Der Terror der Natürlichkeit

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Heute sprechen wir über Renée Zellweger, meine Damen und Herren. Denn alle Welt redet über Renée Zellweger. Frau Zellweger sieht bekanntlich neuerdings ganz anders aus als früher: Sie hat ein neues Gesicht. Natürlich ist bei Schauspielern der A-Liste das Gesicht sozusagen die Marke, und Renée Zellwegers gewandeltes Gesicht hat in den letzten Tagen viel zu reden gegeben. In der Bandbreite der Meinungen war einer der interessantesten Beiträge jener auf der Onlineplattform «The Daily Beast». Die Autorin, Amanda Marcotte, zitiert eine andere Autorin, Amanda Hess: «In Hollywood ist ‹In Würde altern› ein Euphemismus für ‹Gelungene plastische Chirurgie›. Also die Sorte, die erfolgreich auf dem heiklen Grat zwischen ‹hängend› und ‹gefroren› balanciert.»

Dahinter steckt nicht bloss der grundsätzlich richtige Satz, dass schlecht nur diejenigen schönheitschirurgischen Eingriffe sind, die man sieht. Sondern eine tiefere Einsicht. Zunächst könnte man ja denken, es wäre ein Schritt Richtung Emanzipation, dass der bearbeitete, ausgestellte Körper nun auch im Mainstream zum Menetekel eines verwerflichen Schönheitswahns wird. Siehe Kim Novak bei der Oscarverleihung.

Aber das ist eigentlich gar nichts Neues. Sondern die Weiterführung des alten Gedankens von Heinrich von Kleist, der in seinem Essay «Über das Marionettentheater» von 1810 feststellte: Schönheit wirkt künstlich (und auch nicht mehr schön), sobald das Anpassungsinteresse, der Wunsch zu gefallen, allzu sichtbar werde. Dann wirds peinlich. Peinlich ist das Affektierte, Gezierte, Angemasste, Manierierte; das zeige, «welche Unordnungen, in der natürlichen Grazie des Menschen, das Bewusstsein anrichtet», schreibt Kleist.

Doch inzwischen sind wir, wie Amanda Marcotte im «Daily Beast» richtigerweise konstatiert, in einer viel perfideren Paradoxie gefangen: Auf natürliche Weise schön zu sein, ist ein sorgsam gepflegtes Ideal. Aber das, was wirklich natürlich ist, will natürlich kein Mensch sehen. Mit anderen Worten: «Man soll für immer jung und perfekt aussehen, aber es soll unangestrengt wirken.» Dieses Konzept, dass die harte Arbeit an der Attraktivität sich auf gar keinen Fall verraten darf, ist der neue popkulturelle Leitwert. Der laut Marcotte frappierende Ausmasse erreicht, etwa in der Idee von «Normcore»: einem modischen Ideal, wonach man aussieht, als hätte man sich gerade mal zwanglos irgendwas übergezogen. Dafür betreibt man riesigen Aufwand. Der Terror heisst nicht «Unerreichbare Ideale über Photoshop auf Hochglanz», nee, der Terror heisst: Natürlichkeit.

Ironischerweise wird dieser Terror auch noch von der feministischen Botschaft unterstützt, dass die Frau schön sei, so wie sie sei. Und deshalb wirkt Renée Zellwegers neues Gesicht anstössig: Frau Zellweger kann nicht verhehlen, dass sie offensichtlich irgendwas hat machen lassen, und zerstört damit das verlogene Dogma, es gäbe irgendeinen Weg, auf ganz natürliche Art 45 zu sein, ohne auszusehen wie 45. So weit Frau Marcotte. Die mit der Hoffnung endet: «Vielleicht aber wird dies eine Einladung an alle sein, endlich damit aufzuhören, so zu tun, als gäbe es in dieser Welt so was wie Perfektion ohne Anstrengung.»

Vorher, nachher: Zwischen diesen Aufnahmen von Renée Zellweger liegen vier Jahre (links 2010, rechts 2014). Fotos: Reuters

20 Kommentare zu «Der Terror der Natürlichkeit»

  • Hanna sagt:

    Habe mich ja nicht eingehender damit beschäftigt, aber man muss doch zugeben, dass Frau Zellweger zufriedener aussieht als früher. Ob das jetzt einer Operation, mehr quality time mit sich selbst oder Altersweiseheit geschuldet ist, kann uns ja wurscht sein. Oder anders gesagt: Ich freu mich, wenn sie selbst zufrieden ist. Scheint leider nicht allen so zu gehen.

    • Veronica sagt:

      Sieht aus als sind einige Portionen Botox entfernt. Jetzt ist sie nicht mehr typisch Renée Zellweger, eher unauffallend, aber ja – zufriedener.

  • Vale Bianchi sagt:

    Es soll jeder die Operationen an sich machen lassen, die sie oder er für richtig hält. Das geht niemanden etwas an und wir haben kein Recht darüber zu urteilen, ob es richtig oder falsch ist. Mein einziges Problem ist, dass ich nicht verstehe, warum man dann auf Teufel komm raus behaupten muss, dass man nichts an sich hat machen lassen. Unehrlichkeit ist leider keine schöne Charaktereigenschaft.

  • Annabeth sagt:

    Schlimm ist, dass diese künstlichen Schönheiten einer Illusion aufsitzen. Nämlich, dass sie dadurch nicht eine Stunde ihrer Lebensdauer verlängern können. Schwerwiegend, sich ohne Not dem Messer auszuliefern. Dritte aufspritzen und operieren zu lassen, was andere subjektiv als schön empfinden. Die Resultate der „optimierten“ Masken und Körperteile sind erst nach Abheilung wirklich ersichtlich und unumkehrbar. Einfach ver-rückt!

  • Rolf Stalder sagt:

    Es sind ja gerade wir Männer, die hier stark mithelfen. Ich kenne einige ziemlich unattraktive Frauen, welche es auch aufgegeben haben irgendwelchen (unerreichbaren) Idealen nachzustreben, aber teilweise geht das in diesem ganzen jung, schön und erfolgreich Stream auch schön auf das Ego.
    Gerade wir Männer hätten es ja in der Hand, die wirklich natürlichen Frauen zu bevorzugen – aber das wollen wir ja dann auch wieder nicht, also: Weiter und weiter, genauso wie’s ist und war.
    Aber hier spielt wohl auch die Genetik eine Rolle: Anhand dem Aussehen wird auf den Gesundheitszustand gesschlossen.

    • Annabeth sagt:

      So abhängig dürften heutzutage wohl die wenigsten Frauen sein, dass sie sich von Männern vorschreiben lassen müssen, was schön ist und was nicht. Und Frauen, die auf solche Männer hereinfallen, haben es nicht anders verdient. Wenn das Ego nur noch auf Äusserlichkeiten wie Aussehen und Kleider beruht, dann sind wir wirklich auf dem Nullpunkt angelangt. Auf solche Männer pfeife ich.

  • Pedro sagt:

    Es geht halt wohl v.a. darum, auf dem Flirt-Sex-Markt noch begehrenswert zu sein. Und Männer (und ja, auch Frauen) gucken zuerst auf das Äussere, da ändert auch das Alter daran nichts. Einen „Innere Werte“ sieht man den Leuten nicht an, und diese Inneren Werte werden oft gar nicht ergründet, da aufgrund eines nicht ideal-knackigen Aussehens die Person auch gar nicht näher kennengelernt werden will. Das war schon immer so und wird wohl auch so bleiben.

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