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Konstruktiv zu vielen Chischten

Christian Zürcher am Donnerstag den 29. September 2016
Marco Schneuwly of Lucerne reacts after he scored the first goal for 1-0, during the UEFA Europa League third qualifying round first leg soccer match between Swiss Club FC Luzern and Italian Club US Sassuolo, in Lucerne, Switzerland, Thursday, 28 July 2016. (KEYSTONE/Urs Flueeler)

Spiele 8, Tore 7, Quote 0,88: Marco Schneuwly (Luzern) hat am tatkräftigsten an der hohen Trefferquote der Super League mitgewirkt. Foto: Keystone

Schon einmal die Super-League-Tabelle etwas näher betrachtet? Klar, man sollte Vaclik an den Pfosten fesseln, dem Balanta Betonschuhe anziehen und beim Doumbia Eisenplatten in die Hosen einnähen. Basel ist etwas gar überlegen, das stimmt.

Doch das ist hier für einmal nicht das Thema. Denn ein zweiter Blick offenbart, in der Super League werden Tore geschossen, was das Zeug hält. 3,42 Treffer sind es bisher pro Partie, und damit über eine halbe Chischte (nicht zu verwechseln mit den Chischten von Andy R. aus H. mit Ableger bei YB und Weingut in F.) mehr pro Spiel als in europäischen Ligen wie der Premier League, Bundesliga, Primera División et al.

Aber nun fertig mit dem Geschwätz, her mit den Zahlen.

Weil sich die verschiedenen Ligen an unterschiedlichen Zeitpunkten der Meisterschaft befinden, sei hier die Anzahl Spielrunden zum Messzeitpunkt erwähnt.

Bereits vergangenes Jahr schwang die Super League obenaus, wenn auch damals die Differenz noch etwas kleiner war.

Das bringt uns zur Frage: Warum ist das so? Es lassen sich dafür verschiedene Anhaltspunkte finden, aber keine Argumentation, die diese Torhohheit vollends erklärt.

  • In der Super League spielen zurzeit praktisch alle Mannschaften einen konstruktiven Fussball – Toreschiessen, und nicht -verhindern, ist das Ziel. Das beginnt bei Aufsteiger Lausanne. Dessen Trainer Fabio Celestini sagte der NZZ, entweder würden seine Spieler seine Ideen begreifen, oder eben nicht. Das ist mal eine Haltung. Sie führt zu 2:7-Niederlagen wie gegen YB, zu 4:4-Unentschieden wie gegen Thun, aber auch zu 5:0-Siegen wie gegen Vaduz. Weil andere Aussenseitermannschaften wie Lugano, Vaduz oder Thun ebenfalls eine spielbejahende Philosophie pflegen (sie spielen teilweise gar mit Gegenpressing), fallen auch in ihren Spielen zahlreiche Treffer. In anderen Ligen mag das anders sein: Da mauert ein HSV gegen den FC Bayern ein Spiel lang, da setzen finanziell schlechtere Mannschaften den Fokus auf die Defensive und eine gute Organisation.
  • Gute Verteidiger finden ist schwierig und vor allem teuer, das sagen Schweizer Sportchefs immer wieder. Also schauen sie sich im eigenen Nachwuchs oder in der Challenge League um. Das kann gut gehen wie bei einem Fabian Schär oder einem … ja, man tut sich gerade schwer, andere Beispiele zu finden. Vielleicht gilt es noch bei Michael Lang oder Jan Bamert, doch diese Strategie führt zumeist eben doch dazu, dass letztlich die Qualität fehlt. Kommt dazu, dass das Geld tendenziell eher für Stürmer und Mittelfeldspieler investiert wird als für Verteidiger. Die Konsequenz: Die Abwehr ist Mal für Mal überfordert.
  • Eine Kombination aus den beiden oben genannten Punkten ist folgende: Trainer wie Celestini, Tami, Manzo oder mit Abstrichen auch Zinnbauer (halt sehr erfolglos) verfolgen ein offensives Spielsystem, das anspruchsvoll zugleich ist. Weil also die Qualität fehlt, zeigen sich die Abwehrreihen oftmals entblösst, was folgt, sind Fehler und Tore.
  • Wo sind sie nur geblieben? Da wären wir wieder bei Vaclik – die guten Torhüter fehlen: Früher gab es Yann Sommer, Roman Bürki und Beat Mutter. Heute stehen Daniel Lopar, Guillaume Faivre oder Peter Jehle zwischen den Pfosten. Es fehlt ihnen an Liebe zum Arbeitsgerät, immer wieder lassen sie es fallen. Das war nun zynisch. Item. Ich bleibe dabei, früher war alles besser, nur dass heute mehr Tore passieren. Das ist doch auch was.

Was Clooney und Senderos eint

Christian Zürcher am Dienstag den 1. März 2016

December-May-Romance heisst das, was heute besonders gerne Hochglanzzeitschriften ihren Leser präsentieren. Männlein und Weiblein: Der eine steht im Winter, die andere im Frühling des Lebens. George Clooney (54) und Amal Alamuddin (38) etwa. Manchmal auch umgekehrt, wie damals bei Demi Moore und Ashton Kutcher. Aber, Zeitschriftenleser wissen das, das ist die Ausnahme.

Was das mit Fussball zu tun hat? Nun, betrachtet man Sportlerleben als das, was sie sind – nämlich kürzer als normale Leben –, dann bietet auch der Fussball solche Romanzen. Wie vor kurzem im Letzigrund. Es spielte GC gegen Sion. In der Innenverteidigung der Zürcher standen Philippe Senderos (31) und Jan Bamert (17). Vis-à-vis Theofanis Gekas (35, der mit diesen geheimen Ratsecken) und Edimilson Fernandes (19, der Cousin des fleissigen Gelson).

In der Schweiz gibt es noch mehr von ihnen: In Basels Sturm stehen Marc Janko (32) und Breel Embolo (19). Oder eine Liga tiefer, bei Lausanne im Angriff, die Woody-Allen-Soon-Yi-Previn’sche Variante: Walter Pandiani, mit dem für Stürmer fantastischen Künstlernamen el Rifle. Pandiani ist 40 (!). Kollege Andi Zeqiri 16. Als kleine Randnotiz: Woody Allen ist 80 und lebt mit seiner 45-jährigen Frau (und ehemaligen Adoptivtochter! Das gibt es tatsächlich) Soon Yi zusammen.

Die Age-Gap-Forschung (auch die gibt es), sagt, dass die Lebenszufriedenheit von Age-Gap-Paaren diejenige von Paaren ohne grossen Altersunterschied übersteigt. GC-Captain Källström (auch er 33) bewundert, wie abgeklärt Bamert spielt: «Das ist gut für ihn, gut für uns.» Senderos sieht zwar glücklich aus, will nach Spielen aber jeweils nicht sprechen, Bamert meidet noch den Kontakt mit den Mikrofonen.

Stattdessen weiss die Theorie viel zu berichten. Die Colorado State University in Fort Collins untersuchte im Jahr 2011 in einer Studie Age-Gap-Paare und kam zum Schluss, dass diese sich als vertrauenswürdiger, weniger eifersüchtig und weniger eigennützig als andere Paare beschreiben. Das macht Sinn, auch im Fussball. Der Alte muss sich nicht mehr beweisen, und der Junge darf vom Alten profitieren. Der Alte fühlt sich geschätzt (und vielleicht etwas jünger). Er gibt sein Wissen weiter und weiss: Heute, das ist die gute alte Zeit von morgen.

In der Fachsprache wird dann gerne von erhöhter Reflexion gesprochen, was wiederum Stabilität bedeute. Eben: GC hat gegen Sion kein Tor kassiert. Die Innenverteidigung mit Senderos und Bamert war äusserst … stabil halt.

Freiräume sind in solchen Beziehungskisten besonders wichtig. Einander Hobbys gönnen, getrennte Zimmer, Zweitmänner und so weiter. Praktiker wissen, es ist ein Balanceakt. Die Alten Källström und Senderos bekamen etwa vergangene Woche ein Sonderprogramm. Die Mannschaft musste sich draussen in der Kälte abmühen, die beiden Routiniers durften im warmen Fitnessraum bleiben.

GC stark, Basel stark, Lausanne stark – angesichts derart schlagfertiger Argumente muss man unweigerlich zur Konklusion kommen, dass solche Age-Gap-Beziehungen auch im Fussball ganz doll sein können.

Leider kämpfen solche Paare in unserer Gesellschaft oftmals gegen Klischees. Etwa: Altes Männlein will optimieren und nimmt sich ein noch jüngeres Weiblein. Im Fussball stellt sich dieses Problem Gott sei Dank selten. Paare werden vom Trainer arrangiert. Dazu eine letzte Anmerkung: Arrangierte Paare sind in der Beziehungsforschung dann wieder ein anderes, ganz grosses Thema, meist mit der Kernfrage: Kann man sich so lieben? Dazu ein niedliches Fallbeispiel: Herr Xhaka und Herr Steffen. Es scheint, man kann.

Der FCZ sucht richtige Männer

Christian Zürcher am Dienstag den 6. Oktober 2015
Hannu Tihinen, rechts, Captain des FC Zuerich, laesst nach einem Zusammenstoss seine Nase behandeln, im Sechzehntelfinal des Schweizer Cups zwischen dem FC Zuerich und dem FC Locarno, am Samstag, 17. Oktober 2009 im Letzigrund Stadion in Zuerich. (KEYSTONE/Steffen Schmidt)

Typen wie Hannu Tihinen fehlen nicht nur dem FCZ. Foto: Steffen Schmidt (Keystone)

Im Romanklassiker «Der Baron auf den Bäumen» knüpft der auf Bäumen lebende ligurische Adelsjunge Cosimo ein unbeschriebenes Heft mit einer langen Schnur an einen Baum.

Nun, das Heftlein war aufgeknüpft, und Cosimo teilte den Dorfbewohnern mit, das Buch sei da für die guten Dinge, schreibt auf eure Wünsche! Also kritzelten diese in das Heft allerhand Zeugs. Einer schrieb von einem Kuchen, ein anderer von einer Gemüsesuppe, einer sehnte sich nach einer Blonden, ein anderer nach zwei Brünetten, einer wollte das ganze Jahr Pilze sammeln, ein anderer hätte sich liebend gern mit einer Ziege vergnügt. Kurzum, alles Gute, was es auf der Welt gibt, wurde in diesem Büchlein niedergeschrieben.

Nun stelle man sich vor, am Schanzengraben aus dem Büro von FCZ-Präsident Canepa würde ein ähnliches Heftchen hängen, alle Anhänger des FC Zürich könnten ihre Wünsche vorbringen. Einer würde schreiben, er plange nach einem vollen Letzigrund, ein anderer nach weniger, dafür treffsicheren Stürmern, einer will einen Linksverteidiger, ein anderer wiederum einen fehlerresistenten Innenverteidiger, einer blättert durch das Heftlein und kommt zum Schluss, die Wünsche drehten sich um Personalien, ein Sportchef müsse also her. Das Büchlein würde populär, so populär, dass gar Spieler ihre Gedanken niederschrieben: Am vergangenen Wochenende wäre es etwa FCZ-Captain Chiumiento gewesen, er sagte, er vermisse beim FCZ «die Typen», «die richtigen Männer auf dem Platz».

Wie früher Teixeira und da Costa. Oder noch etwas früher Tihinen, vielleicht auch Magnin und Filipescu. Bei anderen Schweizer Vereinen waren das van Eck, Streller, Zuberbühler, Yakin oder Lehmann – um ein paar zu nennen. Und heute? Sie fehlen. Es gibt in der Super League vielleicht mit Salatic einen Dreiviertel-Typen, mit Nef einen Zweidrittel-Typen, mit Källström ein Vorbild, mit Steffen einen Heiss­sporn. Aber echte Typen? Wo sind sie nur geblieben?

Natürlich. Früher war vieles per se viel besser. Doch das heutige System ist mitunter verantwortlich für den Verfall der Charaktere. Hier das strengere Bestrafungswesen der Clubs. Dort die Medien, die Wörter von Teenagern auf Goldwaagen legen. Clubs stellen Medientrainer an, in Internaten werden die Fussballer auf Angepasstheit getrimmt. Den Profis wird vieles abgenommen, sie werden mehr kontrolliert, sie werden brav – wie wollen sie da «richtige Männer» werden?

italo

Das Cover des Büchleins.

Und so wird aus der Typenfrage wieder eine Personalfrage. Vermag man sie nicht mehr auszubilden, muss man sie halt suchen und verpflichten. Und so blättert wieder ein FCZ-Anhänger durch das Buch am Schanzengraben und kommt zum Schluss, ja, der eine Vorschreiber hat recht: Es braucht einen Sportchef.

Aber da fällt uns wieder ein, was am Ende aus Cosimos Wunschbüchlein wurde. Es ist vermodert.