Minimalismus als Erfolgsfaktor

Als Eltern fragt man sich zuweilen, woher die eigenen Erziehungsgrundsätze stammen, um dann darauf zu kommen, dass man in den meisten Fällen reproduziert, was die eigenen Eltern einem vermittelt haben. Umso erstaunlicher ist es dann festzustellen, dass die Kinder auch ihrerseits gesellschaftliche Muster reproduzieren, die so gar nichts mit den eigenen Werthaltungen zu tun zu haben scheinen.
So hört man von Lehrerseite immer wieder, Mädchen seien streb- und folgsamer, fleissiger, würden sich bei der Selbstbeurteilung aber viel kritischer einschätzen als die Buben. Die Buben wiederum neigten eher zu Minimalismus, was den Lernaufwand betrifft, sowie Selbstüberschätzung bei der sogenannten Selbstbeurteilung. Das sagte neulich eine Lehrerin beim Elternabend, was zu Gelächter führte, obschon es eigentlich nicht so besonders lustig ist.
Mir gab das zu denken, denn tatsächlich erkenne ich ähnliche Muster auch bei meinen Kindern. Die Tochter ist tipptopp organisiert, erbringt in der Schule Spitzenleistungen, weiss das auch, würde sich aber selber viel strenger beurteilen als ihre Lehrer und Lehrerinnen. Dem Sohn ist es herzlich egal, wie gut oder schlecht er objektiv ist, er versucht einfach den Aufwand so minim wie möglich zu halten, ohne dass er Ärger bekommt. Ich weiss nicht, woher das kommt. Alles in allem scheinen die Mädchen sensibler auf Druck zu reagieren, sie wollen gefallen, während bei Buben die Verweigerungshaltung weniger verdächtig erscheint als Strebertum.
Männerrechtler warnen immer wieder, die Buben würden in der Schule abgehängt. Die Anforderungen seien zunehmend auf die streb- und folgsamen Mädchen zugeschnitten, während die Bedürfnisse der Buben unberücksichtigt blieben. Auf der anderen Seite wartet die Wirtschaft schon lange und weitgehend vergeblich auf den Ansturm all der gut ausgebildeten weiblichen Arbeits- und Führungskräfte, um den Fachkräftemangel auszugleichen. Und dabei sind Frauen erst noch billiger, weil ihnen die nötige Selbstüberschätzung fehlt, ebenso hohe Löhne einzufordern wie ihre männlichen Kollegen.
Bisher dachte ich immer, dass dies vornehmlich mit der Familienplanung und einem konservativen Familienbild zu tun hat, das Müttern den Platz an der Seite ihrer Kinder zuweist und dem Mann die Rolle des Alleinernährers. Aber wäre es nicht auch möglich, dass es auch am spezifischen Arbeitsethos der Geschlechter liegt? Dass der pragmatische, um nicht zu sagen minimalistische Ansatz letztlich fruchtbarer ist als Perfektionismus, Bescheidenheit und Gefallsucht? Ist gezielter Minimalismus kombiniert mit Selbstüberschätzung vielleicht gerade in unserer Leistungsgesellschaft der Schlüssel zum Erfolg? Vielleicht – allerdings werde ich mich trotzdem hüten, das meinem Sohn zu erzählen.
Bild oben: Bloss nicht zu viel Energie im falschen Moment verschleudern. Ein Schüler in Monstein bei Davos, konzentriert aufs Wesentliche. Foto: Keystone
30 Kommentare zu «Minimalismus als Erfolgsfaktor»
Die Antwort im Film von Harald Eia: http://www.youtube.com/watch?v=3OfoZR8aZt4
Unbedingt den ganzen Film schauen!
Sehr schön reflektierter Beitrag, vielen Dank. Vielleicht sollte man die Schlussfolgerung rückwärts anstellen: Das Wertesystem in der Schule hat herzlich wenig mit demjenigen der Arbeitswelt zu tun. Schade um diejenigen, welche in der Schulzeit darunter leiden müssen und schade um die Ressourcen, welche wir in eine offenbar zu einem schönen Teil wenig effiziente Schule stecken.
You need to follow minimalism lifestyle to know the real pleasure of living life with a lot of leisure time.
Minimalismus