Die politische Schweiz Anfang 2015 – eine Replik
Die politische Schweiz Anfang 2015: Könnte es sein, dass wir in Grabenkämpfen verharren, wo gemeinsamer Aufbruch aus der Sackgasse führen würde? Toleranz statt Abgrenzung? Kooperation statt Kampf?
Scharfsinnig und wortgewaltig entrollt Markus Somm in seinem Politblog «Was heisst schon nationalkonservativ?» die Vergangenheit der Schweizer Geschichte, des Sonderfalls Schweiz. Man kann durchaus mit seiner Analyse «Die Schweiz ist ein Land, das seit Jahrhunderten …» einverstanden sein. Ob die FDP vor dem Verschwinden steht? Der Vergleich mit der deutschen FDP ist zwar nachvollziehbar, doch hätte hierzulande eher die Frage interessiert, ob der NZZ das gleiche Schicksal wie der FDP blühen könnte. Und warum. Allerdings, und das ist zur Bewältigung der helvetischen Zukunft entscheidend, steht Somms Verständnis der Gegenwart in einem eigenartigen Widerspruch zur Brillanz seines Intellekts. Das Erkenntnisvermögen ist, bei allem Respekt, zu selektiv. Zu stark schimmert die ideologisch geprägte Seite einer Weltanschauung durch, die man teilen kann oder nicht. Liberalismus in Ehren, Freiheit des Individuums OK – aber: Rechtsfreisinn, Mitte-rechts, klassischer Liberalismus, nationalkonservativ, rechter Flügel der FDP oder Mitte-links-Regierung? Ein Vokabular der überholten Zuordnungen, eher aus Zeiten des letzten Jahrhunderts.
Links oder rechts – diese Unterteilung ist fantasielos, überholt, untauglich.

Wir unten gegen die da oben – so kommen wir nicht weiter: An der Fassade des Bundeshauses wird gearbeitet. Foto: Peter Schneider (Keystone)
Die schematische Einteilung, die Betonung des Trennenden, die unausgesprochene Klassifizierung in böse oder gut – sie ist schlicht destruktiv, weder zielführend noch lösungsorientiert. Schweizerinnen und Schweizer sind nicht links oder rechts zu verorten, auch wenn Journalisten und Politologen nichts Besseres in den Sinn kommt. Verantwortungsvolle, politisch interessierte Bürgerinnen und Bürger handeln mal ökonomisch, mal ökologisch. Sie sind hier freiheitsliebend, oder dort (aus Erfahrung klug) staatsvertrauend. Sie denken oft zukunftsorientiert, manchmal aber auch vergangenheitsgeprägt. Sie entscheiden situationsbedingt: mal grünliberal, mal freisinnigliberal, mal für individuelle Freiheit, mal für staatliche Reglementierung. Links oder rechts, diese krampfhafte Unterteilung aus den Anfängen des Klassenkampfs der industriellen Revolution, sie ist zwar allgegenwärtig, aber fantasielos, überholt, untauglich. Aus diesen Gründen ist schon der Begriff «Rechtsfreisinn» ein Relikt aus der Mottenkiste. Und deshalb verlieren alle politischen Parteien an Relevanz – heute entscheiden die Abstimmenden und Wählenden nicht mehr nach dem Parteibuch.
Ein weiteres Merkmal des trennenden Aspekts dieser ideologischen Haltung ist das konstante Regierungs-Bashing. «Wir – das Volk – gegen die da oben – die Regierung.» Oder: «Wir – die Bürgerlichen – gegen die Mitte-links-Regierung.» Die grassierende Heraufbeschwörung eines Gegensatzes, die beharrliche Konstruktion eines tiefen Grabens zwischen uns – den Guten – und den fehlgeleiteten Regierenden, dieses Attribut des vereinfachenden Populismus – es ist durchschaut, spaltend, vertrauenszertrümmernd, zutiefst unschweizerisch.
Es ist der FDP nicht übel zu nehmen, dass sie bei diesem Spielchen nicht partizipiert. Und die SVP sei daran erinnert, dass in unserem Land «das Volk» bestimmt, wählt, entscheidet und die Regierung wählt. Der Souverän ist somit auch für seine Regierung selbst verantwortlich. Energiestrategie, Finanzplatzregulierung, Bankgeheimnis, Kapitalgewinnsteuer, sie sind erstens nicht mehr nur aus nationaler Sicht und zweitens auch nicht aus «bürgerlicher» Perspektive zu entscheiden, sofern diese an alten, unzeitgemässen Machtpositionen festzuhalten versucht.
«Gegen den EU-Beitritt!» Dieser Schlachtruf in Friedenszeiten – er dient Christoph Blocher seit 20 Jahren als «Prinzip» und Profilierungspodest. Auch hier wird ein Feindbild gemalt, eifrig kopiert und medial verbreitet. Ein fiktiver, persönlich geprägter Feldzug gegen befreundete Nationen. Weder 1992 noch heute stellte oder stellt sich diese Frage. Doch sie lässt sich hervorragend bewirtschaften, auch über «Teleblocher», «Weltwoche» oder «Basler Zeitung». Die Minderheit in unserem Land, die zurzeit der EU beitreten möchte, ist so klein, dass sie selbst zuletzt eine Abstimmung darüber anzetteln würde. Wenn also der 74-Jährige nochmals zur letzten grossen Schlacht bläst, was ist das mehr als lärmige Öffentlichkeitsarbeit, ein ungemütliches «Déjà-vu» aus dem letzten Jahrhundert?
Auch wenn Somm Konrad Hummler bemüht, um die Zukunftschancen der FDP zu deuten, es wird damit nicht besser. Dessen Analyse krankt an eigenlogischer Perspektivenverengung. «Da ist man als Freisinniger sozialliberal oder grünliberal. Das ist bequemer.» Punktum. Keine Selbstzweifel, keine Spur von: warum? Man ist im Besitz der selbstgezimmerten Überzeugungen. Und wenn es anders wäre? Wenn die Verknüpfung von ökologisch und eigenverantwortlich für viele heute eine zukunftskompatible Option wäre? Wenn das gar unbequemer wäre, als nach dem vergilbten Parteibuch zu handeln?
«Könnte es sein, dass du recht hast, oder könnte es sein, dass ich recht habe? Oder täuschen wir uns vielleicht beide?»: In unserer hektischen Zeit mit geopolitischen Brandherden und machtpolitischen Profilierungskämpfen scheinen die helvetischen Grabenkämpfe irgendwie unzeitgemäss und unverständlich. Der Spaltpilz der Nation sollte nicht länger die politische Agenda bestimmen. Wer der Diskussion auf dem Politblog folgt, wird bestätigt: Unversöhnlich stehen sich Meinungen, Ansichten, persönlicher «Glauben» gegenüber. Bringen tut uns das nicht weiter.
Ginge es auch anders?
Kooperation statt Kampf. Gemeinsam statt gegeneinander. Zukunftsoffen statt vergangenheitsverhaftet. Lösungsorientiert statt konfrontationsfixiert. Mut stiftend statt Macht erhaltend. Abrückend von der einzig richtigen Lösung. Realisierend, dass niemand im Besitz der Wahrheit ist. Als Neujahrsvorsatz 2015?
14 Kommentare zu «Die politische Schweiz Anfang 2015 – eine Replik»
Natürlich ist das Wahlvolk für die Bestellung der Exekutive selbst verantwortlich. Das Wahlvolk wird aber auch nicht selten von diesen (jeweils vor der Wahl) getäuscht. So sagt man, der EU-Beitritt sei nicht aktuell. Was heisst das, nicht aktuell? Man möchte über Unangenehmes nicht sprechen. Da habe ich lieber Exponenten und Parteien, die Klartext sprechen, so wie die SP oder die SVP. Bei der FDP/CVP weiss man schlicht nicht was man wählt. Das sind Wundertüten. Da mangelt es.
In meinem Artikel „Ein Land voller Gewinner / Die verdrängte Debatte“ im Blog https://grumpyhampi.wordpress.com
komme ich leider auch zum Schluss, dass unsere politische Diskussion nicht nur in Grabenkämpfen verharrt, sondern in dieser Stimmbürger wie Konsumenten behandelt werden. Tatsachen, die nicht mit dem Parteiprogramm vereinbar sind, werden bewusst ausgeklammert oder plakativ vereinfacht. Wird die Presse als Lobbyinstrumente der Wirtschaft zu benutzt, führt dies dazu, dass die Berichterstattung immer einseitiger wird und sich die breite Bevölkerung nur noch an Kurznachrichten orientiert.
Das sieht man alleine schon daran, dass nicht genehme Kommentare einfach nie veröffentlicht oder später von einflussreicher Hand gestrichen werden!
Ein weiteres Indiz wie eine bestimmte Meinung durchgepaukt werden soll ist die Kommentarfreigabe an sich! Damit meine ich reine politische Berichte!
Herr Zollinger, ihre Replik überzeugt nicht. Sie sehen bei Herrn Somm eine „ideologisch geprägte Weltanschauung“ und einige Zeilen später werfen Sie Teleblocher, die Welteoche und die BaZ in den selben Topf in ihrem Kampf gegen das „Feindbild EU“. Die EU ist für niemand ein Feindblid, es ist einfach ein Konstrukt mit so vielen Mängeln, dass die Mehrheit der Schweizer nicht beitreten will, Punkt! Gott sei Dank, und ich denke das war schon immer so, entscheidet das Stimmvolk mal grünliberal, mal sozialliberal und mal nationalkonservativ, je nachdem wer die besseren Argumente hat. Das ändert aber nichts daran, dass Parteien parteisch sein sollten und einen ideologischen Kompass benötigen. Die FDP kommt nicht darum, sich zu positionieren. Wähler erwarten von einer Partei eine gewisse Position, von allem ein bisschen funktioniert nicht. Derselbe Begundvgilt wohl für die CVP.
Hr. Zollinger hat eine einseitige Betrachtungsweise. Statt eine pauschale Verurteilung von Weltwoche, SVP und andere sollte er mal den Zustand der EU genauer anschauen. Dann versteht jeder normale Mensch, dass ein Beitritt für den CH-Bürger und -Steuerzahler eine Zumutung ist. Hr.Zollinger ist entgangen, dass man auch Handel treiben kann, ohne einer bürokratischen, staatsverherrlichenden und Konkursiten Organisation beizutreten. Und was das Regierungs-Bashing betrifft: Der Bundesrat soll endlich einmal energisch die angenommenen Initiativen umsetzen und nicht willentlich verzögern !!
Seiler
In Deutschland arbeiten die Partien zusammen und suchen nach Lösungen, wo sehen Sie hier eine Krankheit?
Das Bild von der Bundesrat hat mit sehr gut gefallen und besonders die Gelassenheit.
Gemeinsam statt gegeneinander, Herr Merten, wie Sie können denn von Verschuldung sprechen?
Wir laden Sie sehr gerne nach Dänemark ein, dann können Sie selber ein Bild davon machen, wie ein EU-Mitglied Land (seit 1973) so lebt und wir denken nicht eine Sekunde daran auszutreten.
@andersen: Und was heisst das? Gemeinsam in die EU? Nein Danke ! A propos Dänemark. Hier findet eine überwiegende Mehrheit im Volk und sogar eine knappe Mehrheit in der Regierung, dass das Schengen-Abkommen gelinde gesagt suboptimal ist. Zudem ist Dänemark nicht im Euro-Verbund. Für die Schweiz hat man das noch 1999 vorgezeichnet. Das wäre ein Riesenfehler gewesen.
@Krummbuckel
Bitte um Quellen.
Ich möchte gerne wissen, wo Sie die Informationen haben.
Dänemarks Regierung war nie gegen der Schengenabkommen, die Rechtspopurlisten in DK dagegen hetzen, aber sie diktieren nicht der EU und auch nicht Dänemark.
Gemeinsam in der EU?
Nein, hier haben Sie Recht, nach der 9. Februar 2014 wird es kein Thema mehr sein, denn PFZ können nicht verhandelt werden
Bevor hier Unwahrheiten über andere Länder oder EU verbreitet wird, empfehlen wir nachzuvor ein Bild direkt am Ort zu machen.
Wir wünschen trotzdem weiterhin eine gute und faire Beziehung mit der Schweiz.
Danke Herr Zollinger, treffender könnte Ihre Replik gar nicht sein! Sie sprechen aus, woran die Schweiz zurzeit leidet und lahmt. „Gemeinsam statt gegeneinander!“ – das wäre auch mein Wunsch-Motto für 2015. Den Blick nach vorn gerichtet, nicht nach hinten, auf Verbindendes setzend, statt Trennendes kultivierend…
Nach vorn gerichtet heisst aber nicht vorwärts in die EU, Frau Saluz ? Auch nicht gemeinsam in die Verschuldung ?
Mit „nach vorn gerichtet“ meine ich, wir sollten gemeinsam nach neuen Lösungsansätzen suchen, statt in den bisherigen Denk- und Meinungsmustern zu verharren. Das bezieht sich auf alle Lager des politischen Spektrums. Wenn wir davon ausgehen, dass wir letztlich alle dasselbe wünschen, nämlich dass es der Schweiz und ihren Bewohnern gut geht, dann haben wir doch ein gemeinsames Ziel! Setzen wir also dort an, wo es einen gemeinsamen Nenner gibt, statt uns gegenseitig zu bekämpfen und zu beschimpfen.
Mit der hohen Pro Kopf Verschuldung, den bald offenen Löchern in der AHV und fehlender Ausbildung der Bürger ist die Schweiz jetzt kein geeigneter Kandidat für die EU.
Machen sie sich also keine Sorgen, selbst wenn die Schweiz wollte, die EU will sie gar nicht.
Nicht so, wie ihr Zustand zur Zeit ist.
Wahlkampf ist ein Wettbewerb verschiedener Parteien mit unterschiedlichen Vorstellungen gegeneinander. Der Wähler kann auswählen. Er hat die konservative SVP, die liberale FDP, die linken Parteien SP und Grüne, die wohl auch konservative BDP und die CVP irgendwo zwischendrin zur Auswahl. Und das ist auch gut so!
In Deutschland z.B. krankt das System doch gerade daran, dass zwischen den grossen Parteien fast kein Unterschied mehr besteht.
Wunderbar, Herr Zollinger – tun wir doch künftig einfach so als ob wir ein einig Volk und all die polit. Differenzen lauter Hirngespinste wären. Oder wie im Falle der zahlreichen EU-Gegner, diese lediglich infolge der Blocherschen Verführungskünste zu solchen geworden sind. In Wirklichkeit herrscht überall Sonnenschein. Ein linkes und rechtes politisches Spektrum gibt es so wenig wie die EU, denn diese ist nach Auffassung von Ch. Zollinger nicht mehr als die Summe unserer lieben Nachbarn.
Wenn man so von allen Realitäten abstrahiert, dann sieht die Zukunft doch rosig aus – leider nur dann!!!