Gestern Abend hatten Saint Etienne ihren (laut eigener Erinnerung) ersten Auftritt auf Schweizer Boden, beziehungsweise Gewässern, seit 18 (!) Jahren. Obwohl die Band gerne mit in die Britpop-Schublade gesteckt wurde und dieser Bezeichnung auch heute noch immer gerecht wird – schliesslich nennen die Mitglieder von Saint Etienne London ihr Zuhause und machen durch und durch Popmusik -, hat ihre Musik nur wenig mit derjenigen von Zeitgenossen wie… Shed Seven oder Cast gemein. Während Freunde der Gitarre am makellosen und leichtfüssigen Electropop der drei Londoner also auch gestern wieder wenig Gefallen gefunden haben werden, ist es zu hoffen, dass sich wenigstens der Rest des Rheinbords von den zahlreichen neuen und alten Hits bezaubern liess. Noch vor dem Konzert haben wir uns mit Sarah Cracknell, Bob Stanley und Pete Wiggs über die Vergangenheit und Gegenwart von Saint Etienne unterhalten…
Ihr habt die rund sechsjährige Pause zwischen eurem neuen Album «Words and Music by Saint Etienne» und seinem Vorgänger «Tales from Turnpike House» genutzt, um all eure bisherigen Studioalben als üppig ausgestattete «Deluxe Editionen» neu zu veröffentlichen. Warum dieser Ausflug in die Vergangenheit?
Bob Stanley: Bevor die CD endgültig zu einem obsoleten Format wird, erachteten wir es einfach als sinnvoll, all unsere Alben mit jeweils einer zusätzlichen Disc voll mit unveröffentlichtem Material nochmals herauszubringen. Wir hatten dieses Projekt schon seit längerem geplant.
Pete Wiggs: Und es war für uns auch eine wirklich gute Möglichkeit, unser eigenes Material wieder aufs Neue zu entdecken. Alte Schränke durchsuchen, Tapes ausgraben, längst vergessene Songs wiederfinden, an dessen Aufnahmen wir uns gar nicht zu erinnern vermochten… Wenn ich so genau darüber nachdenke, existieren auch nach der Neuveröffentlichung all unserer Alben wohl immer noch zahlreiche alte Saint Etienne-Songs, die das Licht der Welt noch nicht erblickt haben, weil wir uns schlicht und einfach nicht mehr an sie erinnern können.
Sarah Cracknell: Ja. ausserdem haben wir auch ganz viel Material, das es nie über die Demo-Phase hinaus geschafft hat. Vor einigen Jahren haben wir beispielsweise versucht, ein Album für Kinder [Anm.: «Up the Wooden Hills»] aufzunehmen, welches wir nie ganz fertig gemacht haben.
Stanley: Ja. Wir haben zwar ein ganzes Album aufgenommen, aber nur etwa die Hälfte davon auf die Bonus-Edition von «Tales From Turnpike House» gepackt.
Die Ära der physischen Releases scheint sich also langsam aber sicher ihrem Ende zu nähern…
Wiggs: Zeiten ändern sich. Selbstverständlich kommen wir aus einer Ära, die Vinyl hatte… und CD’s… und Tapes… Physische Dinge, die du anschauen und in die Hand nehmen kannst…
Stanley: (unterbricht Wiggs) Also ich bin definitiv traurig darüber.
Wiggs: Ja, es existiert halt keine Unterteilung zwischen A- und B-Seiten mehr. Leute erwarten heutzutage, dass alles am gleichen Tag, in einem einzigen grossen Haufen erscheint und unterscheiden dementsprechend nicht mehr zwischen Material, das für das Album aufgenommen wurde und den Experimenten für die B-Seiten. Diese Unterteilung war eigentlich immer wirklich wichtig für uns.
Cracknell: Der Untergang der B-Seite ist ein wirklich herber Verlust.
Auf eurem neuen Album schwelgt ihr ebenfalls des öfteren in der Vergangenheit. In Songs wie «Over the Border» und «When I Was Seventeen» erinnert ihr euch an eure Teenagerjahre. Inwiefern war die Erinnerung an vergangene Tage eine Inspiration für das Album?
Cracknell: Ich mag es wirklich, wenn unserer Alben jeweils ein Thema haben – es fällt uns so um einiges einfacher, unsere Ideen zu bündeln – das Thema der neuen Platte war aber nicht die Vergangenheit, sondern vielmehr einfach «Musik». Wir haben während den Aufnahmen zu «Words and Music» Playlisten mit haufenweise Songs erstellt, die das Thema Musik metatheoretisch angehen und haben uns von ihnen inspirieren lassen.
Es besteht also auch nach nunmehr acht Studioalben keine Gefahr, dass euch die Ideen ausgehen?
Wiggs: Wir sind ja nicht konstant auf Tour, so wie andere Bands. Wir leben also nicht in dieser insularen Falle, in welche du als Musiker schnell gefangen sein kannst. Wir machen alle auch unsere eigenen Dinge und treffen gerne andere Leute, die uns dann ebenfalls inspirieren.
Ausserdem sind wir noch immer sehr enthusiastisch darüber, sowohl neue Songs aufzunehmen, als auch Konzerte zu spielen – und haben dabei auch ebenfalls noch immer sehr viel Spass, vor allem untereinander. Für uns ist «Saint Etienne» auch heute noch immer dieses grosse Abenteuer, welches auch nach über 20 Jahren immer noch neue Überraschungen mit sich bringt. Zum Beispiel dieses schwimmende Floss, auf welchem wir in ein paar Minuten auftreten werden…
Cracknell: Definitiv! Und ohne jetzt besonders kitschig und furchtbar klingen zu wollen: Da kommst du nach über 20 Jahren zum ersten Mal an einen Ort wie Basel – wir waren zwar vor Jahren schon mal kurz hier, hatten damals aber keine Zeit, die Stadt wirklich wahrzunehmen – und es ist einfach wunderschön hier. Wir sind auf Tour und kommen in Kontakt mit diesen wundervollen Orten und ihren Menschen, da können uns die Ideen doch gar nicht ausgehen!
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