Auf dem Land

Hier ist man noch fast in Zürich: Gondelbahn Huettenberg-Grotzenbuehl in Braunwald. (Foto: Keystone/Urs Flueeler)
In Braunwald, wo wir in den Skiferien waren, gibt es keine Autos. Das Transportmittel sind Schlitten, Jung und Alt jagt die verschneiten Strässchen hinunter, Pferdekutschen bimmeln durchs Dorf, Elektrofahrzeuge klettern die vereisten Wege hoch.
Ein Lastwägeli mit offener Fahrerkabine brachte unser Gepäck zur Drahtseilbahn. Ein grosser Glarner mit Bart zurrte mit einem Riemen unsere sperrige Ware auf die kleine Ladefläche. Er trug keine Handschuhe, obwohl es minus zehn Grad oder kälter war. «Man gewöhnt sich schnell», sagte er und zuckte die Achseln.
«Richtig Winter», sagte ich, als wir an den steif gefrorenen Tannen vorbeirumpelten. Dicker Schnee lag auf den Chalets. «Ansichtssache», sagte der Fahrer. In einer Woche seien die Ferien im Unterland vorbei, dann kämen keine Gäste mehr. Es werde ruhig im Dorf. «Dann interessiert es keinen, wie es aussieht bei uns. Richtig Winter oder nicht? Das ist dann egal.»
Ich mochte die lakonische Art des Fahrers. Das ist ja der Lohn für die Stille im Dorf: dass man sparsam redet, konzentriert aufs Wesentliche, keine Silbe zu viel. In der Luftseilbahn hatte ich älteren Einheimischen zugehört, die sich darüber unterhielten, wie schnell man zur Fahrprüfung aufgeboten werde, wenn man siebzig werde. «Der Brief kam pünktlich an meinem Geburtstag», wunderte sich einer, «keinen Tag zu spät.» «Alles ferngesteuert heute», kommentierte sein Kollege. Dann schwiegen sie wieder.
Trotzdem hatte ich in Braunwald nicht das Gefühl, wirklich auf dem Land zu sein. Die Skiorte führen ein seltsames Doppelleben, auf den Terrassen der Bergrestaurants oder im Zielraum des Skischulrennens trifft man halb Zürich. «In einem Jahr wieder!», sagt man sich beim Abschied. Und wenn man wieder im Unterland ist, vermisst man zwar die Ruhe und das Panorama, aber wo war man eigentlich? In einer Welt der Chalets, der Skilifte, der Dorflädeli und der unheimlichen Pistenmaschinen, die den Horizont ableuchten in der Nacht.
Nein, weit weg von Zürich ist man im aargauischen Freiamt. Wo am Rand der Dörfer Garagen herumstehen, dorthin brachten wir kürzlich unser Familienauto auf seinem letzten Gang. Die Verschrottungsanlage war wie das Tor zur Hölle. Ein älterer Mann im Overall kurvte mit einer Vespa über das Gelände und holte aus den Lagerhallen Ersatzteile, die den Autos abgenommen worden waren, bevor man sie zerquetschte. «Niemand darf aufs Gelände», sagte er, als wir parkiert hatten.
Wir mussten warten, in der Werkstatt bot man uns Kaffee an, der Mechaniker flirtete mit der Lehrtochter, der Sohn des Garagisten half dem Vater während der Ferien, gegen Abend kamen Leute und philosophierten über Autos, es war wie in der guten Stube. Nette, zugängliche Menschen, aber alles war anders, ihr Alltag, ihr Haarschnitt, ihre Ansichten über No Billag.
In «20 Minuten» habe ich gelesen, dass die Jungen wieder mehr aufs Land ziehen wollen, sie sparten eisern aufs Eigenheim. Mit einem kleinen Garten.
4 Kommentare zu «Auf dem Land»
also ich appelliere ja immer an die stadt-zürcher – bitte bleibt da wo ihr seid. – danke-danke-danke!
Braunwald? Fährt da überhaupt noch jemand aus dem Unterland zum Skifahren hin? Und was hat dieses Braunwald denn mit dem Aargau zu tun, vielleicht dass es dort auch „Eingeborene“ hat, die nicht ganz so hip und cool wie die Expats in Zürichs Trendquartieren oder in Kilchberg oder Zollikon sind? Und: Worin unterscheidet sich eigentlich – um ein Beispiel zu nennen – Wohlen im Aargau von Wetzikon im Kanton Zürich? Leute und Mentalität sind sich im Grossraum Zürich, der heute mindestens bis Aarau, Zug, Luzern und Frauenfeld reicht, so sehr ähnlich, dass ein Unterschied nur noch anhand der überkommenen Klischees auszumachen ist.
Was will diese Kolumne damit sagen? Dass der Aargau weiter weg von Zürich gelegen sei als Braunwald? Geographisch unmöglich, vielleicht aber nach Wunsch oder Traumideologisch autofrei zu sein, stimmt es, dass Braunwald ein Vorbild wäre. Vielleicht lässt sich’s erklären wieso sich gerade Zürich in Braunwald trift. In Braunwald und Zermatt spielte der Wunsch und Vermarktung nach einem authentischen Wintersportkurort. Autofeindliche Ideologie deckten sich perfekt mit dem Wunsch nach Ruhe, Erholung und Natur. Bei Venedig war es als Lagunenstadt das Wahrzeichen. Zürich aber soll als Zentrum der Schweiz dienen und soll nicht für Solche Träumereien Pate stehen. Die Träumer sollen besser nach Zermatt, Braunwald oder Venedig ziehen.
Haben diese Leute also JA gestimmt ? Hoffnung !