Zu Gast beim Attentäter
Felice Graf Orsini, 1819 in der Emilia-Romagna geboren, kämpfte sein Leben lang für ein geeintes Italien, kam deswegen mehrfach ins Gefängnis und einmal auch nach Zürich. Dort verkehrte er im Café Baur hinter dem Hotel Baur en Ville, wo Intellektuelle und Revolutionäre aus vielen Ländern verkehrten, gelegentlich auch Richard Wagner, Alfred Escher und Gottfried Keller. 1858, in Paris, warf Orsini Bomben aus Knallquecksilber auf Napoleon III., weil er diesem Verrat am geeinten Italien vorwarf. Napoleon überlebte, acht Passanten nicht, Orsini wurde geköpft – und die Zürcher Freunde nannten das Lokal fortan Orsini.
So heisst es heute noch und ist das Gegenteil von revolutionär: einer der besten und teuersten Italiener der Stadt – vom Gastroführer «Gault Millau» regelmässig mit 14 Punkten benotet und wegen seiner Konstanz hoch gelobt. Der Saal, den man vom Münsterhof her betritt, reisst einen nicht vom Hocker, im besten Sinn: ein Raum, der beruhigt und den Puls senkt. Es ist ein rechteckiger Salon mit hellbraun glänzendem Täfer, dezenter Wandbeleuchtung, massiver Deckenstuckatur – elegante Strenge, aufgelockert mit einem Mohnblumenteppich am Boden und Mohnblumenbildern an den Wänden.
Im Orsini lautet die Frage nicht, ob das Essen gut sei oder nicht, sondern, ob es seinem Ruf und seinen Preisen entspreche. Ja. Die Agnolotti mit Quark an Butter und Salbei (22 Fr.) und die Pennette all’arrabbiata (21 Fr.) sind wie im kulinarischen Lusttraum: dünn und weich der Teig, die Tomatensauce recht scharf, aber genau richtig, ein kontrolliertes Feuer. Auch beim Hauptgang fragen wir uns: Warum weiss der Koch, wie wir es gewürzt haben wollen? Da ist kein Salzkorn zu viel und keines zu wenig – eine Definition von «perfekt».
Besonders das Costoletta di Vitello alla milanese steht mit seinen 72 Franken unter scharfer Beobachtung. Für diesen Preis muss alles stimmen, sonst ist man verstimmt, sehr verstimmt. Und es stimmt! Saftig, zart; man meint, gar den Knochen essen zu können. Die Gemahlin verzehrt derweil eine kleine Portion des Steinbutts vom Grill (58 Fr.). Sie schweigt. «Du hast doch sicher was zu nörgeln?» Sie schaut kurz auf, schweigt weiter und beisst selig in den geschmorten Fenchel. Das Schweigen der Geniesser. Aromatische Überraschungen bietet diese der Tradition verpflichtete Küche nicht; ihre einzige Überraschung ist die durchgehend hohe Qualität. Nur die Weinkarte enttäuscht. Sie wird von Toskanern mit dreistelligen Preisen dominiert, wo es doch in Italien noch ganz anderes zu entdecken gäbe.
Traditionell sehen auch die Kellner aus, alles Männer in weisser Jacke und mit schwarzer Fliege. Sie sind routiniert und gut gelaunt. Das Orsini ist an diesem Samstagabend gut besucht; zu den Gästen gehören Kinder und Senioren, Vestons und T-Shirts. Passend zur freundlichen Stimmung verabschiedet einen der Chef de Service mit Handschlag.
Ristorante Orsini, am Münsterhof, 8001 Zürich
Tel. 044 215 27 27, täglich geöffnet über Mittag und ab 18 Uhr
Website
Ein Kommentar zu «Zu Gast beim Attentäter»
Es gibt auch in Winterthur ein Orsini. Auch an guter Lage, aber ein bisschen günstiger….