Männliche Strategien gegen den Tod

Blogmag_Dempsey

Gerade habe ich ein Buch zu Ende gelesen, das ich jedem empfehlen möchte und auf das ich unter anderem auch wegen seines Titels gestossen bin. «Straight White Male» lautet er und ist als Ansage zu verstehen. Das Buch ist in gewisser Weise eine Autobiografie des schottischen Schriftstellers John Niven, aber man muss weder Schriftsteller noch Mann sein, um die ebenso lustigen wie tragischen Kämpfe seines Protagonisten nachempfinden zu können.

Es geht darin um Kennedy Marr, Exil-Ire und einst der jüngste englischsprachige Autor auf der Booker-Preis-Liste, jetzt Drehbuchautor in Hollywood, so erfolgreich wie berüchtigt. Denn Marr ist masslos in allem, was er tut. Sein Leben in Hollywood ist eine einzige Abfolge von Cocktails, die er ab der Mittagsstunde in sich reinschüttet, jungen Schauspielerinnen, die er vernascht, Beleidigungen, die er links und rechts verteilt, was gelegentlich zu Schlägereien und dann Schlagzeilen führt, die ihm aber nichts anhaben können. Seit er seine zweite Ehefrau noch während der Hochzeitsfeierlichkeiten mit dem Garderobenmädchen hintergangen hat, steht Letztere genauso auf seiner Payroll wie all die Putzfrauen, Hollywood-Agenten, Psychiater und Anwälte, die er vor allem dafür bezahlt, hinter sich aufzuräumen. Marr steckt also dauernd in Schwierigkeiten, hat aber keinerlei Absicht, an seinem Lebensstil etwas zu ändern. Zum einen, weil er so erfolgreich ist, dass er es sich leisten kann. Und zum anderen, weil er gar nicht anders kann. Sein Verhalten ist eine einzige Randale gegen Vernunft, Gesundheit und Mitgefühl. Warum tut er das, fragt sich der Leser und bekommt im Verlauf des Buchs zwei Antworten. Erstens, weil er es kann und damit durchkommt. Zweitens, weil wir sterblich geboren werden und unsere Sterblichkeit ein ultimativer Affront, eine intellektuelle Beleidigung ist – gleichzeitig aber auch Quell für Kreativität. Sexualität ist die einfache Strategie, sich gegen die eigene Sterblichkeit zu stemmen. Die schwierigere ist, etwas zu erschaffen, aus dem Nichts zu erdenken.

John Nivens Buch kann man als Meditation über die Midlife-Crisis eines erfolgreichen Mannes lesen. Und obschon er das Klischee von Männlichkeit nach allen Regeln der Kunst durchdekliniert, geht es letztlich nicht nur um Männlichkeit. Als Mann geboren zu sein, ist für Kennedy nur die Voraussetzung, unter der er das allzu menschliche Problem abhandelt: nämlich, wie man angesichts der Endlichkeit der eigenen Existenz überhaupt leben kann.

Im Verlauf der Geschichte wird Kennedy Marr gezwungen, sich seiner Vergangenheit zu stellen, mit all den unverzeihlichen Fehlern, die ihren Verlauf säumen wie Wegmarken. Er muss nach England zurück, wo seine erste Ehefrau und seine sechzehnjährige Tochter leben. Beide hat er verlassen, genauso wie seine Mutter, die in einem Spital in Dublin im Sterben liegt und ihn ein letztes Mal sehen möchte. Die Tragik seines Lebens, so kommt Marr im Verlauf des Buches zum Schluss, besteht darin, dass sein verzweifeltes Wegrennen vor dem Tod dazu geführt hat, dass er sich gegen das einzige, was im Leben letztlich zählt, versündigt hat, nämlich gegen die Liebe. Er fragt sich, ob er nicht ein anderes Leben hätte leben können und sollen. Er kommt zum Schluss, dass das möglich gewesen wäre, aber nicht, ohne dass er ein anderer wäre, als er ist.

Autor John Niven hat mit dem Titel seines Romans und seinem schwanzgesteuerten Helden Kennedy Marr das Problem der Sterblichkeit in der spezifisch männlichen Ausführung adressiert. Mit der man sich natürlich auch als Frau identifizieren kann – Hoffnung auf Erlösung durch Kreativität ist genauso verbreitet wie die Erkenntnis all der unverzeihlichen Fehler, die man im Leben so macht. Nur in einer Hinsicht möchte ich Kennedy Marr beziehungsweise John Niven widersprechen. Es gibt dieses Bonmot, das man gemeinhin Orson Welles zuschreibt, das aber auch Kennedy Marr immer wieder anführt, um sein Verhalten zu rechtfertigen: Man wird alleine geboren, und man stirbt alleine. Ich war immer schon erstaunt, mit welcher Ernsthaftigkeit Männer diese Weisheit immer wieder anführen und dabei vergessen, dass jedes Kind neun Monate von seiner Mutter getragen und danach nochmals jahrelang von ihr genährt, geschützt, gewärmt und getröstet wird. Und ohne diese Zuwendung gar nicht dazu kommen würde zu behaupten, wie einsam die menschliche Existenz doch so ist.

Leider tröstet diese Erfahrung auch nicht unbedingt darüber hinweg, dass wir dazu verdammt sind zu sterben, aber sie gibt dem Leben doch immerhin einen Sinn, der über das eigene triste Dasein hinausgeht.

Bild oben: Patrick Dempsey sitzt als Dr. Shepherd in der TV-Serie «Grey’s Anatomy» alleine am Tresen.

11 Kommentare zu «Männliche Strategien gegen den Tod»

  • Robert Herz sagt:

    Man ist übrigens auch nicht einfach der, der man ist. Man kann sich tatsächlich ändern – oder besser: Weiter entwickeln. Sogar aus den Fängen des Selbstmitleids gibt es ein Entkommen.

  • Philipp Rittermann sagt:

    siehe auch „leaving las vegas“. ich finde, man(n) darf sich auf den tod freuen wenn man „gut“ gelebt hat. und merke – wer öfter stirbt, hat mehr vom leben!

  • Der Artikel hat’s in sich!!!

  • Bruno Müller sagt:

    Ich empfinde mein Dasein nicht als trist, der Tod macht mir keine Angst, und Sinn gibt es nicht ausserhalb dessen, einfach zu leben.

  • markus müller sagt:

    ausser dem leben selbst hat das leben weder bedeutung noch sinn. über den tod hinaus bleibt auch nichts erhalten was nicht innerhalb von wenigern jahren völlig vergessen geht. und wenns mal einer dank ganz unglaublicher brutalität und machtgier in die geschichtsbücher schafft, so ist auch dieser jemand dort nur ein vager schatten von dem tatsächlichen menschen der er mal war. spuren hinterlassen nützt nichts und ist blosse egomanie. fortpflanzen ist auch nicht besonders wertvoll. 1. weils fast jeder tut und 2. weis dadurch zu viele von uns gibt.

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