Unterschätzte Stil-Ikonen

Die von mir stets gern gelesene Hadley Freeman, Kolumnistin des britischen Guardian, hat dort bereits letztes Jahr festgestellt, dass die jährliche Best-Dressed List von «Vanity Fair» irgendwie immer erratischer wird (um es vorsichtig zu formulieren, Frau Freeman drückt es drastischer aus). Nun, wie der treue Leser weiss, liebe ich «Vanity Fair» (amerikanische Ausgabe, natürlich) – aber hier hat Hadley Freeman recht: auch diesen September fanden sich auf der Best-Dressed List von «Vanity Fair» wieder sehr merkwürdige Einträge; neben so wunderbaren Erscheinungen wie Tom Brady, den ich aufrichtig liebe, namentlich so Unerklärlichkeiten wie Jay-Z, Colin Firth, Stella McCartney, Ozwald Boateng und, worst of all, Jean Pigozzi und Carlos Souza (die albernsten Schuhe).
Nun, die wahre sartoriale Exzellenz findet sich ohnehin nicht in der laufenden, sondern in der Hall-of-Fame-Abteilung der Liste, wo die zeitlosen Ikonen des guten Geschmacks versammelt sind, angeführt von einer leider inzwischen abgetretenen Garde von Upper-East-Side-Instanzen, aus Zeiten, als die Ladies ihren Lunch in Le- und La-Restaurants wie La Côte Basque und Le Cirque einnahmen (natürlich wurde nicht wirklich gegessen) und Namen wie Babe Paley, C. Z. Guest und Jacqueline Onassis (alle in der Hall of Fame) die Trophäen jeder Gästeliste waren. Ausserdem finden sich in der Hall of Fame der Best-Dressed List von «Vanity Fair» zum Beispiel Lauren Bacall, Mercedes Bass, Candice Bergen, Pat Buckley, Nan Kempner, Amy Fine Collins, Catherine Deneuve, Daphne Guinness, Audrey Hepburn, Bianca Jagger, Elsa Klensch, Fran Lebowitz, Clare Boothe Luce, Chessy Rayner, Rosalind Russell, Giovanni Agnelli, Giorgio Armani, Bill Blass, Robert Evans, Bryan Ferry, Hubert de Givenchy, Cary Grant, David Hockney – und aufschlussreicherweise niemand aus dem deutschen Sprachraum. Ich muss all diese Namen hier mal wieder erwähnen, weil sie heutzutage viel zu selten erwähnt werden, und wenn ich auch nicht finde, dass früher alles besser war, so denke ich, dass wir immer noch ne Menge lernen können von Leuten, die sich richtig anziehen.
Dabei will «Vanity Fair» das Prädikat «Best Dressed» weiter fassen als blosse Mode; es geht um Stil, ikonischen Stil. Eine Stil-Ikone ist eine öffentliche Figur, die in Auftritt und Haltung für eine bestimmte, eigene Ausdrucksform steht und darin beispielhaft und massgebend wirkt. Stil-Ikonen sind eher ein popkulturelles Phänomen, obschon bereits Kleopatra oder zum Beispiel Marie Antoinette stilprägende Persönlichkeiten waren. In unseren herrlich beschleunigten Zeiten jedoch explodiert, wie fast jede Quantität, auch die Zahl der vermeintlichen Stil-Ikonen. Dabei könnte man wohl gleichzeitig feststellen, dass das durchschnittliche Geschmacksvermögen eher gesunken ist. Aber wir wollen hier nicht kulturpessimistisch rumnörgeln. Well, nicht nur. Sondern unsererseits lieber ein paar bisher übersehene Namen ins Spiel bringen, die uns einer Nominierung zur Stil-Ikone würdig erscheinen, weil sie Charisma mit Konsequenz verbinden und uns ein inspirierendes Beispiel geben.
- Madeleine Albright
Die ehemalige Aussenministerin der USA ist ein Kaliber für sich – nicht erst, seitdem sie im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen den Macarena tanzte und öffentlich bekannt wurde, dass Frau Albright ihre Broschen auf diplomatischem Parkett als Übermittler subtiler Botschaften einsetzte (was übrigens die überaus erfolgreiche Wanderausstellung «Brooching it diplomatically» inspirierte, für die über 50 Künstler Ansteckschmuck für Madeleine Albright entwarfen). Aber Frau Albright ist mehr als nur Broschen. Obschon von der Statur her eher stark, bleibt sie einem Stil treu, der auch vor kräftigen Farben und grossen Hüten nicht zurückschreckt. Aber niemals zu auffällig oder aus der Rolle fallend. Und das ist nicht nur die Grundregel der Diplomatie, sondern auch der richtigen Garderobe.
- Margrethe II. von Dänemark
Kronprinzessin Mary von Dänemark ist auf der aktuellen Best-Dressed List, nicht jedoch ihre Schwiegermutter, Margrethe II. Dabei hätte die längst (wie Elizabeth II. von England) einen Platz in der Hall of Fame verdient. Ihr Auftreten ist zwar tendenziell von gehobener Konventionalität, aber immer der Rolle vollkommen angemessen. Die Königin hat es nicht nötig, Geschmack und Garderobe als Mittel sozialer Distinktion einzusetzen, und trotzdem verstrahlt Margrethe selbst in dänischer Nationaltracht oder im gelben Regenmantel mehr repräsentative Eleganz als Imelda Marcos mit fünftausend Schuhen.
- Thomas Mann
Der letzte grosse deutsche Dichter hat sich stets beinahe überkorrekt und fast zu streng gekleidet. Thomas Mann verstand sich selbst immer als ein irreguläres bürgerliches Individuum: der Lübecker Patriziersohn, der innerlich nur ein winziges Stück entfernt war von den „Zigeunern im grünen Wagen“, die in seiner meisterhaften Erzählung „Tonio Kröger“ zitiert werden als Sinnbild für Bohème und Ausschweifung. Diese Gespaltenheit zwischen Bürger und Künstler hat Thomas Mann zeitlebens als Auszeichnung und Stigma empfunden, sie ist ein Hauptmotiv seines ganzen Werks, und sie äusserte sich äusserlich in Form und Haltung derart, dass er unbedingt bürgerlich auftrat. Bekannt ist sein Diktum, wenn es schon innerlich abenteuerlich zugehe, solle man sich wenigstens ordentlich anziehen. Eine zeitlose Wahrheit.
- Hulk Hogan
Ikonen sind regelmässig an einer stilistischen Signatur zu erkennen, und was bei Jacqueline Kennedy das Pillbox-Hütchen war, ist bei Entertainment-Ringer Hulk Hogan das Bandana. Dazu kommen ein riesiger gebleichter Schnurbart, die permanente Bräune und die bruchfeste Surfer-Sonnenbrille. Herr Hogan trägt, wenn er nicht im Ring steht, vorzugsweise Jeans und Muscle Shirts und ist damit richtungsweisend für das, was man Florida Wrestling Chic nennt. Und auch wenn man dieser Richtung nicht folgt, so muss man doch die Konsequenz anerkennen.
- Spongebob Squarepants
Eine Ikone sollte Vorbild und Inspiration sein – und wer wäre eine grössere Inspiration als der stets fidele Burger-Brater aus der Krossen Krabe! Spongebob tut genau das, was unter selbsternannten Stilexperten und Internetdandies verpönt ist: Er hat jeden Tag (bis auf ganz seltene Ausnahmen) absolut das Gleiche an, wobei er seine Hemd-Hose-Krawatte-Kombination ganz einfach wie einen Bastelsatz aus Pappe zusammenfaltet. Und wir wissen, dass er schon als Spermie diese berühmten Spongebob-Schuhe trug, die er auch im Bett nicht auszieht. Damit demonstriert uns Spongebob so eindrucksvoll wie niemand sonst, was wir mit all unseren Nominierungen zu zeigen versuchten: Viel wichtiger als ein guter Stylist ist – die richtige Einstellung! Oh, I heart Spongebob!
Im Bild oben: Der Westler Hulk Hogan vor einem Kampf in Tampa, Florida im Juni 2004. (Quelle: Keystone)
3 Kommentare zu «Unterschätzte Stil-Ikonen»
6) grace jones
7) prince
8) norma-jean baker
9) die schlümpfe
10) philipp rittermann.
🙂
aua – entschuldigung – ich habe elvis vergessen – der gehört da natürlich auch hin. und – nein – wer was von michael jackson schreibt, köpfe ich eigenhändig!
Hmmm. Ich glaube, dass uns der Herr Tingler mit dieser Liste provozieren will! Margrethe II zum Beispiel hat doch einen ziemlich, öhm, schreienden Stil. Gehobene Konventionalität? Hüstelhüstel. Und Hulk? Heftighusthust. Vielleicht würde zur Liste auch eher der Titel „Ikonen der Originalität“ passen. Amüsant ist sie nämlich! Und, apropos Provokation: Michael Jackson, Michael Jackson, Michael Ja-ha-ckson! 😉 Sorry, das konnte ich mir einfach nicht verkneifen. 🙂