und auch hier sind die Leute, die behaupten, dabei zu sein, wäre alles, entweder ahnungslos oder verlogen. Der Abend endet mit der Laureus After Show Party im Etoiles-Club des Emirates Palace, der mich ans Pure und ans Tryst und an jeden anderen Club in Las Vegas erinnert, und plötzlich finde ich Britney Spears gar nicht so schlecht, und Hugh Grant läuft durch die Gegend, klein und ein bisschen zerknittert, und Clive Owen trinkt nicht aus, und dann, um halb vier, geht abrupt das Licht an und die Musik aus.
Auf der Rückreise nach Zürich musste ich in Frankfurt umsteigen. Im Handgepäck eine versiegelte Tüte mit Hautcreme aus dem Duty-free-Shop in Abu Dhabi, die nun von einem deutschen Ordnungsorgan aus dem Verkehr gezogen wurde. Weil der Tiegel mehr als 100 Milliliter enthielt. Der Hinweis, dass es sich um versiegelte Duty-free-Ware handelte und ich mich im Transit befände, wurde beantwortet mit: «Die Tüte ist aus Abu Dhabi. Wir sind hier in Deutschland.» Dann sagte das Organ: «Sie müssen wieder raus und die Creme einchecken.»
«Ich habe noch 20 Minuten, um 26 Gates abzulaufen», erwiderte ich, «ich bin bereits wegen Verspätung vom Flugzeug aus auf die nächste Maschine umgebucht worden, und Sie schlagen mir jetzt vor, zum Check-in zu laufen und eine einzelne Cremedose einzuchecken?»
Hierauf sagte das Organ: gar nichts mehr. Indessen war ich nicht allein, sondern in Gesellschaft von Journalistenlegende Paul Sahner, der sich freundlicherweise mit mir solidarisierte, worauf das Ordnungsorgan eine Flughafenpolizistin herbeiwinkte, die einen ganz eigenen Charme verstrahlte. «Geht nicht», waren ihre ersten Worte, «wir sind hier in Deutschland.»
Hier nun riss Paul die Geduld, und er erklärte besagter Polizistin in einigen deutlichen Worten, was er von ihrem Problemlösungsverfahren hielt. Was mich selbst betrifft, so gibt es da draussen gewiss ein paar Leute, die von mir erzählen, ich hätte ein Temperament wie Naomi Campbell gepaart mit Bud Spencer, doch ich muss gestehen, dass mir bei Pauls ersten Worten die Kinnlade runterklappte und mir durch den Kopf schoss: «Du liebe Zeit! Wir werden im Flughafengefängnis landen!»
Aber dies nur kurz. Dann widmete ich mich der Aufgabe, einem dazugekommenen Sicherheitsinspektor zu bedeuten, er solle aufhören, mit einem Faltblatt vor meiner Nase herumzuwedeln, und könne die Creme meinetwegen seiner Frau schenken.
«Sie haben mich fotografiert», rief indes die Polizistin hinter meiner Schulter, «das ist verboten!»
«Ich habe Sie nicht fotografiert», entgegnete Paul, «so schön sind Sie auch nicht.»
Allein das war die 200 arabischen Dirham wert, die die Creme gekostet hatte.
R. I. P., Paulchen Sahner.
Bild oben: Paul Sahner bei einem Auftritt in der Talkshow «Typisch deutsch». Foto: Youtube/Deutsche Welle.
4 Kommentare zu «Der Chronist einer unschuldigeren Zeit»
Wieder ein Meisterstück an Schreibkunst Herr Tingler und vor allem die Wärme strahlt durch. Wunderbar!!!
Dasselbe ist mir bei einer Zwischenlandung in Wien passiert. Ich musste die im Duty-Free in Bangkok gekaufte Flasche Aberlour wegschmeissen. Auf meine Proteste hin, sagte man mir, dass ich ja 20m weiter im wiener Duty-Free eine neue kaufen könnte. Das hat nichts mit Sicherheits-, sondern mit Marktinteressen zu tun.
Klasse Beschreibung vom Flughafen. Ja, die teutonischen Flughäfen sind mit Abstand die schlimmsten in Bezug auf Flüssigkeiten. Nicht einmal vom Mekka des Krieges gegen den Terror – den Staaten – wollen sie diese Flüssigkeiten (versigelt, wohlverstanden). Und ja, sehr rasch haben vier Beamte Zeit um viermal zu sagen „Das sind unsere Regeln, wir empfehlen ihnen neu einzuchecken“. Strenge Regeln dieser Art sind immer auch ein Zeichen von Autoritätsdenken – und das mögen viele Deutschen – zumindest die Offiziellen.
das ist uns in München, ankommend aus Südafrika, auch passiert. Die Beamten wurden auch noch sehr ausfallend . Wir haben uns via Mail beschwert und eine Entschuldigung bekommen. Immerhin……