Echte und unechte Rezessionen

NMTM

Die deutsche Wirtschaft brummt: Zusammenbau eines Ford Fiesta im Ford-Werk Köln-Niehl. Foto: Florian Gärtner (Getty Images)

Haarscharf sei Deutschland an einer Rezession vorbeigeschrammt, hiess es am letzten Donnerstag, als das Land die Schätzung für sein Wirtschaftswachstum im vierten Quartal des Vorjahres veröffentlichte. Ob die Schweiz diesem Schicksal ebenfalls entkommt, wissen wir erst am letzten Tag des Februar, wenn das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) seine Schätzung für das Wachstum im letzten Quartal 2018 veröffentlicht.  

Rezession: Das tönt dramatisch – im Ökonomen-Slang steht das Wort für eine Krise, wenn auch nicht für eine gar so schlimme wie das Wort Depression. Doch was genau ist eine Rezession eigentlich?

Ein Land befindet sich gemäss der am häufigsten verwendeten – auch «technisch» genannten – Definition dann in einer Rezession, wenn sein Wirtschaftswachstum in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen negativ ist, das erwirtschaftete Bruttoinlandprodukt (BIP) also zweimal geringer ausfällt als im Vorquartal. Diese Definition hat einen grossen Vorteil: Sie ist leicht zu verstehen und anzuwenden – wenn die Daten einmal vorliegen. Aber sie hat auch einen gewaltigen Nachteil: Sie ist für sich gesehen ziemlich sinnlos. Warum?

Minus 0,1 Prozent reicht schon

Schauen wir wieder auf die Beispiele Deutschland und Schweiz. Sowohl in Deutschland wie in der Schweiz war das Wachstum im dritten Quartal mit minus 0,2 Prozent leicht negativ. Im vierten Quartal hat die deutsche Wirtschaft stagniert. Das heisst, es resultierte weder ein positives noch ein negatives Wachstum. Also kann nicht von einer Rezession gesprochen werden. Wäre das deutsche BIP oder auch jenes der Schweiz im vierten Quartal aber auch nur um 0,1 Prozent geschrumpft, schon wäre das entsprechende Land gemäss technischer Definition in einer Rezession.

Von einer Krise kann man deshalb sicher nicht reden, umso weniger, als sowohl Deutschland wie die Schweiz im vergangenen Jahr insgesamt stark gewachsen sind. Die Arbeitslosenquote befindet sich in beiden Ländern noch immer auf Tiefstständen.

Umfassende Analyse nötig

Von einer Rezession zu sprechen, macht dann Sinn, wenn die Gesamtnachfrage einbricht, die Arbeitslosigkeit deutlich steigt und die Kapazitäten einer Volkswirtschaft immer weniger ausgelastet sind. Anders als bei der einfachen technischen Definition ist eine umfassendere Analyse nötig, um zu einem Schluss zu kommen. Wenn das BIP eines Landes zwei Quartale in Folge schrumpft, kann das durchaus darauf hinweisen, dass eine echte Rezession eintritt. Aber das ist nicht zwingend der Fall.

Die jüngst tiefen Wachstumsraten in Deutschland und der Schweiz verweisen auf eine deutliche Abschwächung der Wirtschaftsaktivitäten. Mein Kollege Andreas Neinhaus hat in diesem Blogbeitrag mehr zu den wirklich relevanten Daten geschrieben und zu den Sonderfaktoren, die jüngst für die Taucher verantwortlich waren. Eine echte Rezession erwarten die Konjunkturprognostiker zumindest bisher in nächster Zeit weder für Deutschland noch für die Schweiz.

24 Kommentare zu «Echte und unechte Rezessionen»

  • Maike sagt:

    Deutschland ist um haaresbreite an einer Rezession vorbeigeschrammt, als das Land die Schätzung für sein Wirtschaftswachstum im vierten Quartal des Vorjahres veröffentlichte – Zitat ende.
    Mal ehrlich, ob das die Mehrheit der Deutschen in eine ernsthafte Sinnkrise gestürzt hat ? Und ob es die Schweizer beunruhigen würde ? Ich glaube eher nicht. Der gemeine Bürger lebt doch eher im hier und jetzt. Hat Arbeit (oder nicht) und kann sich diverse notwendige und unnotwendige Dinge leisten. Es kommt immer Strom aus der Steckdose und warmes Wasser aus dem Wasserhahn. So what Rezession ??? Schwankungen im Wirtschaftsgefüge hat es immer schon gegeben – wie im Klima übrigens auch.

    • Rolf Zach sagt:

      Natürlich gibt es Schwankungen im Wirtschaftsgefüge.
      Vor der industriellen Revolution waren Missernten und Kriege, die Krisen verursachten. Bei Kriegen natürlich dort, wo die Menschen sich gegenseitig umbrachten und plünderten. Die Natur hat auch nach der Einführung der industriellen Revolution noch ihre Bedeutung, aber nicht derart entscheidend.
      Dann gibt es technische Rückschläge des Wirtschaftswachstum, wie zum Beispiel die Einführung neuer Produkte und die Ablösung der alten.
      Aber die schlimmsten Krisen kommen immer aus dem Kreditsystem und wie der Güter- und Geldkreislauf sich gegenseitig beeinflussen und haben viel mit der sozialen Organisation zu tun.

  • Claire Deneuve sagt:

    Na ja die minus 0.2% von Q3 in der CH wurden doch vor allem der grossen Hitze und Trockenheit verursacht. Mitteleuropäer sind solche nun mal nicht so gewohnt und dann sinkt die Leistungsfähigkeit, mehr Leute hängen in den Badi rum als an der Arbeit und die Landwirtschaft hat massive Einbussen, so rutscht man im Jahresvergleich schnell mal leicht ins minus.
    So what?

  • D.Keller sagt:

    Hat man die technische Rezession nicht genau deshalb definiert, weil früher immer darüber diskutiert wurde, ob man denn nun eine Rezession habe oder nicht (die Politik redet gerne schön)?!
    Selbst wenn die technische Rezession äussert knapp ist, kann das darauffolgende Quartal dann die knappe techn. Rezession bestätigt oder „aufgehoben“ werden. Schlimmstenfalls hängt man 3 Mt. in der Luft. Politische Diskussionen über Rezession ja/nein können hingegen locker 6 und mehr Monate hinausgezögert werden.

  • Peter Colberg sagt:

    Zum Thema Rezessionen lohnt sich die Lektüre des folgenden Artikels im „Calgary Herald“ vom 15. Februar: „The utterly unbelievable scale of U.S. debt right now“. Dort lesen wir unter anderem folgendes: „This week, the United States national debt ticked above US$22 trillion for the first time, an amount equivalent to $67,000 per U.S. citizen.“ Nett! Das durch massive quantitative Lockerung geförderte Wirtschafstwachstum in den USA ist eine finanzielle Blase, die nicht tragbar ist. „Es gibt keinen Weg, den finalen Kollaps eines Booms durch Kreditexpansion zu vermeiden. Die Frage ist nur ob die Krise früher durch freiwillige Aufgabe der Kreditexpansion kommen soll, oder später zusammen mit einer finalen und totalen Katastrophe des Währungssystems kommen soll!“ (!).

    • Marcel Senn sagt:

      Colberg: Mal abgesehen, dass die Public Debt erst bei 16.165 Bio liegen, sind die nächsten 12.6 Bio $ bis 2029 schon geplant, dann wären die US bei den Public Debt bei 28.7 Bio und total Debt bei ca 35 Bio. Wenn die Wirtschaft jedes Jahr Nominal um die 5% wächst, wäre das kein so grosses Problem, nur eine längerandauernde Rezession dürfte es nicht geben.

      https://www.crfb.org/sites/default/files/CRFB_CBOJan2019Baseline.pdf

      Japan tummelt sich schliesslich auch schon seit x Jahren bei rund 240% Debt/GDP rum und die sind auch noch nicht zusammengebrochen.
      Donald will auch noch in die US Geschichte als „greatest Debt maker of all times“ eingehen, der holt auch Obama sicher irgendwann noch ein, falls er wiedergewählt würde.

      • Rolf Zach sagt:

        Interessant ist der Vergleich der Verschuldung zwischen Japan und der USA.
        Japan ist eine totale Verschuldung innerhalb des Geldkreislaufes des Yen. Die übrige Welt ist durch diese Verschuldung nicht tangiert. Die Japaner benützen ihre Währung nicht, um im Ausland einzukaufen und oder für ihre Exporte Rechnung zu stellen. Dafür benützen sie den $. Japan hat mit wenigen Ausnahmen in den letzten Jahrzehnten immer ein Leistungsbilanz-Überschuss.
        Dies ist bei der USA nicht der Fall. Aber sie haben die Reservewährung der Welt. Wir leben im Zeitalter des Dollar-Standards und die Welt anerkennt dies und hat Vertrauen. Ob die EU daraus einen $/€ Standard gleichberechtigt einführen kann, muss noch definitiv abgeklärt werden.

        • Rolf Zach sagt:

          Wenn die $ Verschuldung gegenüber dem Ausland geringer wächst als das weltweite Volumen der Transaktionen in $, sei es Handel oder Finanzen ist gleichgültig, solange ist technisch das Vertrauen in den $ gegeben.
          Diese Annahme berücksichtigt natürlich nicht den psychologischen und politischen Faktor, dies kann gerade beim US$ enorme Kräfte zu seinen Gunsten mobilisieren.
          Trotzdem würde ich als Anleger oder Zentralbank den $ eher weniger gewichten, was ich in aller Bescheidenheit frech unserer SNB empfehle. Sie soll wenigstens diese Wechselkurs-Rückstellungen auflösen. Seit wann hat man Rückstellungen, die genau gleich sind wie das Risiko? Bei Auflösung der Eidgenossenschaft für Infrastruktur und AHV übergeben

    • Linus Huber sagt:

      „Es gibt keinen Weg, den finalen Kollaps eines Booms durch Kreditexpansion zu vermeiden“

      Ludwig von Mises‘ Zitat geht weiter…

      „Die Frage ist nur, ob die Krise früher durch freiwillige Aufgabe der Kreditexpansion oder später zusammen mit einer finalen und totalen Katastrophe des Währungssystems kommen soll.“

      Wie es scheint, ist die freiwillige Aufgabe nicht zu erwarten.

      • Anh Toàn sagt:

        Allgemein ist doch festzuhalten, dass die reichen Länder tendenziell hohe Schulden haben, während die Ärmsten Länder kaum verschuldet sind.

        Ohne Kreditexpansion gibt es kein Wirtschaftswachstum im Kapitalismus.

        • Anh Toàn sagt:

          Und man komme mir nicht mit der Schweiz, die hat zwar eine wenig Staatsschulden, aber eine der weltweit höchsten privaten Verschuldung.

          • Linus Huber sagt:

            Natürlich gibt es Wirtschaftswachstum ohne eine Kreditausweitung weit über dem Wirtschaftswachstum. Es geht nicht um Kredit per se, sondern um eine Wirtschaft deren Wachstum primär auf Kreditexpansion beruht.

          • Linus Huber sagt:

            Auch wenn man mit der Anwendung von Keynes Theorien, welche im Rahmen eines Goldstandards und damit einer Beschränkung der Kreditexpansion und Geldentwertung ausgedacht und entworfen wurden, nicht einig geht, muss man deren Vertretern, welche heute in sämtlichen Entscheidungspositionen sitzen, neidlos zugestehen: In Bezug auf Ueberzeugungsarbeit und Verbreitung ihrer Theorien haben ganze Arbeit geleistet.

          • Rolf Zach sagt:

            Herr Huber, haben Sie einmal darüber nachgedacht, warum sich die Weltwirtschaft nach nicht so guter Konjunktur ab 1895 gut erholte. Hatte dies nicht mit der enormen Ausweitung der Goldproduktion in der Republik der Buren und seinem Nachfolgestaat Südafrika zu tun. Gold kann damit genau so als M1 ausgeweitet werden wie bei der Druckerei für US Noten in Washington, der Effekt ist der gleiche.

          • Anh Toàn sagt:

            Herr Huber, mit sparen wächst weder ein Unternehmen noch eine Volkswirtschaft.

            Schlicht paradox ist jedoch positive Realzinsen vergöttern aber Kreditwachstum verteufeln.

          • Anh Toàn sagt:

            Sie möchten Zinsen bekommen, die im Haben verbuchen, aber dann muss jemand eine Soll Buchung machen, also seine Schulden erhöhen, ist Anfängermathe: Haben = Soll.

          • Anh Toàn sagt:

            Ihr Verständnis von Volkswirtschaft ist wie Lego: Man muss etwas kaputt machen, damit man etwas neues bauen kann, weil man hat immer gleich viele Lego Steine, das geht schon, aber es gibt es kein Wachstum ausser der Götti (deus ex machina, bzw. das Ausland in der Volkswirtschaft) bringt neue Lego Steine.

          • Linus Huber sagt:

            Sie sagen es, Rolf, in der Period des klassischen Goldstandards, während welchem das Wachstum des Kreditvolumens grundsätzlich dem Wachstum der Wirtschaft entsprach und die Geldentwertung in etwa bei 0% lag, konnten sehr hohe Wachstumsraten verzeichnet werden.

          • Anh Toàn sagt:

            Leseschwierig? Herr Zach sagt nicht, was Sie behaupten.

          • Linus Huber sagt:

            Sehr wohl verstehe ich was Rolf sagt, jedoch ist der von mir aufgeführte Umstand der wirklich wichtige Aspekt dieser Periode und die jährlichen Fluktuationen im Bereiche der Goldproduktion ist von untergeordneter Bedeutung.

          • Anh Toàn sagt:

            Sie sagen es Linus, weil es mehr Gold gab, gab es Wachstum, die Periode des klassischen Golddstandards, war die, wo man sich nicht daran hielt und der angebliche Goldstandard unweigerlich platzen musste.

          • Linus Huber sagt:

            Lach, der Goldstandard platzte? Sie sind immer gut für eine Lachnummer.

  • Josef Marti sagt:

    Von wegen leicht zu verstehen, es wird ja ein Durcheinander gemacht. Nicht Stagnation oder negatives Wachstum ist gemeint; die Definition besagt, dass Rezession dann besteht wenn das Wachstum über mehrere Quartale nicht mehr exponentiell verläuft. Ist das Wachstum geringer als in der Vorperiode dann ist es insgesamt nur noch linear oder degressiv resp. negativ.
    Eine Exponentialkurve kann aber niemals ewig weiterlaufen, folglich muss zwingend ein Absturz erfolgen damit die Kurve auf tieferer Ebene wieder von vorne beginnen kann. Das gilt insbes. für hohe Exponentialkurven wie in China, je steiler die Kurve desto stärker wirkt die Schwerkraft.

  • Max Bader sagt:

    Natürlich muss nicht jede „technische“ Rezession sehr schlimm enden, aber man hat immerhin zur Definition zwei Quartale genommen und deswegen den Zufall verkleinert.
    Was aber gerade die Arbeitslosenquote angeht, wäre ich vorsichtig, denn diese reagiert meistens erst sehr spät, wenn die Rezession schon weiter fortgeschritten ist, denn die Unternehmen entlassen nicht sofort bei schlechter Auftragslage die Leute. Das kommt erst mit der Zeit. Und gerade für Deutschland habe ich jetzt mehrmals gelesen, dass das Geschäftsklima sich deutlich verschlechtert hat.
    Im übrigen war die Schweiz, wenn man das reale BIP pro Kopf anschaut, in den letzten Jahren schon öfters in einer Rezession.

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