Merinowolle und sieben stinkende Tage

Ein Beitrag von Thomas Hürzeler*

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Trägt keine Merinowolle: Simon Pegg in «Run Fatboy Run». Foto: PD.

Nein, ich bin kein Rennmuffel. Eigentlich mache ich recht gerne Jogging, Walking, Trail Running, Nordic Walking, Half-Marathoning, oder was immer die Outdoor-Industrie als bahnbrechenden Trend für das simple «Rennen» im Kampf um neue Absatzfelder erfindet. Aber ich ekelte mich immer vor mir selber, vor den stinkenden T-Shirts. Und ich wollte mein Leben nicht je zur Hälfte unter der Dusche und vor der Waschmaschine verbringen. So reduzierte ich mein Lauf- und Bergsteiger-Pensum immer stärker.

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Ein Merinoschaf (hoffentlich) kurz vor der Schur. Foto: PD

Bis ich auf einen Artikel über Merinowolle stiess. T-Shirts aus diesem Material, so hiess es, seien antibakteriell, also unstinkbar. Ein Wanderer, Läufer, Bergsteiger in diesem T-Shirt stinke niemals. Im Outdoorladen meines Vertrauens entdeckte ich schnell, dass die Auswahl an Merino-Shirts nicht wirklich berauschend und eine Firma «Icebreaker» offensichtlich marktführend ist. Ich entschied mich für ein leichtes T-Shirt in Anthrazit, das mir gegen ein horrendes Entgelt über die Theke gereicht wurde.

Tag 1: Am Morgen zum letzten Mal geduscht und das neue Shirt angezogen. Fühlt sich gut an. Im Tram zur Arbeit. Über Mittag eine lockere Runde am Seebecken. Abends im Tram nach Hause. Nachtessen und im Merino-Shirt ins Bett.

Tag 2: Abends auf den Uetliberg gejoggt. Recht heiss und schweisstreibend. Im gut besetzten Restaurant Albisgüetli macht mir eine Jassrunde Platz, überlässt mir den ganzen Tisch. Nette Leute.

Tag 3: Wieder auf den Uetliberg. Wie ich in den Anhänger des Trams einsteige, wechseln alle Fahrgäste in den Triebwagen. Sehr zuvorkommend: Scheint ein Ritual zu sein.

Tag 4: Nach der abendlichen Runde müde, aber zufrieden ins Bett. Meine Frau hat schlimme Migräne. Geht zum Schlafen ins Gästezimmer. Na ja, es muss ja nicht jeden Tag sein.

Tag 5: Nach der grossen Nachmittags-Joggingrunde erhalte ich die Brötchen in meiner Bäckerei gratis. Die Verkäuferin hält sich so komisch die Hand vor die Nase, wendet sich ab und erklärt, das gehe aufs Haus. Die arme Frau scheint an einer bösen Infektion zu leiden.

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So macht Joggen Spass: Ben Stiller in «Starsky & Hutch». Foto: PD.

Tag 6: Mein Chef bietet mir völlig unerwartet per E-Mail ein Einzelbüro an. Und erkundigt sich fürsorglich, wann wohl bei mir zu Hause die Dusche wieder funktioniere. Hallo? Ist meine Dusche defekt? Weiss ich nicht, brauche sie ja seit 6 Tagen nicht mehr. Dank Merino.

Tag 7: Die Katastrophe: Nach der Joggingrunde auf den Pfannenstiel kommt mir bellend ein Hund entgegen. Zwar weicht er kurz vor mir jaulend zurück, aber ich reisse mir beim Ausweichen an einem Dornenbusch ein Loch ins Merino-Shirt. Das wars dann wohl. Schon wieder ein neues Icebreaker-Shirt kann ich mir schlicht nicht leisten. Aber schön wars.

Zu Hause erklärt mir meine Frau – etwas nasal wegen der Nasenklammer – bei Merino stinke nur das Shirt nicht. Wer aber im Shirt stecke, der stinke nach sieben Tagen Jogging oder Bergsteigen so was von zum Himmel. Merino hin oder her. Und wenn ich nicht aufs Nullkommaplötzlichste in der Dusche verschwinde, dann könnte sich ihre Migräne zur chronischen Krankheit ausweiten.

Fazit: Wer es sich leisten kann, dem kann ich Merino-Shirts vorbehaltslos empfehlen. Sie sind tatsächlich wesentlich unstinkiger als die üblichen Kunstfaserleibchen. Allerdings ersparen sie die Dusche nicht. Nur schon wegen der häuslichen Harmonie.

Thomas Huerzeler*Thomas Hürzeler ist Autor, Fotograf, Musiker, Gleitschirmpilot und Unternehmer mit der ersten klimaneutralen Druckerei der Schweiz. 2003 gelang ihm die Erstbesteigung des Uetlibergs MIT Sauerstoff.

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17 Kommentare zu «Merinowolle und sieben stinkende Tage»

  • MZ sagt:

    Es gibt eine einfache Lösung gegen Gestank – egal welches Shirt man nachher trägt. Sie heisst Deodorant. Liebe Herren, benutzt es doch einfach. Und zwar direkt nach dem Duschen. Es wirkt Wunder – und das über lange Zeit. Noch besser: Zuvor Achselhaare rasieren und damit den Bakterien den Stinkefinger zeigen.

  • Stefan Mächler sagt:

    Ich wundere mich immer wieder wenn geschrieben wird, dass Merino Shirts nicht stinken sollen. Wenn meine Schweissnass sind dann riechen sie ziemlich intensiv. Nicht nach meinem Schweiss, aber trotzdem unangenehm. Wenn sie wieder trocken sind stinken sie nicht mehr. Da habe ich synthetische Shirts die weniger stinken.
    Erlebe nur ich das so?

  • hpmeier sagt:

    Die alten, guten Baumwollleibchen stinken am Abend auch nicht, wenn sie kräftig beschwitzt wurden. Man kann damit gut noch im öV nach Hause fahren. Zum Trocknen nach der Wäsche brauchen sie aber einen ganzen Tag, was bei einer Uebernachtung in SAC-Hütten unpraktisch ist. Merino-Leibchen stinken am Abend viel weniger als die schnelltrocknenden Kunststoffleibchen und trocknen nach dem Waschen ebenfalls sehr schnell. Solange ich nach Ankunft in der SAC-Hütte sowohl mich als auch das Leibchen wasche tut es auch ein Techno-Leibchen. Wer aber natürliche Produkte den unverwertbaren Techno-Produkten vorzieht, sollte sich vielleicht doch mal ein Merino-Shirt anschaffen.

  • Mrs Merino sagt:

    Ich habe vor 2 Jahren angefangen Merino zu tragen und würde für Outdoor-Tätigkeiten nie mehr was anderes nehmen. Allerdings finde ich es vor allem für Wandern/Trekking gut. Für Sport (also joggen oder Velo fahren) eher weniger geeignet. Wenn man duscht, kann man die Shirts (oder auch Socken) mehrere Tage tragen und sie riechen nicht. Vor allem in der Mittagspause (indoor) riecht man, wer Polyester und wer Merino trägt.
    Ja, es ist teuer, allerdings halten die Shirts auch einiges aus und man kann sie sicher mehrere Jahre verwenden.

  • Michael sagt:

    Schon so ab Tag 5 hab ich mir selber gedacht, nicht das Shirt stinkt, aber der Mensch darin.

  • Darja Rauber sagt:

    Mit Verlaub, aber wenn man schon über Merino berichtet, dann bitte die ganze Wahrheit! Auch kann ich die Lobhudelei von @ C. Schär von wegen extensiver, ökologischer Viehzucht in Australien nicht unwidersprochen stehen lassen! Das Merinoschaf ist eine überzüchtete Rasse, die im Nacken und After mehrere dicke Hautfalten hat – und somit mehr Fläche für die Wollproduktion bietet. In diesen Falten setzen aber Fliegen gerne ihre Maden ab, die dem Schaf fürchterlichen Juckreiz und Haarverlust verursachen. Damit das nicht passiert, schneiden die Schafhalter schon den Lämmern – ohne vorherige Betäubung! – grosse Hautlappen rund um den Hals und After weg. Die Wunden müssen anschliessend von alleine verheilen… Man google man den Begriff „Mulesing“! Im Übrigen verschifft Australien Abertausende nicht mehr rentabler Merinoschafe lebend in den Nahen Osten. Tausende Tiere sterben in den überfüllten Frachtern an Verletzungen, Durst oder Krankheit. Der Rest endet mit Halsschnitt – ebenfalls ohne Betäubung – beim Schächter. Merino: Nein danke!

    • Schaer Christoph F. sagt:

      Sehr geehrte Darja Rauber

      Sie sprechen mir aus dem Herzen. Australien ist ein Kontinent und Südamerika sit ein anderer. ;) Von Südamerika habe ich in meinem Beitrag oben gesprochen.
      Merinoschafe sind zudem eine der ältesten Schafrassen überhaupt, welche ursprünglich aus der Iberischen Halbinsel stammen und Mulesing gibt es gerade in Argentinien wie Chile nicht.
      Daher habe ich bewusst von Südamerika gesprochen, wo Patagonien eine kalte Steppenlandschaft ist, wo sprichwörtlich keine Fliege überlebt….;)
      Ich lade Sie gerne auf unsere Schafsfarm ein (siehe Link zur FB oben oben), um sich selbst ein Bild zu machen. Wir sind OIA zertifiziert und dürfen damit das Bio Suisse Label tragen; wie Dieter Meier mit seinen Rindern.
      Es ist wichtig, dass sich der Konsument ein Bild über die Wertschöfpungskette macht und artgerechte Tierhaltung verlangt.
      Die Verantwortung liegt an jedem von uns und technisch ist eine vollständige Rückverfolgung des Herstellungsprozesses möglich. Insofern hat Icebreaker (Neuseelandwolle) eine tolle Pionierleistung in Bezug auf rückverfolgbare Herstellungsprozesse geleistet.

    • Adi sagt:

      Und dann sollte man vielleicht auch noch erwähnen, dass genau Icebreaker nur Wolle von Züchtern verwendet, die garantieren, dass sie diese Praxi NICHT angewenden.

  • Maria sagt:

    Die Investition lohnt sich – wenn man es nicht zerreißt! Im Amazonas-Regenwald waren die Merino-Shirts das einzige Kleidungsstück überhaupt, das nach zwei Tagen NICHT massiv stank…

  • Schaer Christoph F. sagt:

    Toller Beitrag. Ich habe geschmunzelt. Neben dem willkommenen Neutralisierung Effekt für Gerüche gibt es weitere Gründe für verantwortungsvolle Konsumenten Merinowolle zu wählen.

    Merinowolle stammt zudem in Südamerika aus Gebieten, die nachhaltige Landwirtschaft versprechen. Tierzucht ist per se arbeitsintensiv, kann nur beschränkt mechanisiert werden und gibt somit unzähligen Menschen Lebensperspektive und Einkommen. Menschen, die sonst in die Peripherie von überbevölkerten Städten ziehen würden. Zudem weiden Merinoschafe auf Landflächen, die sich nicht für Ackerbau eignen und helfen die Biodiversität zu erhalten.

    https://www.facebook.com/estanciaspatagonicas

    damit weiterhin viel Spass beim Outdoorsport oder unter der Dusche…;)

  • Verena Luisa sagt:

    Lieber Herr Hürzeler, einen unbestreitbaren Vorteil haben aber diese Merino-Leibchen von Icebreaker: man kann sie waschen, und sie sind in null-komma-nichts wieder trocken – überall. Was das Benutzen einer Dusche natürlich trotzdem nicht überflüssig macht!

  • Patricia Galli sagt:

    Der Vorteil des Merino-Shirts ist primär, dass der Auskühleffekt eines feuchten/nassen Shirts viel geringer ist. Beim Laufen fällt das nicht so ins Gewicht, aber beim Velofahren hat Merino gegenüber Kunstfaser eindeutig die Nase vorn.

  • Richi Marti sagt:

    Für diese simple Pointe ist der Artikel gar ein wenig lang…. Aber immerhin danke für die Klarstellung…

  • Rolf Mäder sagt:

    Whoa, jetzt kann ich den Fan, den ich beim Lesen Ihres Artikels zwischen mich und den Computermonitor blasen liess, so langsam wieder ausschalten.

  • christian sagt:

    Hallo Herr Hürzeler,
    zum Glück gibt es aus Alternative Produkte zu den von ihnen erwähnten.
    Ein Schweizer Produkt z.B. zu finden aus http://www.outlyne.com/
    Neben dem geruchsvorteil sollte man auch noch den trage Komfort erwähnen

    Ihr Artikel ist sehr unterhaltsam, bravo.

  • Stefan Balz sagt:

    Danke für diesen tollen Beitrag. Kann das Merino-Gesülse auch nicht mehr hören. Bei mir gilt nach wie vor: Sport = Schweiss = Gerüche = Dusche. Alles klar.

  • Vvv sagt:

    Lieber Herr Hürzeler

    Das war jetzt der Aufsteller dieses Morgens!

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