Kann man Fussball hassen und trotzdem ein Mann sein?

Über Angela Merkel hat natürlich jeder seine eigene Meinung (ich persönlich fand das ja nicht schlecht, wie sie Monsieur Hollande auf dem Roten Teppich zurechtschob). Aber eins ist Frau Merkel sicher nicht: eine gute Schauspielerin. Ihre Tribünenhüpfer zum Beispiel anlässlich des Viertelfinales Deutschland/Argentinien bei der letzten Fussball-Weltmeisterschaft 2010 wirkte ein bisschen wie die protestantische, ostdeutsche Version von Tom Cruises Sofasprüngen bei Oprah Winfrey. – Wobei, speaking of protestantisch und ostdeutsch: Vielleicht ist ja Frau Merkel auch bloss etwas körperlich unbeholfen, das ist sie ja manchmal, und hat wirklich Freude am Fussball. Jedenfalls besucht sie gerne, wie auch jetzt wieder zur Europameisterschaft, die deutsche Mannschaft, und sogar in diesem Locker Room war sie ziemlich unbefangen, jedenfalls unbefangener als damals bei dieser Nackenmassage durch George W. Bush. Ausserdem ist es, wenn Deutsche Enthusiasmus zeigen wollen, meistens etwas peinlich. Ich sage nur: Yes We Gauck. Das war das Beste, was den Deutschen einfiel, um ihren neuen Bundespräsidenten zu feiern. Ich weiss noch, was mein englischer Ehemann sagte, als er zum ersten Mal diesen Nonsense hörte: Yes We Gauck. Er sprach: «Who came up with that piece of shit?»
Wobei ich Herrn Gauck gar nicht mal so schlecht finde. Ich meine, er greift sich öfter ans Herz als Céline Dion bei «My Heart Will Go On», aber er ist ein Freund der Freiheit, und die werden seltener, heutzutage. Und nun wieder zurück zu Angela Merkel. Frau Merkel ist also keine Schauspielern, und mutmasslich etwas weiteres auf keinen Fall: ein Mann. Ich betone das deshalb, weil unsere Frage heute lautet: Kann man Fussball uninteressant finden und trotzdem ein Mann sein?
Männer und Sport
Spontan ist man versucht, zu sagen: Ja! Jedenfalls im alten Europa, einer Welt, in der unter der Fahne des Individualismus eine Vielzahl von Lebensentwürfen praktikabel sein sollte – aber das ist nicht so. Das alte Europa hat nämlich schon längst den Körper als Projektionsfläche und den Sport als Massengeschäft und Lebensgefühl entdeckt, und vor diesem Hintergrund scheinen archaische Traditionen der Männlichkeit so lebendig zu sein wie eh und je: Den meisten Männern gilt offenbar die Befassung mit Sport, die Besprechung von Sportereignissen, Ergebnissen und Spielern als eine so grundlegende Transaktion wie die Nahrungsaufnahme. Der Austausch über Sport knüpft und stärkt Verbindungen und schafft ein Gefühl der Zusammengehörigkeit. Je stärker Männer die Verantwortlichkeiten ihres eigenen Lebens vom Spielfeld entfernen, desto dringender scheinen sie die theoretische Trivialität des stellvertretenden sportlichen Wettkampfs zu brauchen. Das Interesse an (wohlgemerkt nicht: das Betreiben von) Sport ist eine Eintrittskarte in die Welt der heterosexuellen Männlichkeit, der problemlosen Kontaktanbahnung und leichten Gespräche beim Lunch, gleichzeitig übrigens auch eine Eintrittskarte in die Welt der lebenslangen (und meist unerwiderten) Liebe und Loyalität zu irgendeinem Team, verbunden mit trivialem Tribalismus und emotionalen Zuständen, die direkt mit dem Schicksal dieses Teams verknüpft sind. So war es schon immer und so wird es immer sein. Man kann inzwischen anscheinend ein Mann sein und sich dazu bekennen, weder Megan Fox noch Autos zu mögen. Sowas wird heutzutage als individuelle Geschmacksentscheidung respektiert. Doch sich nicht für Sport zu interessieren, wirft ein schales Licht auf die Männlichkeit des Betroffenen, wenn nicht gar auf seinen ganzen Charakter, und ist den gesellschaftlichen und geschäftlichen Beziehungen potenziell schädlich. So scheint es zu sein. So wirkt das Gespräch über Sport mit seinem ganz speziellen Jargon und seiner besonderen Expertise quasi als informelle Superstruktur des systematischen Ausschlusses eines Teils der Männerwelt von ihrem Rest. Wie übrigens auch richtige Männer nicht genau wissen, wer oder was «Oprah» ist oder war.
Dieses Jahr ist ein schwieriges Jahr für jene real existierenden Männer, denen Millisekunden und Nationalmannschaften und Ablösesummen wenig bedeuten und die bei «Transfer» vor allem an «Flughafen» denken. Kaum ist die Fussball-EM gelaufen, steht mit den Olympischen Sommerspielen eines der selbstreferentiellsten und bei Sporthassern am meisten Abscheu erregenden Ereignisse des Weltsportkalenders bevor, und da scheint es gelegen, die Frage zu wiederholen: Kann man Sport hassen und trotzdem ein Mann sein? Immerhin haben wir selbst bereits die Frage in unseren Ausgangsvoraussetzungen implizit mit der normativen Kraft des Faktischen beantwortet: Es existieren ja unleugbar massenhaft Männer, die sich zum Beispiel für Fussball nicht interessieren – und trotzdem Männer sind. Oder doch nicht? Wir müssen zu einer weiteren, komplexeren Frage vorstossen, nämlich: Wonach bemisst sich ein Mann? Wir müssen das Männerkonzept im allgemeinen und das des Sportliebhabers im besonderen etwas genauer unter die Lupe nehmen.
Zunächst einmal kann man als Mann selbstverständlich einzelne, sissyhafte Sportarten hassen, ohne dafür seine Männlichkeit aufs Spiel zu setzen, also zum Beispiel Eiskunstlauf oder rhythmische Sportgymnastik. Ferner ist es mit einem gesunden Testosteronspiegel ohne weiteres vereinbar, Sportarten abzulehnen, bei denen man irgendwie trottelhaft oder nerdish aussieht, etwa Nordic Walking. Und drittens und letztens und wichtigstens sollte man nicht vergessen, dass Sport noch vor der Geschlechts- immer auch vor allem eine Klassen- und auch Modefrage ist. Früher galt grundsätzlich: je vornehmer die Sportart, desto weniger direkten Körperkontakt mit dem Gegner beinhaltet sie (Tennis, Segeln), und Teamsportarten waren stets weniger fein als Einzelsport (mit der Ausnahme von Lacrosse und Polo). Heutzutage gibt es hingegen erstens snobistische Sportarten (also solche, in denen sich vor allem die sozialen Ambitionen ihrer Betreiber und Zuschauer äussern), allen voran: Golf, die Sportart, die dem Sitzen am nächsten kommt. Oder, in den unsterblichen Worten Mark Twains: Golf is a good walk spoiled. Und andererseits wurden einstmals proletarische Sportarten, wie Boxen und auch Fussball, plötzlich (jedenfalls in Kontinentaleuropa) anscheinend auch für die höheren Sphären attraktiv, weil sie irgendwas Echtes, Authentisches, Unprätentiöses zu enthalten versprechen (was sie früher in der Tat auch enthielten). Dies heisst jedoch keineswegs, dass das Reden über solchen Sport seinen klassentypischen Charakter verloren hätte. Der amerikanische Kulturhistoriker Paul Fussell konstatierte in seinem von mir gerne zitierten Buch «Class», dass das Sprechen über Sport eine typische kompensatorische Beschäftigung der unteren Mittelklasse darstelle, die durch die damit verbundene Distinktion und Pseudofachsimpelei ihre reale Einflusslosigkeit zu kompensieren trachte. Wenn man nicht über Fussball redet, bedeutet dies also demnach nicht, das man kein Mann ist, sondern nur, dass man nicht die geistige Welt der Mittelklasse teilt.
Wie überlebt man Gespräche über Sport?
Wie jedoch lässt sich die Nichtbefassung mit Sport ganz grundsätzlich mit der eigenen Männlichkeit vereinbaren? Ganz einfach: durch Änderung der Kategorien. Das bedeutet: Man sollte die Unterscheidung zwischen Männern, die sich für Sport interessieren, und solchen, die das nicht tun, substituieren durch die Unterscheidung zwischen Männern, die Sport treiben, und solchen, die dies nicht tun. Oder, etwas weniger strikt: zwischen solchen, die sich bewegen, und solchen, die das nicht tun. Diese Gruppen sind durchaus nicht deckungsgleich: Während es eine bekannte und augenscheinliche Tatsache ist, dass die meisten Männer, die andauernd über Sport reden, nicht mal in der Lage wären, einen Medizinball zu fangen, ist es weniger bekannt, dass zahlreiche Männer, die sich regelmässig bewegen, ausführliche Diskussionen über Sport nicht brauchen.
Um also als Mann Sport langweilig finden zu dürfen, darf man einfach nicht unsportlich sein. Das ist wie mit der Kritik an Schönheitsidealen: um die glaubwürdig vortragen zu können, darf man nicht grottenhässlich sein. Klingt ungerecht, und ist es auch. Das Leben ist nicht fair, das unterscheidet es idealerweise vom Sport. Fest steht: Männer, die nicht aussehen, als könnten sie mehr als acht Treppenstufen steigen, kann man einfach nicht ernst nehmen, wenn sie sich über Sport auslassen (jedenfalls jenseits von akademischen Kontexten, aber eigentlich selbst dort nicht). Konflikt gelöst, Männlichkeit gerettet. Natürlich können Sie in Gesellschaft nicht verächtlich schnauben oder die Augen verdrehen, wenn so ein Sportsfreund Ihnen beispielsweise eine Debatte über den Punktestand bei der Formel 1 aufdrängt. Was also ist zu tun? Wie können Sie höflich Abstand nehmen, ohne das Gebot des guten Tons zu verletzen? Hierzu folgende Empfehlungen:
1. Ironische Bemerkungen wie «Oh ja, ich liebe XXX [beliebige Sportart einsetzen]!» sind schwierig, denn wie die meisten Sportler, so sind auch viele Männer für Ironie vollkommen unempfänglich.
2. Gefährlich ist es auch (weil es langweilig und in vielen gesellschaftlichen Kontexten inadäquat ist), zu versuchen, den grösseren Horizont aufzuziehen, also in weitschweifige Erörterungen der Stellung des Sports in unserer Welt, seiner Missstände und Fehlentwicklungen abzugleiten.
3. Die sicherste Methode bleibt: das Pseudosportgespräch, also die geschickte Ausweichung. Diskutieren Sie Spielerfrauen, Kokainkonsum und die Innenausstattung der Anwesen von Sportmillionären. Denken Sie sich was aus. Weisen Sie darauf hin, dass Tiger Woods nach seinem Sexskandal für kurze Zeit (bis zu seiner peinlichen Entschuldigung) einmal ansatzweise interessant wurde. Derlei Ausweichungen werden leichter aufgenommen werden, als sie jetzt vielleicht denken. Denn der durchschnittliche Mann, der im bürgerlichen Leben sein Auskommen als Parkplatzwächter, Metzger, Universitätsprofessor oder Hedge-Fonds-Manager findet, hat in der Regel nicht nur eine Schwäche für Sport – sondern auch für Klatsch. Aber das ist wieder ein anderes Thema. Und nun muss ich gehen. Das Spiel fängt gleich an.
Im Bild oben: Französische Fans an der Euro 2012. (Foto: Keystone)
12 Kommentare zu «Kann man Fussball hassen und trotzdem ein Mann sein?»
Um auf den Mount Everest zu steigen, Fussball zu spielen oder ein grosses philosoph. Werk zu schreiben; aber auch um trinkfest zu sein –
braucht es einen kraeftigen Schuss Testosteron…
Fussball ist eine Männersache daswar schon immer so !Frage mich jedoch sind das wirklich Männer?
Der heutige Fussball ist etwa so männlich wie Synchronschwimmen!
Da schlimme daran ..die die ins Stadion gehen Woche für Woche und sich benehmen wie Höhlenmenschen auf Ecstasy, sind die die am wenigsten Sporttreiben..und von Fussballspielen …meist keine Ahnung haben..muss irgendwie der Hass sein der Sie antreibt, Hass darauf selber kein guter Fussballer geworden zu sein und auch sonst nicht wirklich viel im Leben erreicht zu haben, beim Mannschaften wählen immer als letzter genommen worden zu sein..das Frustriert und bringt einen dazu bei minus 5 Grad oben ohne permanent Affenrufe zu imitieren..und auf andere Affenmännchen loszugehen..wie ein Silberrücken