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Archiv für die Kategorie ‘EM’

Der böse, böse Jogi

Christian Andiel am Samstag den 30. Januar 2016

Der Beweis: Bundestrainer Joachim Löw (links) will Jérõme Boateng aufs Übelste beeinflussen. Ein Glück für den Verteidiger, dass er von seinem Club geschützt wird. Foto: Keystone

Gut, gibts den Karl-Heinz Rummenigge. Da hat der Chef des FC Bayern aber mal wieder mit aller Deutlichkeit gezeigt, wo im deutschen, ach, was sag ich da: im Weltfussball der Hammer hängt. An der Säbener Strasse in München nämlich. Was erlaubt sich Löw, hat sich der Rummenigge gedacht, als der Bundestrainer einmal mehr eine seiner unverschämten Einmischungen nicht lassen konnte. Löw hatte gesagt, er plane für die Europameisterschaft im Sommer mit Jérõme Boateng, obwohl sich der Bayern-Abwehrrecke verletzt hat und wohl vier Monate ausfällt. Für Rummenigge ist dies logischerweise genau das, was Löw in seinem hinterhältigen Schwarzwälder Hirn ausgebrütet hat. Ein dickes Lob an den designierten Abwehrchef, vielleicht sogar ein Ansporn für Boateng in psychisch schwierigen Zeiten? Ha, so denkt nur ein dummer, naiver Mensch.

Rummenigge weiss natürlich ganz genau: Damit erhöht sich die Gefahr, dass Boateng den Heilungsverlauf beschleunigt, einen Rückfall erleidet und noch länger ausfällt. Löws vermeintliche Hilfestellung ist also nichts anderes als eine raffiniert versteckte Attacke auf den besten Fussballclub des Universums (inklusive Zwergplaneten).

Das klingt zwar nun ein bisschen komisch, weil Rummenigge immerhin Pep Guardiola als Trainer beschäftigt. Und gerade der ist bekannt dafür, dass er Spieler auch dann einsetzt, wenn sie praktisch von der letzten Verletzung her noch am Tropf hängen. Guardiola sagt: «Wenn es heisst, ein Spieler fällt sieben Wochen aus, dann möchte ich, dass es sechs sind.» Es gibt Mediziner, die sagen, dass genau deshalb so viele Spieler – Ribéry, Robben, Thiago – bei den Bayern immer wieder verletzt und nach der «Genesung» auch schnell wieder weg sind. Aber was kümmert das Guardiola? Er arbeitet schliesslich nur bei Clubs mit Unmengen an Geld, die werden doch für Ersatz und Nachschub sorgen können. Und schliesslich hatte Guardiola selbst als Spieler mit der Einnahme von Dopingmitteln bewiesen, was er unter Siegeswillen und Loyalität gegenüber Club und Trainer versteht.

Aber was wir mit diesen Bemerkungen zu Guardiola tun, ist übelste Einmischung in Bayern-interne Vorgänge. Und da versteht Rummenigge so wenig Spass wie bei unmoralischen Angeboten von Löw gegenüber Boateng. Er droht dem DFB, er werde dem Abwehrspieler die Freigabe verweigern. Vielleicht darf ja gar kein Bayern-Spieler mit zur EM. Und wer weiss, vielleicht gehen die Bayern ganz weg aus der Bundesliga, wenn alle immer nur Böses für sie wollen.

Vielleicht spielen sie dann ja nur noch in Katar. Da sind eh alle viel lieber und netter zu den Bayern. Warum heisst denn der Münchner Flughafen nicht «Uli Hoeness Airport», nach dem grössten Wohltäter, den Deutschland  hervorgebracht hat? Warum wird dem Club nicht der deutsche Meistertitel auf Lebenszeit verliehen, damit man sich die mühsamen Reisen nach Darmstadt, Ingolstadt oder Sinsheim ersparen kann (was, nebenbei, auch das Verletzungsrisiko drastisch senken würde)?

Das sind doch alles üble Machenschaften, hinter denen der DFB, dessen Haupt-Scherge Löw, die Lügenpresse und überhaupt die ganze neidgeplagte Welt steht. Aber nicht mit den Bayern! Jetzt schlagen sie zurück. Jetzt setzt Guardiola den Boateng so schnell wieder ein, dass er zur EM und bis weit ins Jahr 2018 ausfällt. Tja, was nun, Jogi Löw?

Pope Francis receives an autographed fottball from Bayern Munich's CEO Karlheinz Rummenigge during a private audience with the soccer team at the Palace of the Vatican in Vatican City, October 22, 2014. REUTERS/Alexander Hassenstein/Pool (VATICAN - Tags: SPORT SOCCER RELIGION) - RTR4B4TZ

Wer dem Papst (rechts) ethische Grundsätze mithilfe eines Fussballs näherbringt, soll sich vom DFB verscheissern lassen? Ha, nicht mit Karl-Heinz Rummenigge! Foto: Reuters

Terror, Zlatan Ibrahimovic und der Flug der Hummel

Florian Raz am Donnerstag den 19. November 2015
Er wars! Zlatan Ibrahimovic darf auch im Sommer 2015 im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen.

Er wars! Zlatan Ibrahimovic darf auch im Sommer 2015 im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen. (Keystone)

Nein, das ist kein guter Einstieg in einen Blogbeitrag. Der Textbeginn müsste sofort klarmachen, dass Sie auf den folgenden Zeilen etwas total Wichtiges erwartet. Sonst sind Sie, liebe Leserin, lieber Leser, weg in null Komma nichts. Gerade jetzt, da in Echtzeit mitverfolgt werden kann, ob in Saint-Denis gerade wieder Jagd auf Terrorverdächtige gemacht wird.

Wenn aber gerade Selbstmordattentäter und Kriegsgeheule die Nachrichten liefern, ist es verdammt schwierig, ausgerechnet einen Fussball-Blog als unverzichtbare Lektüre zu verkaufen. Natürlich, Fussballspiele sind derzeit gerade en vogue als Ziel terroristischer Anschläge. Sport war schon immer gefährdet, von Extremisten in Geiselhaft genommen zu werden. Sei es offiziell wie bei den Nazi-Spielen 1936 in Berlin. Oder durch Anschläge wie in München 1972.

Kein zusätzliches halb gares Geschreibsel

Die Frage ist berechtigt, ob es sinnvoll war, die Partie Deutschland gegen Holland im Vorfeld trotzig zum Symbol zu erklären. Andererseits erkannte der Philosoph Hermann Lübbe schon nach den Anschlägen des 11. September 20o1 in der «Basler Zeitung»: «Wir können ja nicht mit der Normalität des Lebens aufhören – auch schon allein deshalb, weil wir gar keine Einwirkungsmöglichkeiten darauf haben, wie sich das Ganze weltpolitisch entwickeln wird.»

Darum hier nicht noch ein zusätzliches halb gares Geschreibsel über die Attentate von Paris. Welchen neuen Gedanken gäbe es dazu noch zu verfassen? Viele intelligente und mindestens ebenso viele weniger intelligente Menschen haben uns schon ihre Schlussfolgerungen mitgeteilt oder aufgedrängt. Stattdessen also ein Fussball-Blogbeitrag.

Denn die Normalität des Lebens, sie hat am Dienstag tatsächlich bereits wieder stattgefunden. In den letzten Barrage-Spielen zur Europameisterschaft zum Beispiel, in denen Teams darum spielten, im kommenden Sommer nach Frankreich reisen zu dürfen, wo der Staatschef soeben einen Krieg ausgerufen hat. Aber lassen wir das. Schauen wir lieber diesen Freistoss an:

Womit ich an der Stelle wäre, an der ich Michel Platini danken möchte. Immerhin hat er erst ermöglicht, dass wir auf weitere Geniestreiche von Zlatan Ibrahimovic hoffen dürfen. Dieser Ibrahimovic soll ja in seiner Jugend in der schwedischen Banlieue-Nachahmung Rosengård nicht immer den Eindruck einer reibungslosen Integration in die westlich-bürgerliche Gesellschaft hinterlassen haben. Noch heute gefällt sich der Secondo in der Rolle des Enfant terrible.

Aber Platini hat ihm ja auch nicht bei der Integration in die Gesellschaft geholfen. So, wie es keine Berichte gibt, dass er mit seinem Beratersalär von zwei Millionen Franken, das er von Fifa-Präsident Sepp Blatter eingesteckt hat, ein Jugendzentrum in einer französischen Banlieue unterstützt hätte. Warum sollte er auch? Integriert hat er Ibrahimovic, indem er die EM auf 128 Teilnehmer aufgeblasen hat. Moment … Nein, es sind doch bloss 24. Bei 54 Bewerbern – Andorra, San Marino und Gibraltar mit eingerechnet.

Das reichte, damit sogar die Schweden in Frankreich dabei sind. Obwohl sie selbst mit Ibrahimovic und dem GC-Helden Kim Källström in den eigenen Reihen in ihrer Gruppe hinter Österreich und Russland bloss Rang drei belegt haben. Der Rest des schwedischen Teams muss also eine ziemliche Hummeltruppe sein, wie in meinem Dialekt eine unterdurchschnittlich talentierte Mannschaft genannt wird. (Kennen Sie andere schöne Ausdrücke?)

30 Sekunden für den Flug der Hummel

Und nun zur Musik, die Sie vielleicht gleich zu Beginn Ihrer Lektüre dieses Beitrags gehört haben. Es ist Sergei Rachmaninow, der den Flug der Hummel von Nikolai Andrejewitsch Rimski-Korsakow interpretiert. Ich schlage vor, dass Sie sich jetzt knapp eine halbe Minute Zeit nehmen, hier unten erst noch einmal den Hummelflug starten, anschliessend sogleich das Video von Zlatans Zauberschuss.

Lassen Sie das Zusammenspiel von Musik und Flugbahn auf sich wirken. Denken Sie daran, dass Aerodynamiker 1930 ausgerechnet haben, dass eine Hummel eigentlich viel zu fett ist für ihre kleinen Flügel und darum gar nicht fliegen kann. Stellen Sie sich jene Hummeln vor, die davon völlig unbeeindruckt auf über 5000 Metern über Meer am Mount Everest herumsausen, was sie zu den am höchsten fliegenden Insekten der Erde macht. Und staunen Sie, dass erst 1996 mathematisch bewiesen wurde, dass die Hummel doch fliegen kann (Wirbel sind das Stichwort).

Und damit zurück in den News-Strom von Terror und Antiterror.

England the Brave!

Thomas Wyss am Montag den 8. September 2014
Britain Soccer England Norway

Hände hoch: Wayne Rooney feiert seinen Treffer gegen Norwegen, den einzigen des letzten Testspiels. Fotos: Alastair Grant (AP Photo)

Die englische Nationalmannschaft befindet sich in einer «grossen Depression» – und das noch bevor sie mit dem heutigen Spiel gegen die Schweiz in die EM-Qualifikation startet. Dies behaupten zumindest die Medien des Königsreichs, und zwar für einmal nicht nur die treffsicher verletzenden Revolverblätter, sondern auch die BBC oder die «Times».

Britain Soccer England Norway

Luft nach oben: Noch nie kamen so wenige Fans ins Wembley, um die «Three Lions» zu sehen.

Diese erschütternde Diagnose folgte nach dem biederen 1:0 am letzten Mittwoch im Testspiel gegen Norwegen, für das sich – wohl auch wegen der miesen WM-Kampagne mit dem Vorrunden-Out – gerade mal noch 40’000 Anhänger für einen Besuch im Wembley zu erwärmen vermochten. Das knapp halb gefüllte Stadion bedeutete einen tristen Minusrekord: In der Geschichte des englischen Fussballs waren bei einem Match in diesem Fussballtempel noch niemals weniger Zuschauer gezählt worden – ein Faktum, das ein paar Leute zum Hashtag #ThingsBetterThanBeingAtWembleyRightNow inspirierte, die zynische Spontanaktion wurde im Königreich ein grosser Erfolg.

Statt nun in diesen allgemeinen Pöbel-Chor einzustimmen und den Abgesang um ein paar Strophen zu verlängern, wollen wir an dieser Stelle in kurzer Form daran erinnern, was wir der englischen Fussballnationalmannschaft – ja der britischen Fussballkultur im Allgemeinen – seit den 60er-Jahren alles zu verdanken haben. Hier die Top-5-Liste, die selbstverständlich unvollständig ist und nach Belieben verlängert werden darf.

1. Das Elfmeter-Drama. 1990 ein 4:5 im WM-Halbfinal gegen Deutschland, 1996 ein 5:6 im EM-Halbfinal gegen den selben Gegner, 1998 ein 3:4 im WM-Achtelfinal gegen Argentinien, 2004 ein 7:8 im EM-Viertelfinal gegen Portugal, 2006 ein 1:3 im WM-Viertelfinal gegen den gleichen Kontrahenten, 2012 ein 2:4 im EM-Viertelfinal gegen Italien. Ohne den legendären Penalty-Fluch der «Three Lions» wäre Fussball wohl heute noch eine ganz gewöhnliche Sportart.

2. Das Wembley-Tor. Das sogenannte «Wembley-Tor» von England-Stürmer Geoff Hurst am 30. Juli 1966 in der 101. Minute des WM-Finals zwischen England und Deutschland zum zwischenzeitlichen 3:2 ist wohl der berühmteste aller umstrittenen Treffer in der Geschichte der Historie des WM-Fussballs – knapp vor dem Treffer der «Hand Gottes» (dargeboten in irdischer Gestalt von Diego «El Pibe de Oro» Maradona) am 22. Juni 1986 im WM-Viertelfinal zwischen Argentinien, und logo, England.


Das «Wembley-Tor» hat nicht nur den Schweizer Postbeamten und Amateur-Schiedsrichter Gottfried «Godi» Dienst zum berühmten Mann gemacht, es hat auch aufgezeigt, dass es im Fussball niemals nur eine Wahrheit gibt (daran wird auch die moderne Torlinien-Technik nichts ändern). England erzielt Jahrzehnte später nochmals eine Art «Wembley-Tor», und zwar 27. Juni 2010 im WM-Achtelfinal gegen Deutschland durch Frank Lampard. In diesem Fall war der Ball allerdings deutlich hinter der deutschen Torlinie aufgesprungen – was die ganze Welt gesehen hatte – die ganze Welt mit Ausnahme des uruguayischen Schiedsrichters Jorge Larrionda und dessen Landsmann und Assistent Mauriciso Espionsa.

3. Die Fliegenfänger. Wohl noch älter als der Penalty-Fluch ist Englands traditionelles Torhüter-Problem. Wobei die akute und bis heute andauernde Phase der Misere mit Peter Shiltons Fehlgriff begann, der nach einem zwar abgefälschten, aber doch haltbaren Freistoss von Andy Brehme im WM-Halbfinal am 4. Juli 1990 elegant daneben langte. Die Namen anderer englischen Antihelden auf dem Goalieposten sind David Seaman, David James, Paul Robinson – und ja, last but not least die aktuelle Nummer 1 Joe Hart, der auch gern mal in die Luft statt nach dem Ball greift. Kurz und gut: Ohne Englands nationale Fliegenfänger wären die WM- und EM-Spiele (oft bereits in der Qualifikation) nur halb so unterhaltsam, wie sie manchmal sind.

4. Der absurdeste Match. Ebenfalls in die Kategorie «Humor» gehört der nächste Punkt: Der absurdeste Fussballmatch, der jemals stattfand! Obwohl ihn die berühmte britische Komiker-Truppe des Monty Python’s Flying Circus inszenierte, war England selbst nicht daran beteiligt – das Spiel fand nämlich in Form eines Sketches zwischen den grossen Philosophen Deutschlands und Griechenlands statt, notabene anno 1972 im Münchner Olympiastadion.


Beteiligt waren auf deutscher Seite unter anderem Kant, Schopenhauer, Hegel, Wittgestein, Jaspers, Nietsche, Heidegger, Marx und Franz Beckenbauer (!), für die Griechen liefen Denker wie Archimedes, Platon, Sokrates, Aristoteles, Sophokles, Epikur oder Heraklit auf, als Schiedsrichter amtet Konfuzius. Den einzigen Treffer der Partie erzielt Sokrates in der 90. Minute aus Abseitsposition, Nietzsche erhält eine gelbe Karte, nachdem er Konfuzius bezichtigt hat, dass er keinen freien Willen besitze. Erst wer dieses Spiel gesehen hat, weiss, weshalb im und um den Fussball immer so viel diskutiert wird.

5. Geburt des Fangesangs. Wenn es nicht wahr ist, ist es mindestens gut erfunden: Die «Tatsache», dass der modernen Fussballfangesang auf ein im Nebel versunkenes Spiel im Jahr 1963 an der Anfield Road in Liverpool zurückgeht. Wer die Geschichte dazu lesen mag: Hier ein Beitrag aus «11 Freunde», dem führenden deutschsprachigen Fussballkulturmagazin.

England the Brave, alles wird gut! Wer weiss, vielleicht gelingt ja heute Abend in Basel ein diskussionsloser Sieg gegen die Schweiz, der sich danach zu einem geradezu historischen Triumphzug entwickelt, an dessen Ende Wayne Rooney in der Nacht vom 10. Juni 2016 im restlos ausverkauften Stade de France in Paris im Beisein der Queen den EM-Pokal in die Höhe stemmen wird.