In Italien tickt eine Zeitbombe
Italiens chaotische Regierungsbildung lehrt die Märkte das Fürchten. Die Aktienkurse in Mailand fallen, die Anleihenrenditen steigen. Zuletzt hat sich auch noch der Franken zum Euro aufgewertet. Für manchen Beobachter erscheint das wie ein Déjà-vu: Bahnt sich die nächste Euroschuldenkrise an?
Diese Befürchtung ist übertrieben. Italien ist heute weniger anfällig für eine Zahlungskrise als vor sieben Jahren. Und zwar sowohl auf der Schuldner- als auch auf der Gläubigerseite. Warum? Beginnen wir mit dem Schuldner: der italienische Staat.
Die Sorge besteht, dass die höheren Marktzinsen die angespannte Haushaltslage sprengen könnten. Italien muss jedes Jahr rund 250 Milliarden Euro am Kapitalmarkt aufnehmen, auch darum, weil ausstehende Anleihen fällig werden und Rom neue Schulden aufnimmt, um die Papiere zurückzuzahlen. Steigen die Marktzinsen, zahlt der Staat mehr.
Zinszahlungen sinken, selbst wenn die Marktzinsen steigen
Aber der aktuelle Zinsschub wirkt sich nur wenig aus, wenn man die gesamten Kosten berücksichtigt. In den vergangenen Jahren sind die Zinsen so kräftig gesunken, dass die Finanzierungskosten immer noch niedriger liegen als früher. Selbst dann, wenn die Zinsen steigen.
Im April emittierte das Schatzamt beispielsweise fünf- und zehnjährige Staatsanleihen mit Coupons von 0,75% und 2%. Vier Jahre zuvor begab Rom die gleichen Buoni del Tesoro (BTP) am Markt zum Preis von 2,5% respektive 3,75% pro Jahr.
Am Höhepunkt der Euroschuldenkrise 2012 zahlte der italienische Staat einen Durchschnittszins von 4,38% auf seine Schulden. Gegenwärtig sind es 2,8%. Die Mehrzahl der Coupons ausstehender Papiere, die Rom regelmässig bedienen muss, liegt weit über den aktuellen Marktzinsen. Selbst wenn die Zinsen weiter steigen, verteuert sich der Schuldendienst nur sehr langsam. Zumal Italien die tiefen Zinsen nutzte und die Laufzeit der Schuldpapiere verlängerte. Die Bank Intesa Sanpaolo schätzt, dass der «Breakeven» frühestens 2020 erreicht wird, der Zins für Neuemissionen also gleich hoch sein wird wie die Durchschnittsrendite.
Andere sind noch zuversichtlicher: «Die Zinszahlungen des italienischen Staates in Prozent des Bruttoinlandprodukts werden noch bis 2024 fallen, selbst wenn die Renditen auf dem aktuellen gestiegenen Niveau bleiben werden», sagt Commerzbank-Chefökonom Jörg Kraemer am Mittwoch an einer Telefonkonferenz.
Gläubigerstruktur entschärft
Aber nicht nur was die Kosten betrifft, flösst Italiens Staatsschuld weniger Furcht ein als früher. Auch die Gläubigerstruktur hat sich entschärft. Der Anteil ausländischer Banken, Hedgefonds und Kleininvestoren hat markant abgenommen. 2008 war die Hälfte der italienischen Schuldtitel in den Hände von Anlegern im Ausland. Heute ist es nur etwas mehr als ein Drittel. Plötzliche Verkaufswellen wie jene von 2011–2012, als die Gläubiger aus dem Ausland gleich scharenweise abzogen, sind somit weniger riskant.
Seit dem europaweiten Anleihenkaufprogramm sind die Europäische Zentralbank und die Banca d’Italia, die vier Fünftel der Ankäufe auf ihre Bücher nimmt, zum wichtigsten Gläubiger Italiens geworden. Sie halten fast ein Fünftel der Schuldtitel und damit erstmals mehr als die Geschäftsbanken des Landes.
Aber die Wirtschaft ist in Gefahr
Italiens Geschäftsbanken haben ihre Staatsanleihenbestände in den vergangenen drei Jahren nur leicht abgebaut. Sie bleiben auch aus diesem Grund die grösste Schwachstelle des drittgrössten Euromitglieds. Wegen ihrer umfangreichen BTP-Portefeuilles hängt die Profitabilität der Banken immer noch vom Kursverlauf der Anleihen ab. Steigt die Marktverzinsung, wie in diesen Tagen, dann sinken die Anleihennotierungen. Vorübergehende Schwankungen sind verkraftbar. Ein anhaltender scharfer Zinsanstieg respektive ein BTP-Kursverlust führt allerdings dazu, dass Italiens Banken ihre Risiken zurückfahren. Sie vergeben weniger Kredite – und das bremst die Wirtschaft.
Die hohe Staatsverschuldung in Verbindung mit der neuen rechtspopulistischen Regierung ist also durchaus eine tickende Zeitbombe. Es droht aber kein Staatsbankrott und damit keine Euroschuldenkrise. Sondern höhere Zinsen in Verbindung mit den hohen Steuern und Abgaben, und die könnten das Land schon bald in die nächste Rezession treiben.
7 Kommentare zu «In Italien tickt eine Zeitbombe»
Dass in Italien eine Zeitbombe tickt, mag sein, jedoch die wichtigere Frage, wann sie explodieren wird, ist deshalb nicht beantwortet. Wirklich bedenklich ist jedoch der Umstand, dass die EU bis zum heutigen Tage unfähig (oder unwillig) ist/war ein geordnetes Austrittsprozedere von EURO und/oder EU festzulegen. Solch ein Versäumnis speziell angesichts der offensichtlichen Gegenreaktion auf Zentralisierung und Globalisierung in der Form der Sicherung der im Nationalstaat verankerten demokratischen Rechte wird sich irgendwann rächen.
Es ist sehr fraglich, ob die italienische Spitzen-Bürokratie so lammfromm der neuen Regierung sklavisch gehorcht und der Wirtschaft im Norden alle Steuern erlässt und im Süden das Manna verteilt, so wie es den Wähler von Cinque Stelle durch deren Politiker versprochen wurde.
Dies Regierung ist noch mehr als die vorhergehende in den Händen dieser Spitzen-Bürokraten. Ein typischer Vertreter davon ist Draghi. Diese Herren sind sehr flexibel und haben trotzdem einen gewissen Ehrenkodex.
Abgesehen davon, müssen diese Versprechen zuerst einmal umgesetzt werden. Man wird dies mit der üblichen italienischen Langsamkeit in solchen grundsätzlichen politischen Ziel-Vorgaben umsetzen und dies braucht Zeit. Auf dem Weg dorthin wird einiges geändert, damit es keinen Krach mit Brüssel gibt.
Überall lese ich von einer neuen Regierung in Italien, als Koalition zwischen 5stelle und der Lega: Dieser Lebenslaufoptimierer Conti wurde mal beauftragt eine Regierung zu bilden: Nun geht das Kämpfen um Ministerposten (und vielleicht sogar Regierungsprogramm) los:
Ich bin noch nicht so sicher, dass Italien eine neue Regierung hat. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass es zu Neuwahlen kommt, bevor überhaupt eine neue Regierung von diesem Parlament gewählt wird.
Wer bei solchen Staatsschulden-Entwicklungen sagt, die Chance einer Krise sei geringer als vor sieben Jahren, der glaubt auch an den Storch. Es ist so sicher wie das Amen in der Kirche das Italien nie mehr seine Schulden bedienen kann. Und nur noch eine Frage der Zeit bis Italien einen weiteren Staatsbankrott erlebt. Wahrscheinlich wird auch hier die EU wieder einschreiten, um Ihre Fehlkonstruktion zu retten.
Die Staatsverschuldung ist vollkommen irrelevant für Italien da keine nennenswerten Aussenschulden bestehen und das Land Handelsüberschüsse macht. Und wenn man den Anteil der Staatsbonds in Händen der EZB abzieht – wie das die Amis immer machen um ihre BIP Schuldenquote zu verkleinern – sieht das harmlos aus. Was aber droht sind Bankenpleiten und weitere Rettungsaktionen per bail in, dann wird’s aber dramatisch, weil dann wieder der Durchschnittsbankkunde zur Kasse gebeten wird.
Wie weit sind mit den neuen Regeln der EU Bankenpleiten in Italien ein Problem Italiens und wie weit eines der EU/EZB ist die Frage, die mir nach Lesen dieses sachlichen und differenzierten Beitrages, der Titel sei verziehen, blieb.