Feiern als Sicherheitsventil

Nicht alle verkraften die emotionale Dichte an Weihnachten gleich gut.

Nicht alle verkraften die emotionale Dichte an Weihnachten gleich gut.

Zuerst mit den biologischen Verwandten besinnlich unter den Baum sitzen und Geschenke auspacken, dann in den Club und mit Wahlverwandten bis zur Besinnungslosigkeit feiern. Das hat Tradition, zumindest seit in Zürich das Tanzverbot an hohen Feiertagen abgeschafft wurde. Keine Selbstverständlichkeit: Die Stimmbürger des Kantons Aargau dürfen am 28. Februar 2016 an der Urne entscheiden, ob sie dieses Relikt aus uralten Tagen nicht ebenfalls endlich aus der Welt schaffen wollen (aktuell ist dort an hohen religiösen Feiertagen und den Folgetagen jeweils um 00:15 Sperrstunde).

Ein Festhalten am Tanzverbot macht vor allem aus einem Grund keinen Sinn: Alljährlich und zur Weihnachtszeit häufen sich die die Fälle häuslicher Gewalt. Familienpsychologen machen hierfür die «emotionale Dichte» verantwortlich, die in diesen Tagen mit die höchste im Jahr sei – viele Menschen seien es einfach nicht gewohnt den ganzen Tag mit der Familie zu verbringen.

Doch wohin soll man vor einer Überdosis Familie fliehen wenn alle Bars, Pubs und Clubs geschlossen sind, respektive bereits um Mitternacht schliessen? Ganz zu schweigen von all den einsamen Menschen, die an Weihnachten besonders alleine sind: Ihnen wird durch das Tanzverbot die Möglichkeit genommen, sich unter Leute zu mischen und Abstand von ihren Sorgen zu nehmen.

Dem kann man entgegenhalten, dass auch die Gewaltbereitschaft auf der Strasse an Weihnachten besonders hoch sei; mit einem Wegfall des Tanzverbotes würde das Problem also nur von der Stube nach draussen getragen. In der Tat beklagen sich die Club-Türsteher während der letzten Wochen eines Jahres vermehrt über Beleidigungen oder gar tätliche Auseinandersetzungen und es stimmt auch, dass die Polizei in dieser Zeit öfter ausrücken muss als üblich. Dies wiederum liegt nicht zuletzt am erhöhten Alkoholkonsum an Weihnachten: Man ist ständig am süffeln und jeden Tag an irgendeinem Festessen samt Feuerzangenbowle und Glühwein.

Jedoch entsteht der Eindruck, dass es während der Adventszeit in und vor den Clubs zu besonders vielen gewalttätigen Zwischenfällen kommt auch vor dem Hintergrund, dass viele Leute nach wie vor nicht zwischen Clubszene und Milieu unterscheiden. Ein gutes Beispiel hierfür ist ein Beitrag im Blick mit dem Titel «Wochenende der Gewalt in Zürich» vom 7. Dezember: Nach dem reisserischen Einstiegssatz «Die Zürcher Partymeute tickte an diesem Wochenende komplett aus» publiziert das Blatt eine Liste von neun Gewaltdelikten, von denen gerade mal einer oder zwei zweifelsfrei der «Partymeute» zugeordnet werden können – ausser natürlich man zählt Taschendiebe, Prostituierte und Kleinstgangster auch zu den Partypeople.

Nichtsdestotrotz: Auch im Musik-orientierten Nachtleben ein Anstieg der Gewaltbereitschaft an Weihnachten nicht von der Hand zu weisen. Dennoch ist es ziemlich befremdend, wenn der Staat dem Bürger vorschreiben möchte, wann, wo und wie er feiern darf und das auch noch aus religiösen Motiven – immerhin leben wir 2015 und nicht 1517.

Frohe Festtage!

Alex-Flach2Alex Flach ist Kolumnist beim Tages Anzeiger und Club-Promoter. Er arbeitet unter anderem für die Clubs Supermarket, Hive, Hinterhof, Nordstern Basel, Rondel Bern, Hiltl Club und Zukunft.

5 Kommentare zu «Feiern als Sicherheitsventil»

  • dr house sagt:

    wie haben bloss die generationen vor uns, das überlebt? ohne party! das muss ja fürchterlich gewesen sein… du meine güte!
    ja, da musste man dringend abhilfe schaffen, das tanzverbot aufheben und dafür gibt es zwar vielleicht weniger häusliche gewalt, dafür findet die gewalt an anderen orten statt. ob das den menschen, die dort leben gefällt ist schon egal.
    egal, hauptsache die partytussen und drogenzombies haben ihren spass! bloss nie zur ruhe kommen- geschweige denn mal ruhe und stille aushalten… man könnte ja plötzlich ob seinem eigenen sein erschrecken… also immer schön weiter fliehen und räusche aller art… die ärzte und helfer im notdienst und bei der polizei werdens dann schon…

  • tststs sagt:

    Und dann fällt Heiligabend/Weihnachten auch noch auf den Wochenendbeginn…und dann ist noch Vollmond… also entweder werden es grausige Festtage oder es wird legendääääär… 😉

  • Ivan Casale sagt:

    In dem Sinne wäre es eigentlich angebracht, sämtliche religiösen Feiertage abzuschaffen. Desweiteren braucht es auch keine speziellen Gesetze zu Sonntagsarbeit. Sonntag und somit das Weekend kommt ja auch aus diesem Dingsbumsbuch. Der moderne Mensch braucht aber seine „Work-Life-Balance“, aber die nötige Freizeit kann man eigentlich den bilateralen Verhandlungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer überlassen (wir sind ja schliesslich im 2015 und nicht mehr im 20. oder sogar 19. Jahrhundert, wo der Staat (resp die Bourgeoisie) Konzessionen machen musste um nicht in sozialistische oder gar kommunistische Hände zu geraten).

    Sie haben absolut Recht, der Staat gehört zurückgebunden. 😉

    • Alex Flach sagt:

      Der Kommentar sticht nicht. Weil es hier nicht um die Abschaffung von Feiertagen geht, sondern darum, dass man den Leuten überlassen sollte, wie sie die Feiertage begehen.

      • Ivan Casale sagt:

        ich wollte nicht stechen; ich wollte sie wegen dem letzten Satz hochziehen 🙂

        Ich vermisse einfach die düstere Schattenwelt als es einfach gemacht wurde, ohne Erlaubnis. Natürlich ist Illegalität ein Feind des Kommerzes und Kommerz ist das heutige Nachtleben (Geld wurde immer zu verdienen versucht, aber ohne die heutige Systematik und Professionalisierung).

        Da kommt mir noch etwas in den Sinn, wäre es für das Zürcher Nachtleben (an den Feiertagen) nicht besser das Verbot im Aargau bliebe bestehen?

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