Kino mit Mehrwert
Travis Bickle hatte es nicht besser gewusst. Der einsame Taxifahrer aus Martin Scorseses dunklem Grossstadt-Drama «Taxidriver» (gespielt von Robert De Niro) kehrte, aus Naivität vielleicht, bei seinem ersten Date mit der jungen Betsy im Sexkino ein. Die Frau verliess das Kino fluchtartig, just als es auf der Leinwand zur Sache ging.
Andere Zeit, andere Fluchtgründe. Auch ich verliess das Sexkino rasch wieder. Doch nicht aus Empörung über expliziten Zelluloid-Sex, den man sich heute ja mehr als gewohnt ist. Nein, ich ging, weil das Angebot im Sexkino einiges mehr umfasst als schmuddelige Streifen. Aber dazu später mehr.
Das Roland ist sozusagen das Milieu-Wahrzeichen des Kreises 4. Ein grell leuchtendes Symbol für die Verruchtheit des alten Quartiers. Seit den 20ern flimmern hier schon explizite Filme über die Leinwand – damals noch unter dem Label «Aufklärung». Sicher ist: Das Roland war bis vor 30 Jahren noch der einzige Orte der Stadt, wo man sogenannte Füdli-Filme überhaupt sehen konnte. Heute drängt sich eine Frage auf: Was bewegt Männer in Zeiten von Youporn und Smartphones dazu, ins Sexkino zu gehen? Oder die Frage anders gestellt: Schaffe ich es persönlich herauszufinden, was es sein könnte? Wir vom Stadtblog wollten das testen, noch bevor es für immer vorbei ist mit den Sexkinos.
Ein Neuling in der Szene
«Ist der Eintritt am Kinomontag 13 Franken?» Diesen Witz konnte ich mir nicht verkneifen, als ich montags an der Kasse des Sexkinos an der Langstrasse stand und die Tafel las: «Eintritt: 14 Franken, AHV/Legi: 12 Franken.» Der kurzhaarige junge Mann an der Kasse quittierte mein Frage mit einem Augenrollen und der Gegenfrage: «Was?» Er nahm einen Biss von seinem Kebab und öffnete mir das Drehkreuz.
Durch die Schiebetür betrat ich den Saal, wo auf den roten Sesseln verteilt drei Männer sassen und der Film «Angel Face» bereits lief. Zwei Blondinen in einem Kinderzimmer… Man kennt es ja. Die Atmosphäre war gespenstisch. Verstärkt nur noch durch den Umstand, dass ich mich in der Sexkino-Szene nicht auskenne. Wie lauten die Codes? Hat meine blaue Regenjacke eine Bedeutung? Hängt mir vielleicht ein Taschentuch zur Gesässtasche raus?
Um den Überblick zu behalten, setzte ich mich zuhinterst hin. Einer befummelte sich am anderen Ende der Reihe, stehend. Gehört wohl dazu, dachte ich. Und versuchte, mich auf den Film zu konzentrieren. «Oh, another Dildo…» Die Geschlechtsteile präsentierten sich in der Grösse eines kräftigen Baumstrunks.
Doch wurden die akustischen Signale gekreuzt vom Film im oberen Stock, den man von der hintersten Reihe aus nicht nur hören, sondern auch sehen konnte. Eine audiovisuelle Doppelpenetration quasi.
Der Hauptgewinn
Dann öffnete sich die Schiebetüre hinter mir, ein Crossdresser betrat den Raum und setzte sich zu mir. «Sorry, aber ich möchte nur den Film schauen.» Er verschwand wieder und setzte sich zum Mann zwei Reihen weiter vorne. Der ältere Typ zu meiner Rechten rieb derweil weiter, als würde er damit bald irgendeinen Hauptgewinn frei rubbeln.
Das Verstörende daran: Er blickte mich an. Ich war offensichtlich sein Sexobjekt. Ein seltsames Gefühl, mit möglicherweise pädagogischer Wirkung. Eine Übung in Empathie quasi, doch das dachte ich erst später. Ich bedeutete dem Herrn erst mal, er solle doch den Film geniessen und lieber nicht mich anglotzen. Doch was soll man schon sagen in einem Sexkino? «Christus!», betete ich für mich in einem Anfall von urplötzlicher Spiritualität.
Eine junge Frau, sie stellte sich als Eva vor, setzte sich zu mir. Die Leben schenkende Eva etwa? Die Mutter der Lebendigen, wie es in der Bibel steht? Etwas übertrieben. Aber: «Was meinst du?», fragte sie. «Hier?!» «Klar. 50 Franken.» «Sorry, Eva, ich möchte lieber den Film schauen.» Später verschwand Eva mit einem Gast in einer der vielen Privatkabinen im Gang, wo man für die Filme übrigens noch separat zahlt.
Ich verliess den Saal, um mir den Film im kleineren Raum oben auf der Galerie anzuschauen, worin einer mit Stiefeln mit einer Blonden auf einer Holzkarre… Man kennt es ja. Wir waren zu zweit im Saal, ein älterer Herr ganz hinten. Ich setzte mich allein nach vorne.
Der Onanist von vorher schritt kurz darauf ebenfalls durch die Tür, setzte sich in die hinterste Reihe. Ich versuchte, mich zu konzentrieren. Doch es gelang nicht mehr… Das Nuscheln hinter mir, als die beiden plötzlich beieinander sassen und sich der eine über den anderen beugte, es lenkte mich ab.
Rasch huschte ich aus dem Kino und dachte später, dass ich auf den Mehrwert, den die Sexkinos offenbar bieten, ja, der sie überhaupt erst rechtfertigt, verzichten kann. Man muss diese Schattenwelt nicht unbedingt kennen, vielleicht lässt man sie am besten einfach so wie sie ist. Denn lange geht es nicht mehr, und dann verschwindet sie ganz von der Bildfläche. Ich selber war selten so dankbar für das mannigfaltige Gratisangebot im Internet, auf das ich notfalls in privater Atmosphäre zurückgreifen könnte.
Hier noch der Bericht von Florian Leu, der einst Sexfilme wie Studiofilme beurteilte
19 Kommentare zu «Kino mit Mehrwert»
Wenige Tag nach meinem 18. Geburtstag war ich aus Neugier im Roland. Das ist jetzt fast 30 Jahre her. An den Film kann ich mich nicht erinnern. (Zwölfährige haben heute auf ihren Handys aber wohl wildere Streifen.) Nur, dass er zu meinem Erstaunen schon mitten in der „Handlung“ war, als ich den schummrigen Saal betrat. Ich Ahnungsloser. Nach vielleicht zwei Minuten hat sich ein Mann neben mich gesetzt und angefangen an sich rumzuspielen. Die heute offenbar anwesende Eva war damals wohl noch nicht geboren … War ein kurzer – und mein einziger Besuch.
Sarasin beschreibt eine Institution, in der sich Dinge abspielen, die man sich eigentlich zum Vornherein hätte vorstellen können.
Er tut das auf eine Art und Weise, die man sich eigentlich zum Vornherein hätte vorstellen können.
Mensch, Boll, wann wirst du endlich vernünftig und fällst auf solche Zeitstehler nicht mehr herein?
Sehr unterhaltsam geschrieben. Wenn Herr Sarasin aber etwas im voraus recherchiert hätte, so müsste man ja nicht den „Wäh-der-alte-Mann-schaut-mich-an-und-onaniert“-Kalauer einbauen und sich damit über die Bi-Szene lustig machen.
Gääähn! ’s ist ja völlig banal, was Sie da beschreiben. Sie waren wohl noch nie in einem Kino in einer amerikanischen Grossstadt. Dort könnte einem das Kotzen kommen! Aber ‚z Züri…?
Sie waren noch nicht sehr oft in amerikanischen Kinos. Dort ist es ruhig, es gibt keine Pause und es werden auch keine Chips in Jet-Lautstärke gemampft. Wer labert, fliegt raus. Im Vergleich dazu ist das Filmschauen in einem durchschnittlichen Zürcher Kino eine echte Qual.
Du hast einfach einen tollen Job, David.
Immer, wenn ich die Sexkinos verlasse und sage, „ich mache nur eine journalistische Arbeit über Sexkinos“, glaubt mir nie jemand 🙁
Toller, sarkastisch-witziger Bericht, danke!:-)
Aber eigentlich ist es ja schon grauenhaft, dass manche Männer Frauen auf Titten, Füdlibacken und ihr Geschlechtsteil reduzieren und Sex so eng mit Schlagen, Würgen, Erniedrigen, Beschmutzen, (Miss-)Brauchen und Zwingen / Befehlen verbinden…
Oder nicht? Für eine Frau mutet er jedenfalls schon sehr seltsam, befremdlich und gruselig an, dieser Bericht aus den schummrigen Höhlen männlicher Fantasien…
och frau schwarz. hatten sie überhaupt mal eine beziehung, in der offen über alles gesprochen wird.
manchmal ist zeit für niedrige triebe und alles wird auf geschlechtsteile reduziert. wir sind in der evolution nicht so weit wie uns sozialpädagogen und die kirche einbläuen wollen, manchmal übernimmt das stammhirn die regie. ist übrigens fürs überleben wichtig. gewürgt und geschlagen wird im sexkino nicht. und der bericht ist so überraschend wie wenn man eine sonntagnacht wartet und schaut was kommt. überraschung: der montag.
Gut geschrieben Herr Sarasin.
Ich war vor Jahren mal da und es haben sich ein Pärchen vergnügt. Alle haben zugesehen wie das Paar „Fun“ hatte. Es hat also auch Frauen.
WÄÄÄÄÄHH – schauderlicher Bericht, aber lustig geschrieben. Herr Sarasin hat echt Nerven!
sehr schön!
Danke für den Zeitvertreib
ou herr sarasin. mir ist noch etwas eminent wichtiges eingefallen -> man sollte in ihrer beschriebenen lokalität immer mit regenjacke und kapuze erscheinen so von wegen „raindrops…oder ähnlich….keep falling on my head…!“
Sexkinos sind natürlich zum Aussterben verdammt, aber Spass gemacht haben sie trotzdem und zu manch spätpubertärem Jokus beigetragen. Unvergesslich, als ich und ein paar Kumpanen in der Guten Alten Zeit™ (Damals am Montag 8.- CHF mit Legi) bestens gelaunt den Saal betrat, hinten Platz nahm und mittels eines mitgebrachten Kaffeelöffels und Naturjoghurts begann, die Kerle in den vorderen Reihen zu bombardieren. Ich schwöre, keiner hat sich getraut sich umzudrehen…
ha ha ha!
haha Herlich gut 🙂
Als ehemaliger Insider kann ich verraten, dass die Sexkinos praktisch nicht mehr da sind, um Filme anzuschauen, denn dazu bietet das Internet + Sexshops einfach zu viel. Zum grossen Teil sind Sexkinos Treffpunkte für Bi-Männer, ergänzt mit männlichen und weiblichen Prostituierten. Gerade im Winter sind Sexkinos die gemütlicheren Treffpunkte als Autobahnrastätten. Viele Bi-Männer sind nicht geoutet und oft in einer Beziehung und so sind Sexkinos ideale Treffpunkte, da sehr anonym und zentral gelegen. Zudem sind Sexkinos besser als Gay-Clubs oder Gay-Saunas, da diese zu gay-lastig sind (bi ist nicht gleich gay) und es auch schneller geht.
Ich kann keinem Hetero-Mann empfehlen in ein Sexkino zu gehen (Frauen schon gar nicht), denn zu gross ist die Gefahr angemacht zu werden (zum Teil sehr direkt), besonders wenn der Mann jung und/oder hübsch ist.
Gut geschriebener Blog. Nur zuhause haben sie gewissen mehrwert nicht mehr. Oder denken Sie, Eva wird sie auch zuhause fragen «Was meinst du?». 🙂
Selten soo gelacht! Herr Sarasin, ihr Humor und Schreibstil ist köstlich! Besser als die Filme, die Sie sich angeschaut haben (wollen)… Ich hoffe noch, mehr von Ihrem Stil lesen zu dürfen!
Apropos.. In „normalen“ Filmen in „normalen“ Kinos geht auch allerlei „gfürchtiges“ ab auf zwischenmenschlicher Ebene – vielleicht nicht ganz so tief unterhalb des Gürtels!?
das ist ja widerlich. und in aller öffentlichkeit….also ich weiss nicht, da fehlt wohl jedes schamgefühl. war das kein traumatisches erlebnis herr sarasin – brauchen sie psychologische betreuung? (chf 150 pro h – bei mir, übrigens). 🙂