Hier gibts Lebensgefühle!

Im heutigen Beitrag dieser städtischen Gebrauchsanleitung geht es um natürliche Magermodels, eine Berner Band, Idioten und Selbstbefruchtung – vor allem aber geht es um eine Bar.

Kaum streckt uns der Frühling erste Knospen entgegen, kaum sehen die Bäume nicht mehr aus wie Magermodels, kaum fangen die Allergiker an zu keuchen und zu niesen, reden sie hier wieder alle und überall vom «neuen Lebensgefühl», das sie plötzlich spüren, angeblich sogar von früh bis spät, also vom Kaffee bis zum Koitus (wers glaubt, wird selig).

Und dieses neue Zürcher Lebens­gefühl, heisst es – auch da scheint man sich verblüffend einig – komme heuer aus Bern (was die einen hinter vor­gehaltener Hand mit «nöd guet, aber immer no besser als us em Ussland» ergänzen), nämlich von der Band Jeans for Jesus (die hysterische Fans bereits in «Jeans für alli!» umgetauft haben), konkret vom Stück «Wosch no chli blibä», das ebenso zum kollektiven Glückshüpfen animiere wie anno dazumal Pharell Williams’ «Happy».

Nun, wir von der städtischen Gebrauchsanleitung stehen der Sache, die irgendwie Hype und irgendwie Phänomen und irgendwie doch auch ziemlich irrelevant ist, etwas ratlos gegenüber.

Nichts gegen diese junge Band, die passt schon, wie die Kollegen von der Wiener Gebrauchsanleitung an dieser Stelle sagen täten. Doch unter dem Begriff Lebensgefühl verstehen wir Nachhaltigeres und Zeitloseres. Etwas, das zwar praktisch schon ewig existiert, das aber dank einem Kreativ­organismus, der sich quasi vorzu selbst bespringt und befruchtet und dabei Woche für Woche immense Ideen­mengen erzeugt, eben doch jedes Mal wieder einzigartig wirkt.

Wer nun gerade mitten in der Lektüre fast zu laut gerufen hat: «Hey, die meinen doch die Boschbar!», dem rufen wir anerkennend zu: «Aha, ein Habitué!» Wer die Boschbar nicht kennt – sie findet jeden Montagabend im Provitreff statt, kostet fünf Stutz und offeriert in der Regel irrwitzige Konzert- und trippige Disc-Jockey-Musik –, der soll die folgenden fünf Punkte bitte genau lesen – und genau befolgen.

1. Anders als in den bisherigen Beiträgen geht es das erste Mal nicht um die Frage, wie man sich verhalten soll, um nicht (oder mindestens nicht unangenehm) aufzufallen, nein: In der Boschbar sind «verhaltensauffällige» Menschen herzlich willkommen. Weil die Philosophie der Boschbar ähnlich ist wie die Philosophie von Lars von Triers Dogmafilm «Idioten»: Echte und falsche Hemmungen, Rollenzwänge, den inneren «Coolio» etc. deponiert man hier an der Garderobe.

2. Wer in der Boschbar tanzen will wie ein Hippie oder wie Kermit, tanzt wie ein Hippie oder wie Kermit. Wer laut ein Buch lesen will, liest laut ein Buch. Wer Bier mit Cola mischen will, sagt an der Bar, er wolle Bier mit Cola mischen. Wer weinen will, weint. Die Freiheit ist hier noch grenzenloser als über Reinhard Meys Wolken.

3. Dennoch gibt es Regeln. a) Wer am Töggelikasten fordert, muss das Spiel beherrschen. b) Beim DJ «Jeans für alli!» (oder sonst eine Lebens­gefühlsband) zu wünschen? Ein No-Go! c) Die Würde der Boschbar ist unantastbar (Aggressionen sind strikt tabu).

4. Nein, in diesem Artikel wurde weder geschrieben noch angedeutet, Boschbar-Besucher seien Idioten.

5. Nein, dies ist kein expliziter Aufruf für einen Besuch der Boschbar, es ist ein etwas anderer Erklärungsversuch für den Begriff «Lebensgefühl».

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