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Archiv für die Kategorie ‘Schweizer Cup’

Die Realität übertrifft alle Utopien

Guido Tognoni am Dienstag den 19. September 2017

In Papas Fussstapfen – inmitten einer gewandelten Fussballwelt: Sonny Kok feiert sein Tor gegen Sion. (Foto: Keystone/Valentin Flauraud)

Der Spieler der Cup-Runde vom vergangenen Wochenende war Sonny Kok. Nicht weil er für den Aussenseiter Lausanne-Ouchy das Siegestor gegen Sion erzielt hat, sondern weil er der Sohn von Robert Kok ist, «der Sohn des schönen Blonden», wie die NZZ schwärmt. Der Holländer Robert Kok entsprach nicht nur dem Schönheitsideal der NZZ, sondern war auch auf den Schweizer Fussballfeldern der beste Torschütze seiner Zeit. Über 150 Treffer erzielte er ab 1979 während seiner 14 Jahre bei Schweizer Clubs, wobei zum Herbst seiner Karriere auch zwei Abstiege mit dem FC Zürich und dem FC Basel gehörten.

Das Beispiel Robert Kok zeigt anschaulich, wie sich der internationale Fussball in jüngster Vergangenheit gewandelt hat. 14 Jahre in der Schweiz – das wäre heute für einen Torschützen wie Robert Kok nicht mehr denkbar. Wer dieser Tage in fünf Spielen zwei- oder dreimal den Ball richtig trifft, ist gleich auf dem Radar ausländischer Vereine, und heute würde ein Goalgetter wie Robert Kok dem finanziell darbenden Lausanne-Sports viele Millionen einbringen.

Vom Importland zum Exportland

Der durch immense Fernsehgelder eingetretene Wandel der internationalen Fussballszene hat für die Schweiz fast nur Vorteile gebracht. Einerseits holen Schweizer Clubs nicht mehr abgetakelte ehemalige Stars für eine Abschiedsvorstellung in unser Land (ausser sie kommen gratis), andererseits hat sich der Schweizer Fussball zu einem beachtlichen europäischen Ausbildungszentrum entwickelt, dies nicht zuletzt durch die Einwanderung ehrgeiziger Familien aus dem Balkan. Die Schweiz ist im Fussball von einem Importland zu einem Exportland geworden. Statt wie früher Altstars aus der Bundesliga auf Schweizer Rasen verfolgen wir nun am Fernsehen Jungstars in Deutschland und sogar England. Und statt jahrzehntelang erfolglos einer Qualifikation für eine Euro- oder WM-Endrunde hinterherzuspielen, sind wir enttäuscht, wenn es die Schweiz für einmal nicht schafft.

Vor 25 Jahren hat Robert Kok seine Profikarriere beendet. Der Wandel, der den Fussball seither erfasst hat, ist gewaltig. Wer vor 25 Jahren von einem WM-Turnier in Katar, von 48 Teilnehmern an einer Endrunde und von 222-Millionen-Transfers fantasiert hätte, wäre für unzurechnungsfähig erklärt worden. Innerhalb einer Generation hat die Realität des Fussballs alle Utopien übertroffen.

Der Cup ist nicht tot

Florian Raz am Donnerstag den 24. September 2015
Die Koenizer Spieler jubeln nach ihrem 3:1 Sieg im 1/16 Final Fussball Cup Spiel zwischen dem FC Koeniz und dem Grasshopper Club Zuerich, am Freitag, 18. September 2015, auf dem Sportplatz Liebefeld Hessgut in Koeniz bei Bern. (KEYSTONE/Alessandro della Valle)

Ungebändigte Freude: Die Könizer Spieler jubeln nach ihrem 3:1-Sieg im 1/16-Final gegen den Grasshopper-Club Zürich. Foto: Alessandro della Valle/Keystone

Ich gebe es zu: Ich habe auch schon Artikel geschrieben, in denen es um das Serbeln des Schweizer Cups ging. Steigende Sicherheitskosten für Amateurclubs, die von den Anhängern der grossen Vereine überfordert scheinen. Finalspiele, die nicht ausverkauft sind. Eine Hauptstadt, die es lieber hat, wenn das Endspiel in Basel stattfindet. Und wenn dann YF Juventus sein Heimspiel lieber nach Basel verschiebt, um den ganzen organisatorischen Problemen aus dem Weg zu gehen, ist die Schlussfolgerung schnell gemacht: Der Cup ist tot.

Nun hat es der Zufall so gewollt (oder waren es die reiseunlustigen Arbeitskollegen?), dass ich seit circa 15 Jahren immer auf einem Fussballplatz war, wenn die Teams aus der höchsten Liga in den Wettbewerb eingestiegen sind. Also habe ich mir noch einmal vor Augen geführt, was ich in der Zeit alles erlebt habe:

Ich war im südlichsten Tessin, knapp vor der Landesgrenze, wo die Zuschauer auf einem Erdhang unter der Dorfkirche gestanden sind. Ich war auf einer Matte im Luzernischen, wo das Dach einer Scheune der einzige Unterstand war; und der liebe Mensch, der den Internetanschluss herbeigezaubert hatte, leider nicht mehr wusste, wie das Passwort lautet. Ich bin in der Ostschweiz in einem Lastwagenanhänger gesessen, der uns Journalisten vor Schneeregen geschützt hat und nur einen Nachteil hatte: dass der Wind die Blache immer wieder mal vom Dach geblasen hat, sodass uns einige Spielszenen leider komplett verborgen blieben.

Ich habe gesehen, wie wackere Basler Old Boys den übergrossen Stadtrivalen FC Basel in die Nachspielzeit gezwungen haben. Und wie ein paar Jahre zuvor der Stern von Eren Derdiyok in ebendiesem Stadtderby aufgegangen ist, als ihm der Ehrentreffer für OB gelang. Ich habe erlebt, dass sich Reto Zanni nach einem Assist gegen den FC Liestal Fäuste ballend zur Bank der Gastgeber umgedreht hat, weil sich die Amateure zuvor über seine Flanken lustig gemacht hatten. Ich habe gehört, wie damals noch FCZ-Trainer Urs Meier den Fehler beim Schiedsrichter gesucht und gefunden hat, nachdem seine Mannschaft gegen die Black Stars erst in der Verlängerung gewonnen hatte.

Ich habe Präsidenten erlebt, die strahlend erklärten, dass sie mit den Einnahmen des Spiels gegen einen Super-Ligisten eine neue Garderobe bauen könnten. Und solche, die fast vor Stolz platzten, weil sie im VIP-Talk vor dem Spiel mit FCB-Amtskollege Bernhard Heusler ein paar Worte wechseln durften. Ich sah einen tollen Cup-Fight des FC Wil gegen einen Champions-League-Achtelfinalisten und wie der FC Biel den Schweizer Meister bezwang. Ich hörte den Jubel über das eine Tor des FC Tavannes-Tramelan gegen den FCZ und die Freude aus den Worten all jener Goalies, die mal gegen einen Nationalspieler einen Schuss halten konnten.

Und wie ich mich noch einmal an all das erinnere, bleibt für mich nur eine Schlussfolgerung: Der Cup ist nicht tot. Er lebt. Zumindest in den ersten Runden, in denen Klein auf Gross trifft. Die Endspiele dagegen, ich gebe es zu: Die habe ich meist ausgelassen. Der Zauber des Cupfinals – er schien mir wirklich abhandengekommen. Bis ich in diesem Frühsommer das Glück hatte, mitzuerleben, wie laut geschätzte 20’000 Walliser und Walliserinnen sein können.

Gut, ich spüre, dass ich Sie noch nicht überzeugen konnte. Sind ja auch alles nur subjektive Erzählungen. Also habe ich ein paar Fakten zusammengetragen, die meine zugegebenermassen leicht wacklige Argumentation stützen könnten. Zum Beispiel der Cupfinal Servette – Grasshoppers am 4. Juni 1978: 18’000 Zuschauer waren im Wankdorf. Ausverkauft waren die Finalspiele also auch schon früher nicht.

Und dann noch dies: Die Kleinen scheinen so stark wie kaum einmal! Seit 2012 ist noch jedes Jahr mindestens ein Super-Ligist gegen einen Amateurclub ausgeschieden, der mindestens drei Ligen unter ihm gespielt hat.

Gut, Zahlen überzeugen Sie auch nicht. Dann schauen Sie sich an, wie die Spieler des SV Muttenz reagieren, als sie erfahren, dass sie gegen den FC Basel spielen dürfen:

Emotionale Reaktion auf die Auslosung SV Muttenz – FC Basel. Quelle: Youtube

Der Cup lebt.