Hafenkram zum Letzten
Wortgewaltige Kommentarschlachten wogten über Online- und Print-Presse, wutschäumende Gegner und selbstgerechte Befürworter warfen sich verbal in Pose, um Dekadenz bzw. den Untergang der Kunstfreiheit zu mahnen. Das Objekt des Meinungskrieges, der Hafenkran, bekam für die einen messianische, für die anderen diabolische Züge. Man schlug sich ohne Gnade, beschimpfte sich aufs Übelste und die Moderatoren der Medienforen mussten viele hundert Kommentare löschen, weil der Kampf um den Kran die Leute so aufbrachte, dass sie jeglichen Anstand verloren und in eine eine Art verbalen Blutrausch verfielen.
Dann, vor ein paar Wochen, hat man ihn hingestellt, den Kran. Weder ging die Welt unter, noch strahlt eine Botschaft der geistigen und kulturellen Befreiung durch Europa. Oder die Schweiz. Oder Zürich. Der Kran steht einfach da und rostet vor sich hin. Er ist amüsant, wenn man drauf achtet, dass er da eigentlich nicht hingehört. Damit ist seine Wirkung aber bereits verpufft.
Eine kleine Gruppe japanischer Touristen wird vom Reiseführer darauf aufmerksam gemacht, dass der Kran eigentlich nur einen Kunstzweck erfüllt und etwas irritiert wird der Stahlkoloss abfotografiert. Die Hafenkran-T-Shirts in den Shops am Limmatquai waren gerade mal in der ersten Woche ein Verkaufsschlager. Jetzt schmiegt sich der Koloss ins Panorama, als ob er da zuhause wär. Die Zürcher fahren auf dem Velo oder im Tram an ihm vorbei und bemerken ihn nicht mehr, die Touristen muss man explizit auf seinen künstlerischen Wert hinweisen. Er hat die Stadt nicht verändert, weder im Guten noch im Schlechten. Die Stadt hat ihn einfach absorbiert und zu einem eher belanglosen Teil des des Stadtbildes gemacht.
Vielleicht liegts daran, dass überall in der Stadt höhere, gewaltigere Kräne stehen, die noch in Betrieb sind, wie zum Beispiel der, mit dem man den Hafenkran aufgestellt hat. Vielleicht liegts aber auch daran, dass er jetzt, nachdem er Realität geworden ist, weder Hoffnungen noch Ängste generiert. Er eignet sich nicht mehr als Projektionsfläche für Katastrophen oder hohe Ideale. Die reaktionären Wutbrüger und die selbstgerechten Freiheitskämpfer haben das Interesse verloren, sind weiter gezogen, sich um etwas anderes zu prügeln, etwas das noch nicht die ernüchternde Wirkung des Realen hat.
Zur Zeit steht der Kran einfach da, nicht einmal Graffiti-Künstler beachten ihn. Er ist wohl das einzige Industrie-Objekt in der Stadt, das nicht versprayt ist. Aber keine Angst, der Stahlkoloss hat noch nicht seine letzte Schlacht erlebt. Spätestens wenns darum geht, ob er nun wirklich wieder abgerissen wird (wie geplant), oder ob er weiter an der Limmat stehen soll, werden die Schlachtreihen geschlossen und ein weiterer gesellschaftspolitischer Waffengang steht an. Ein Waffengang, der uns nur vor eine einzige Frage stellt:
Haben wir eigentlich keine echten Probleme?
55 Kommentare zu «Hafenkram zum Letzten»
Wie haben sie alle gewäffelet, als der neue Sächsilüteplatz diesen Frühling eröffnet wurde, jetzt sind alle (zurecht!) begeistert.
Genauso geht es doch mit dem Kran. Viele in meinem Umfeld haben gewäffelet und finden ihn jetzt (zurecht!) geil.
Danke Stadt Züri für beides. Werde den Kran vermissen wenn er weg ist.
Am Ziel vorbei. Die Diskussionen um diesen überflüssigen Hafenkran schiessen m.E. am Ziel vorbei. Meine Überzeugung: Wäre dieser Kran farblich nicht grün/rot, sondern schwarz/braun; dieser würde nicht dort stehen wo er steht.
Mal abgesehen davon, dass schwarz/braun auch optisch nicht so toll rüberkommt, attestiere ich Ihnen eine leichte Paranoia 🙂
„Hafenkram zum Letzten“. Ein M zuviel und ein N zuwenig. Auch das riecht sofort nach Kunst, Herr El Arbi, und ich hoffe, dass Ihnen dieser äusserst kreative Akt der sprachlichen Metamorphose unter spontaner Verwendung von allgemein verständlichen Assoziationen einen angemessenen Beitrag aus dem gut gefüllten Kunstfonds der Stadt Zürich bescheren wird!!!
Lieber Herr El Arbi, ich bin mir dessen nicht so sicher. Der Kran erfüllt weiterhin bestens seinen Zweck. Er stösst interessante Debatten an. Man diskutiert über den Wert der Kunst und reflektiert die Lebensumstände in Zürich.
Das hat er, bevor er stand. Jetzt steht er nur noch, und diese Diskussion hier ist wohl die letzte, die er angestossen hat.
So ist es, wir Zürcher haben keine echten Probleme mehr, versaufen in Geld, Steuergelder und Überfluss, und brauchen derartige sinnlose „Irritaionen“, um uns noch lebendig zu fühlen. Dekandent. Und unser Stadtrat braucht den Kran, um zu beweisen, dass sie jeden Irrsinn durchsetzen kann, egal der Volkswille.
Pluralis majestatis? 😉
Ich versaufe nicht im Geld, ich versaufe mein Geld. Nicht „dekandent“ (sic!) sondern dekantierend. Was solls? Cash keeps flowing, der Kran ist Pathos, zeitgeistig Rostgewordene phlegmatische Stagnation.
Hab’s schon mehrmals geschrieben. Der Hafenkran steht symbolisch für den Untergang des Westens. Die Industrie wurde in die Schwellenländer ausgelagert und die Finanzbranche ist auf bestem Wege dahin zu folgen. Zurück bleibt eine dekadente und auf Staatsschulden basierte Konsumgesellschaft. Somit wurden sämtliche Ziele erreicht und eigentlich müssten alle zufrieden sein, eigentlich…..
Jeises, der Westen ist schon so oft untergegangen…wird auch dieses Mal ein Danach geben…
Der arme Kran ist die Visualisierungen für die Leere, welche in dieser überfüllten doch nackten Zeit herrscht. Ein Stoß ins leere, weil all die Diskussionen um ihn herum nicht die eigentliche Sache ansprechen. Auch eine Zürcher- Eigenschaft???? Ä guetss tääglii allnäää….
„….die Touristen muss man explizit auf seinen künstlerischen Wert hinweisen…..“. stell dir vor es ist kunst, und keiner merkt es. ich lach mich krumm und gratuliere an dieser stelle dem ‚künstler‘, der diese tolle idee hatte!..:-)
eine tolle idee? der „künstler“ hat einfach den zeitgeist der 80er-bewegung regeneriert …
lieber Alberto, mein kommentar darf durchaus als sarkastisch verstanden werden. persönlich finde ich den kran so was von lächerlich, ich kann es kaum in worte fassen..:-)
„Jetzt schmiegt sich der Koloss ins Panorama, als ob er da zuhause wär.“ Ist dieses Vorgehen nicht Usus, ja Pflicht in der CH? Zuerst wird alles einmal schlechtgemacht, bevor man sich sang- und klanglos damit arrangiert?! (Stichwort: Tschingge, Jugos, Frauenstimmrecht, Bilateralen I & II, Tankstellenshops mit 24h-Betrieb, Rauchverbot etc…)
Das man sich mit den „Jugos“ in der Schweiz arrangiert hat ist mir jetzt neu…oder suchen sie mal eine Stelle/Wohnung mit einem -ic im Namen.
Habe einen jugoähnlichen Namen, klappt schon… (man braucht evtl. ein dickeres Fell)… Und gehört es selbst bei den jugophoben Leuten heute nicht zum Standardspruch: „Ja weisch dä XY-ic isch scho ok, nur die andere…“
Doch, wir haben noch andere, viel massivere Probleme. Zum Beispiel „die Stunde der Idioten“, wo seit Jahren einfach nichts unternommen wird und die Zustände deswegen kontinuerlich schlimmer werden, siehe TA gestern….
Lösung: Die Clubs nicht schon zwischen 3 und 5 schliessen, sondern weit später. Dann werden nicht adhoc soviele alkoholisierte und/ oder frustrierte Partygäste auf einmal vor die Türen gesetzt sondern gehen sukzessive und treffen weit weniger in plötzlicher Langeweile aufeinander.
Oder das Problem wird aufgebauscht! Ich zitiere:
„20 Schlägereien, 17 Lärmklagen, 9 Diebstähle, 7 Trunkenheitsfälle, 6 verdächtige Situationen, 3 Hilfseinsätze, 3 Verkehrsdelikte, 2 freilaufende Hunde, 2 Unfälle, 2 Familienstreitereien, 1 Raub, 1 Falschgeld, 1 Sprayer, 1 angefahrene Katze, 1 Sex in der Öffentlichkeit, 1 Unfug.“ Ich kenne Dorffeste, bei denen es hitziger zu- und hergeht…
Wollte man das „Problem“ wirklich lösen, sehe ich eigentlich nur eine Massnahme: Abschaffen des Nachtnetzes (Bus und S-Bahnen). Es hätte schlagartig weniger Menschen und dementsprechend weniger Konfliktpotential auf den Strassen…
Genau, anstatt auf den Nacht-Bus direkt in den Pfuus-Bus 🙂
Oder den Hafenkran in einen Pfuus-Kran verwandeln. Das wäre schon fast wie mit Meer-Sicht…
tststs: Nein, ich finde überhaupt nicht, dass dieses Problem aufgebauscht wird. Ganz im Gegenteil. Zu oft werden mehrere Augen zugedrückt, weil offenbar alle unter dem Einfluss von Alkohol oder Drogen schlussendlich zum höhnisch realitätsfremden Konsen kommen, dass es doch nicht so schlimm ist, wenn man mal ausgeschlafen hat.
Aber ja, die Abschaffung des Nachtnetzes klingt nach einer guten Idee. Leider war dem Artikel von gestern nicht zu entnehmen, wieviele Straftäter und Randalierer wirklich Zürcher sind oder doch eher z.B. aus dem Aargau kommen…..
Kann man in jeder Dorfbeiz beobachten. Nur dass da nicht so viele Menschen sind wie in der Stadt.
Resp. auf dem Land ist nicht jeden neben Chnelle ein Polizeistreife stationiert, die sofort eingreift und somit jede Schlägerei in der Statistik auftaucht…
…neben jeder Chnelle… ja Frau Kuster, Sie könnten recht haben mit meinen vernebelten Sinnen 😉
Falsch. Die Dorfbeiz hat in der Regel nicht bis 4 Uhr morgens offen, sondern macht allerspätestens um 1 zu….
Ah, ich vergass, man kann nicht schon um 23 Uhr betrunken und aggressiv hinaustorkeln… oben zitierte Statistik bezieht sich ja auch auf die ganze Nache (oder?) und nicht auf diese 1-2 Stunden…
Auf dem Land kann man das Nachtnetz abschaffen, aber doch nicht in der Stadt, wie abwegig ist das denn.
Unabhängig wo: Nennen Sie mir einen guten Grund, warum Menschen um 3 Uhr morgens noch Alkohol trinken und laute Musik hören müssen. „Warum nicht?“ lasse ich als Antwort nicht gelten.
Weil sie es gerne machen…
Und gelled Sie, Frau Kuster, nicht vergessen, 99,9% der Nachtschwärmer sind völlig harmlos…
Also vielleicht verstehe ich Ihre Frage nicht. Was wäre denn die Antwort auf die Frage: Weshalb tanzen/hören Musik Menschen am Nachmittag (mit oder ohne Alkohol)?
Weil die Menschen einfach gerne auch nachts miteinande feiern, schon seit Menschengedenken, und weil Sie Frau Kuster zum Glück nicht die Mutter der Nation sind.
@Hannah: Das Nachtnetz in der Stadt ist ja genau dazu da, die Leute wieder aufs „Land“ zu bringen… und ich hoffe, es ist ok, wenn die Stadtbewohner dies bis zu sich nach Hause auch benutzen…
Oder meinen Sie jetzt einen Chnelle-zu-Chnelle-Shuttle-Service auf dem Land?
Das Nachtnetz ist natürlich bei Bedarf auch auf dem Land völlig Ok, nur wenn man es abschaffen wollte, dann eher dort, als in einer grösseren Stadt. Frau Kuster will am liebesten alles zur Provinz rückunterentwickeln.
Doch ein primäres Problem ist, dass es in Züri zu wenig Hafenkrane gibt oder seine künstlerischen Alternativen, da muss man mal mit brainstormings und Stadtplaner solide ran.
chudde dach herr el arbi. wie sie wissen, ist es schon einige jahre her, seit ich der stadt den rücken zugekehrt habe. was sind die haupt-probleme zürichs aus ihrer sicht?
Intoleranz, fehlende Streitkultur, Konsensfeindlichkeit, Rechthaberei, die geistige Haltung „Schuld sind immer nur die Anderen“, und alles andere, was Menschen so ausmacht. Ohne die ganzen Leute in der Stadt wär Zürich perfekt.
danke. ich habe mit einer kontroversen aussage ihrerseits gerechnet. 🙂 hier meine überlegungen.
– intoleranz resultiert aus einem ungleichgewicht der kräfte. fragen…?
– dito konsensfeindlichkeit – wobei hier macht und egoismus eine grosse rolle spielen.
– schuldzuweisungen sind das liebste kind des schweizers generell, (meine wenigkeit eingeschlossen).
-> verbesserungsvorschalg. mehr eigenverantwortung anstelle mitläufertum. persönliche (sach)-profilierung anstelle „welche andern“ -> zufriedenheit statt gier. und – spezifisch in zürich – es ist schade, dass etliche zürcher mit der überzeugung leben, die weisheit mit löffeln gefressen zu haben. ich denke, das ist das eigentliche problem der zürcher. die vorhergehenden punkte treffen wohl auf den deutsch-schweizer generell zu. wobei es schwierig ist, das eindeutig der positiven oder negativen seite zu zuschieben.
Sind die aufgezählten Punkte wirklich nur in ZH anzutreffen?
„dass etliche zürcher mit der überzeugung leben, die weisheit mit löffeln gefressen zu haben“ ähm ja, lustig ist nur, dass es den Zürchern ständig vorgehalten wird, sie dasselbe aber niemandem unterstellen… Wer frisst jetzt da mit Löffeln und wer mit Gablen?!? 😉
Uuuuund, wer gilt heute schon noch als Zürcher…?!?
Ich!
Na das ist mal genau auf den Punkt gebracht.
„Ohne die ganzen Leute in der Stadt wär Zürich perfekt.“
Wäre es perfekt, wäre es nicht Züri….
..das haben sie aber nun schön gesagt, fürwahr. 🙂
dodoch haben wir, in zürich. einige beispiele.
– zürich ist das corleone der banken. -> sozialpolitisches problem
– zürich ist ein horror für automobilisten -> verkehrstechnisches problem
– zürich hat keinen günstigen wohnraum mehr -> sozialpolitisches problem
– zürich hat kein wirklich berauschendes nachtleben -> gesellschaftliches problem
– zürichs junge generation leidet unter der wohlstandsdegeneration -> gesellschaftliches problem
– zürich baut nur noch verdichtet und teuer für die elite -> sozialpolitisches, sowie demografisches problem
– zürich will weltoffen sein, deren errungenschaften basieren jedoch meist auf egoismus -> gesellschaftliches problem.
Mit anderen Worten: Es wurde viel Geld für nichts verpulvert. Geld, das man anderswo hätte sinnvoller einsetzen können.
Ja, genau. Streiten wir doch jetzt darüber, wo man das Geld besser hätte einsetzen können. Sie haben den Inhalt des Posts nicht begriffen. Stört Sie der Kran? Also steht er vor Ihrem Fenster? Hat Sie der Kran irgendwas gekostet? Ich meine müssen Sie oder jemand, den Sie kennen auf irgendwas verzichten wegen des Krans? Ist der Kran irgendwie relevant für ihr Leben?
Ihre Fragen!? Wes Geistes Kind sind Sie? Es wäre sehr bedauerlich, wenn wir uns nur dann für oder gegen etwas einsetzen würden, das unser Fenster und unser Bankkonto beeinflusst. Als Stadtzürcher bedauere ich, dass unsere schöne Stadt auf diese Weise verunstaltet wird. Aber Kunst ist halt nicht für alle das Gleiche. Für die einen ist sogar ein Hundekot auf dem Gehsteig ein Kunstwerk. – Der Artikel ist übrigens ausgezeichnet geschrieben.
Für andere ist nur ihr Bankkontoauszug individuelle Kunst oder der neueste rahmengenähte Schuh zum abendlichen Zweireiher.
Ich denke, ich bin halt einfach nicht so zynisch oder abgestumpft, dass mich die Verschwendung von Geld nicht stört. Denken Sie ernsthaft, das Geld könnte nicht sinnvoller eingesetzt werden, auch im kulturellen Bereich, auf eine Art und Weise, die bleibende Wirkung entfaltet?
Doch, klar. Nur wären dann wieder einige Leute vehement dagegen, das Geld da einzusetzen. So ist es eben mit Kultur. Das zeigen die jährlich 80 Millioneb Franken Subvention, die das Opernhaus für elitäre Kunst kassiert.
Nein, leider muss ich seit meinem Kunststudium selbst für meinen Lebensunterhalt aufkommen. Ich hätte was vernünftiges werden sollen. Politiker oder so.