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Tuchel ist der Beste

Christian Andiel am Donnerstag den 15. Dezember 2016

In der Premier League tummeln sich die angesagtesten Trainer. Und es tut sich dementsprechend einiges. José Mourinho spielt bei Manchester United längst wieder sein altbekanntes Spiel: Ich lege mich mit allen ausserhalb meiner geliebten Mannschaft an, ich benehme mich daneben, damit aller Zorn, alle Abneigung auf mich fokussiert ist. Und wenn dann die Spieler für ihn durchs Feuer gehen, kann das für kurze Zeit sogar aufgehen. Pep Guardiola ist bei Manchester City noch ungleich schneller in die Kritik geraten als in den letzten Monaten seiner Zeit bei Bayern München. Seine Art, die so selbstherrlich und besserwisserisch klingt, kommt in England noch weniger an, zudem kassiert seine Mannschaft haufenweise Gegentore. Dass er im Training keine Tacklings üben lässt, nehmen ihm die Insel-Raubeine übel. Abgesehen davon, dass das tatsächlich einer der dämlichsten Vorwürfe ist, den ich je gehört habe, abgesehen davon, dass es eher erstaunlich ist, wie weit Guardiola den verhätschelten Sauhaufen von Manchester City eigentlich schon gebracht hat – die englische Presse wird nicht so lange so schleimerisch hörig alles für Gottes Wort halten, was er von sich gibt.

Wird also spannend, mitzuverfolgen, wie es bei den beiden Manchester-Clubs weitergeht. Wie sich Jürgen Klopp bei Liverpool hält, wenn Goalie Karius weiter nicht die nötige Souveränität ausstrahlt, wenn Klopp sich noch häufiger mit bewährten Kämpen wie den Neville Brothers anlegt. Am souveränsten war bislang der Auftritt von Chelsea unter dem italienischen Temperamentbolzen Antonio Conte, der es offenbar sogar geschafft hat, den normalerweise unsäglichen Diego Costa zu bändigen und ihm seine ewigen Provokationen auszutreiben. Wie der Spanier bei West Brom den einzigen nennenswerten Fehler des Gegners ausnutzte, wie er dann den Ball im Netz versenkte – das war schlicht grossartig.


Jürgen Klopp legt sich mit den Neville Brothers an. Quelle: SportingLife/Youtube

Und doch – trotz aller tollen Geschichten rund um die Premier-League-Coaches: Am spannendsten finde ich mittlerweile Thomas Tuchel. Der hat sich in relativ kurzer Zeit eine Position erarbeitet und erredet, die vor ihm zumindest in der Bundesliga keiner innehatte. Klopp ist der geborene Rhetoriker, ein Meister des scharfen Wortes. Guardiola war der Taktik-Gott, der aber kaum einmal etwas von Bedeutung sagte, weil er lieber gar nicht redete mit Leuten, die nicht auf seinem intellektuellen Niveau sind (also eigentlich niemand). Jupp Heynckes war ein so sympathischer wie langweiliger weil stets korrekter Coach, Otto Rehhagel eigentlich gerade dem Ende entgegen ein Kasper.

Tuchel hat irgendwie von allen etwas. Wie er seine Mannschaft nach dem 1:2 in Frankfurt öffentlich zusammenfaltete, das war gegen alle Regeln der inneren Gemeinschaft eines Teams. Wie er eine Woche später, nach dem glorreichen 4:1 gegen Gladbach, sagte: Dies sei nicht das Resultat seiner Brandrede gewesen, sondern einfach der Tatsache geschuldet, dass er vor diesem Spiel eine komplette Trainingswoche gehabt habe mit den Spielern, ungestört von internationalen Einsätzen. Tuchel legt sich mit Kollegen an und rechnet ihnen vor, wie viele Fouls ihr Team gegen die Borussia begangen hat. Wirkt das ein bisschen nach Oberlehrer? Klar, aber was solls, die Fakten geben ihm recht.


Tuchels Brandrede nach der Niederlage in Frankfurt. Quelle: hrfernsehen/Youtube

Wenn man Interviews von Tuchel hört, Pressekonferenzen, dann spürt man die unbändige Lust, den Fussball in allen seinen Details zu sezieren, und zwar mit den Menschen, die gerade da sind. Klar, das lässt die Zeit nicht zu, aber Tuchel ist kein abgehobener Typ, er brennt vor Leidenschaft, er ist ein Taktikfuchs und Menschenversteher. Er ist noch jung, und er wird Fehler machen. Aber ich freu mich schon enorm darauf, ihm dabei zuzusehen. Und danach miterleben zu dürfen, wie er alles wieder gut und noch viel besser macht.

Hat die Schweiz eine grosse Mannschaft?

Christian Andiel am Mittwoch den 12. Oktober 2016
Switzerland's players cheer after winning the 2018 Fifa World Cup Russia group B qualification soccer match against Hungary in the Groupama Arena in Budapest, Hungary, on Friday, October 7, 2016. (KEYSTONE/Georgios Kefalas)

Grosse Emotionen, grosse Mannschaft? Die Schweizer feiern nach dem tollen 3:2 in Ungarn mit den Fans. Foto: Keystone

Es war ein grosser Satz, und er hatte mit grossen Mannschaften zu tun. Nach dem hochdramatischen Sieg der Schweizer in Ungarn sagte SRF-Moderator Rainer Maria Salzgeber: Es sei doch das Zeichen grosser Mannschaften, dass sie eben auch Spiele gewinnen, in denen sie nicht unbedingt besser gewesen seien als der Gegner und möglicherweise ein bisschen Glück nötig gewesen sei.

Nun legten die Schweizer zwar ein paar Tage später in der WM-Qualifikation in Andorra mit drei Punkten nach, ihre Bilanz in der WM-Qualifikation ist makellos. Dennoch sei hier die Behauptung gewagt: Das aktuelle Schweizer Nationalteam ist keine grosse Mannschaft.

Aber das ist nicht als Vorwurf an Salzgeber gedacht. Im Moment des heftigen Adrenalinschubs kann so etwas passieren. Und schliesslich leben wir in Zeiten des Superlativs, das Produkt Fussball ist teuer, es muss verkauft werden, dabei hilft himmelhoch jauchzend genauso wie zu Tode betrübt.

Was macht eine grosse Mannschaft aus?

Wenn ich nun aber die Schweiz nicht zu den grossen Mannschaften zähle, wen dann? Momentan eigentlich niemanden. Nicht einmal den aktuellen Weltmeister (also «Die Mannschaft»), obwohl das meine Landsleute sind und sie gegen Tschechien und Nordirland auch ganz gut gespielt haben. Aber «eine grosse Mannschaft»? Ich sehe gerade keine, auch auf Clubebene nicht.

Fragen wir anders: Was macht eine grosse Mannschaft aus? Sie muss eine Epoche prägen, nicht nur ein grosses Turnier. Sie muss grosse Spieler- und Trainerpersönlichkeiten hervorbringen. Also war für mich die letzte «grosse Mannschaft» das Spanien von Xavi und Iniesta mit den WM- und EM-Titeln zwischen 2008 und 2012; der FC Barcelona von ebenfalls Xavi und Iniesta, dazu Messi; natürlich Manchester United in der Ferguson-Ära, allein schon wegen ihm, wegen der Wucht des Auftritts; die AC Milan mit Arrigo Sacchi und dem Holland-Trio Gullit, Rijkaard, van Basten.

Vielleicht hat Salzgeber doch recht

Es bleibt der Eindruck, dass es in den 60er-, 70er-und 80er-Jahren mehr von diesen dominanten Teams gab: Ajax, Bayern, Liverpool, Juventus, Real, Brasilien, Deutschland. Wobei ich mich schon mit dem deutschen Team schwertue: Es wurde 1972 Europa- und zwei Jahre später Weltmeister – aber hat es die Epoche taktisch wirklich geprägt, mit innovativem Fussball? Das waren damals eher die Niederländer (siehe auch Ajax und Bayern). Wenn dieser Eindruck stimmt: Ist es heute schwieriger, eine ganze Ära derart zu prägen wie zuletzt Spanien? Hat sich der Fussball in seiner Breite so stark verbessert, dass die Ausgeglichenheit eine eindeutige Dominanz verhindert?

Vielleicht lege ich aber auch die ganz falschen Parameter zugrunde und es genügen ein paar nationale Meistertitel in Folge, um unter die grossen Mannschaften gereiht zu werden. Es würde mich schon interessieren, wie das andere sehen, welche Versäumnisse mir bei der Namensnennung unterlaufen sind, welche Kriterien ich unterschlagen oder falsch bewertet habe. Und vielleicht hat am Ende ja doch Salzgeber recht.

Geldgeil ohne Ende

Christian Andiel am Donnerstag den 22. September 2016
Barcelona's Lionel Messi, right, scores his second goal past Bayern's goalkeeper Manuel Neuer during the Champions League semifinal first leg soccer match between Barcelona and Bayern Munich at the Camp Nou stadium in Barcelona, Spain, Wednesday, May 6, 2015. (AP Photo/Emilio Morenatti)

Neuer gegen Messi – das lockt Fans, Sponsoren und das Geld. Aber immer nur Neuer gegen Messi… Foto: Keystone

«Der Teufel scheisst auf den grössten Haufen.» Gewohnt prägnant brachten es die Autoren des Dortmunder Fanzines «Schwatzgelb» wieder mal auf den Punkt. Dabei gings nun für einmal sogar nicht um das im Ruhrpott besonders ungeliebte Bayern München, zumindest nicht explizit. Es ging um nichts weniger als «ein Gespenst, das im europäischen Fussball umgeht», wie die Kollegen von «11 Freunde» schreiben. Es geht um eine europäische Superliga, die schon seit längerer Zeit droht, die der Champions League das Wasser abgraben soll und den reichsten Clubs ihren Status auf immer und ewig zusichern soll.

Bei der Uefa macht man sich grosse Sorgen, für den neuen Präsidenten Aleksander Ceferin wäre eine Superliga ein «Krieg gegen die Uefa» – und meint damit ihre wichtigste Einnahmequelle Champions League. Die grossen spanischen, italienischen und deutschen Clubs hingegen sehen ihre Chancen schwinden gegenüber den zunehmend zahlungskräftigeren Clubs in England. In der Bundesliga kommt erschwerend die «50+1»-Regel hinzu, kein Besitzer darf mehr als 50 Prozent der Anteile eines Vereins besitzen. Das ist zwar inoffiziell längst hinfällig (siehe Wolfsburg, Leverkusen, Hoffenheim, Leipzig, Hamburg), dennoch hält es hochpotente Investoren aus Asien, Saudiarabien und Russland bislang ab.

Die perfekte Drohkulisse

Eine Superliga also soll es richten. Real und Bayern, Barcelona und Chelsea, Juventus und Manchester City fortan nur noch unter sich. Das soll für Spektakel sorgen, für TV- und Werbeeinnahmen. Funktioniert das auf Dauer? Bleibt es wirklich ein Spektakel ohne die heimische Liga, ohne die frechen «Kleinen», ohne zumindest mögliche Sensationen?

Vermutlich nicht. Und das wissen die Abramowitschs und Rummenigges, und sie werden dieses Risiko nicht ohne Not eingehen. Denn eines sind sie alle: geldgeil ohne Ende. Und sie wissen mit Macht umzugehen. Die Diskussionen um die Superliga sind deshalb in erster Linie als Drohung zu verstehen. Gegenüber der Champions League. Es wirkt. Gerade eben wurde der Modus wieder den Wünschen der Reichen angepasst: Ab 2018 gehören den vier Verbänden Spanien, Italien, Deutschland und England 16 der insgesamt 32 Startplätze fix. Das heisst unter anderem, dass zum Beispiel der Schweizer Meister keinen festen Startplatz mehr hat. Zudem wurde der Verteilschlüssel der TV-Einnahmen in der Champions League weiter zugunsten der Grossen verändert.

Grenzenloser Zynismus

Und wenn damit der Fussball – auch ohne europäische Superliga – irgendwann kaputt geht, weil kein System überlebt, das derart aus dem Gleichgewicht ist? Was bitte soll das die Mächtigen und Reichen kümmern, die haben ihre Millionen und Milliarden längst gesichert. Dass Rummenigge beim Lob über die neuen Vereinbarungen von «Solidarität mit den Kleinen» sprach, ist schon zu frech und zynisch, als dass man es noch kommentieren könnte.

President of the Football Association of Slovenia and candidate for the UEFA presidency Aleksander Ceferin speaks during an interview with Reuters in Athens, Greece September 13, 2016. REUTERS/Alkis Konstantinidis - RTSNI92

Uefa-Präsident von Mutkos Gnaden: der Slowene Aleksander Ceferin. Foto: Reuters

Denn es wird immer weitergehen. Irgendwann fragen sich die Reichen zum Beispiel: Ja, warum sind wir eigentlich nicht immer für die Achtelfinals gesetzt? Prompt bauen sie die Drohkulisse Superliga wieder auf. Schwupps, schon wirds von der Uefa umgesetzt. Dass sich deren neuer Präsident Ceferin auf ein Netzwerk des nun wirklich mehrfach schwer diskreditierten russischen Sportministers Witali Mutko stützt, sagt eigentlich auch schon alles über die moralische Integrität des europäischen Fussballverbandes der «Nach-Platini-Ära». Einer wie Ceferin weiss, wies geht im Milliardengeschäft, Sätze wie der mit dem Krieg gegen die Champions League darf man getrost als Funktionärs-Gewäsch abtun. Mit ihm an der Uefa-Spitze müssen sich Abramowitsch, Rummenigge & Co. keine Sorgen um die Umsetzung ihrer Gier und Machtgelüste machen.

High Noon im Old Trafford

Christian Andiel am Donnerstag den 8. September 2016
epa03066085 Real Madrid's Portuguese head coach Jose Mourinho (L) greets FC Barcelona's head coach Josep Guardiola (R) moments before their Spanish King's Cup quarterfinals first leg soccer match at Santiago Bernabeu stadium in Madrid, central Spain, on 18 January 2012. EPA/KIKO HUESCA

Männerfeindschaft: José Mourinho (links) und Pep Guardiola beim Cup-Viertelfinal Real – Barcelona im Januar 2012. Foto: Keystone

Geben sie sich die Hand? Schauen sie einander in die Augen? Am Samstag zur Mittagszeit ist es so weit, in Manchester treffen José Mourinho und Pep Guardiola erstmals nach mehr als vier Jahren wieder aufeinander. High Noon ist um 13.30 Uhr zwar grade durch, aber es wird ein Duell, das die eh schon aufgeladene Atmosphäre in der Premier League ein erstes Mal so richtig zum Kochen bringt.

Mourinho und Guardiola sind sich gegenseitig in tiefster Abneigung zugetan, dabei arbeiteten sie einst vier Jahre in Barcelona zusammen: Guardiola als Captain, Mourinho als Assistent der Chefcoachs Bobby Robson und Louis van Gaal. Es ist das Duell zweier Männer mit überbordendem Ego und manchmal schon furchterregenden Rattenfänger-Mentalitäten. Und es ist das Duell zweier komplett unterschiedlicher Systeme: Guardiolas Ballbesitz-Fussball gegen Mourinhos Abwarte- und Kontertaktik.

Jetzt stehen sie sich nach Champions League und Primera División erstmals in der Premier League gegenüber. Guardiola wird gerne an den ersten Clásico denken, als er im November 2010 mit Barça Mourinhos Real beim 5:0 demütigte. Mourinho vor allem an das 3:1 mit Inter im Halbfinal der Champions League im April 2010. Barcelona hatte wegen des Vulkanausbruchs auf Island die Reise nach Italien im Bus zurücklegen müssen, nach dem 1:0 im Hinspiel erklärte Guardiola die Niederlage mit diesen Strapazen. Mourinho hat ihm diese «Ausrede» nie verziehen, er fühlte sich im Stolz nach einem starken Auftritt seiner Mannschaft tief verletzt.

Es geht wieder los, und das im «Theatre of Dreams» der United. Beide bislang ohne Verlustpunkt, beide mit der optimalen Ausbeute nach drei Partien. «Game of Thrones» titelte der «Observer» am Sonntag in seiner Vorschau auf die Partie. Und erinnerte an das 6:1 der City vor fünf Jahren beim Spiel im Old Trafford. Es war die schlimmste Heimpleite für ManU nach mehr als einem halben Jahrhundert.

«Ich bin schwul!»

Christian Andiel am Donnerstag den 1. September 2016

Das wird die Beste aller bisherigen Bundesliga-Saisons. Nicht weil doch Dortmund Meister wird, nicht weil Köln mit einem ganz neuen, revolutionären Spielsystem endlich wieder in den Europacup kommt, auch nicht, weil die roten Bullen aus Leipzig gleich wieder absteigen. Nein, die Saison wird deshalb so wichtig und zukunftsweisend, weil sich erstmals ein aktiver Bundesliga-Promi als schwul outet. Dass dies einmal passieren wird, war immer klar. Nur, wann, das ist die Frage. Marcus Wiebusch, Frontmann von Kettcar, hat auf seinem Soloalbum einen tollen Song dazu geschrieben und ein starkes Video gedreht.


Der Song und das Video zum Thema: Marcus Wiebusch, «Der Tag wird kommen!». Quelle: Grand Hotel van Cleef/Youtube

Thomas Hitzlspergers Bekenntnis war der letzte vorletzte Schritt. 2014 äusserte sich der ehemalige Nationalspieler zu seiner Homosexualität. In seinem sehr lesenswerten Interview mit der «Zeit» wird auch klar, warum er damit bis nach der Karriere wartete. Von «Soziopathen» war da die Rede, davon, dass Homosexualität im Fussball «schlicht ignoriert wird. In England, Deutschland oder Italien ist das kein ernsthaftes Thema, nicht in der Kabine jedenfalls.» Von Schwulen-Witzen unter Fussballern, Gruppenzwang, vom langwierigen und schwierigen Prozess.

Aber jetzt ist es soweit. Während der aktuellen Saison wird ein prominenter Spieler oder Trainer den Mut haben, dieses Thema ein für allemal zu erledigen und zu sagen: «Ich bin schwul!» Ich werde jetzt hier den Teufel tun und mit Namen spekulieren, wer es sein könnte. Genau diese Mutmassungen sind nämlich schon ein Grund, warum viele Menschen so grosse Probleme haben, sich zu outen. Getuschel, schiefe Blicke, blöde Sprüche. Da wird einem immer wieder klar, wie wichtig die «richtige» sexuelle Orientierung für viele andere ist – und natürlich wissen nur genau diese Leute, was «richtig» ist.

Wie reagieren die Fans?

Gut deshalb, dass jetzt einer dieses Tabu bricht. Und gespannt dürfen wir sein, wie die Fans reagieren. Sie, die sich doch so gerne als die Wahrer des Fussballs sehen. Passen Homosexuelle ins Weltbild der diversen «Fronten» und anderen gewaltbereiten Gruppierungen? Und wehren sich die übrigen Fans dann für die mutige Minderheit, oder machen es die meisten, wie sie es sonst auch handhaben: Ein bisschen mitlaufen, ein bisschen mitgrölen, ein bisschen mitmischen, es aber doch irgendwie gar nicht so meinen, wenns dann wirklich mal aus dem Ruder läuft?

Wie auch immer: Es wird eine grandiose Saison. Wegen eines kurzen Satzes, der nur diejenigen stört, die eh nichts in der Birne haben und vor lauter Hass nicht wissen, wohin mit sich. «Ich bin schwul.» Klingt so einfach – und ist im Fussball immer noch so schwierig.

Fussball ist alles - auch schwul! (Getty Images)

Und der Tag wird kommen: Denn Fussball ist alles – auch schwul! (Getty Images)

Das Schreckgespenst der Bundesliga

Christian Andiel am Donnerstag den 25. August 2016

Was war das für ein grandioser Tag für die Fussballromantiker und die unermüdlichen Kämpfer für das Gute und Ehrliche. Dynamo Dresden, der Club mit der grossen Tradition und der erklecklichen Zahl an schwer gewaltbereiten Fans, schmiss das höherklassige Team von RB Leipzig hochkant aus dem DFB-Pokal. Ach, was jauchzte da das Herz des wahren Fans, als der verhasste Club des Brauseherstellers aus Österreich unterging. Und was wird für ein Gefeixe geherrscht haben, als Dynamo-Fans den abgeschlagenen und blutigen Kopf eines echten Bullen auf die Laufbahn ums Spielfeld geworfen haben. Unappetitlich sind schliesslich immer nur die anderen, nie man selbst. (Kurze Frage an die Chefs von Dynamo: Wie bringt man unbeobachtet einen Bullenkopf ins Stadion?)

Keine Frage: Es gibt Punkte, die abstossen bei Rasenball Leipzig, dem milliardenschweren Spielzeug von Red-Bull-Boss Dietrich Mateschitz. Die Vereinsstruktur ist so gestaltet, dass es nur eine Handvoll «Mitglieder» gibt, deren einzige Aufgabe es ist, die Alleinherrschaft von Mateschitz nicht infrage zu stellen. Als bei Servus TV, einem anderen Mateschitz-Projekt, Mitarbeiter mit der Gründung eines Betriebsrates drohten, kündigte der öffentlichkeitsscheue Machtmensch für diesen Fall prompt die Schliessung des Senders an. Es gibt Servus TV noch, einen Betriebsrat gibt es nicht. RB Leipzig holt zudem mit den Milliarden, die zur Verfügung stünden, nicht gestandene Stars, sondern eher junge Spieler mit Perspektive – machen damit aber den deutschen Markt für Talente ziemlich kaputt.

Der Stil von Ralf Rangnick

Das ist alles höchst unangenehm. Und einige Kritiker sagen, zumindest die Sache mit der Mitgliederstruktur hätte von der Liga als Grund genommen werden können, um RB Leipzig den Aufstieg zu versagen. (Ich bin da skeptisch, Leute wie Mateschitz haben immer die besseren Anwälte.) Aber Fakt ist: RB ist jetzt oben angekommen, und sie werden vieles tun, um irgendwann in die Champions League zu kommen und um den Meistertitel mitzukämpfen. Und sie werden das unter der Ägide von Sportchef Ralf Rangnick so tun, wie er es schon beim vergleichbaren Projekt in Hoffenheim pflegte: mit vor allem jungen Spielern, die einen begeisternden, offensiven Stil pflegen.

Nur: Ist das böse? Darf Mateschitz sein Geld nicht dort einsetzen, wo er will? Natürlich ist er ein Kotzbrocken, aber ist Martin Kind, der selbstherrliche Boss in Hannover, ein Sympathieträger? In Hamburg gibt es den schwerreichen Sponsor Klaus-Michael Kühne, der immer dann einen teuren Spieler kauft, wenn der Abstieg droht. Ohne Kühne geht nichts beim HSV, das offizielle Budget ist absurd, der Club ist faktisch in seiner Hand. Wo sind die Proteste, und wer stellt die heiklen Fragen, wenn die Relegation durch einen restlos absurden Schiedsrichterentscheid zugunsten der Hamburger ausgeht?


Freiburgs Trainer Christian Streich über die Qualitäten und Möglichkeiten von RB Leipzig. Quelle: Badische Zeitung / Youtube

Die Macher in anderen Vereinen sind besorgt. Das ist klar. Freiburgs Coach Christian Streich verweist auf die unbegrenzten Möglichkeiten im finanziellen Bereich, geleistet von einem Mäzen, der wieder weg ist, wenn er die Lust verliert. Streichs Kollege bei St. Pauli, Ewald Lienen, erklärt, warum man einst auf der Website das Firmenlogo zensiert habe, «wir machen keine Werbung für diesen Konzern». Auch dank Red Bull Leipzig ist in der gesamten Szene die Diskussion über die verrohten Sitten im Fussball ausgebrochen. Am Sonntag sagte zum Beispiel Marcel Reif im «Doppelpass» auf Sport 1 im Zusammenhang mit dem Transferwahnsinn, er habe Bedenken, «dass das eine Art der Kultur wird, mit der möchte ich nichts mehr zu tun haben». Machen Sie sich als Reif-Fan nun aber bitte nicht zu viele Sorgen. Er bleibt uns (Gott sei Dank!) erhalten, denn auch Reif wurde reich und berühmt als Mitglied des Showbusiness Fussball, das nun in der Bundesliga als vorläufigen Höhepunkt all der Entwicklungen der vergangenen Jahre den Aufstieg von RB Leipzig erlebt hat.


Ewald Lienen (St. Pauli) erklärt, warum eine Zensur nötig war. Quelle: Deutschland sagt Nein zu RB Leipzig / Youtube

Immerhin haben die Fans wieder einen klaren Feind, nachdem Bayer Leverkusen, VW Wolfsburg, SAP Hoffenheim und Audi Ingolstadt längst normal und akzeptiert sind. Die Vorbereitungen zu Protest und Randale laufen auf Hochtouren, gebündelt bei Facebook unter «Deutschland sagt Nein zu RB Leipzig». Da heisst es zum Beispiel: «Dann gibt es noch das Argument ‹Hinfahren und Bude abreissen› wie einst Hansa Rostock. Aber aufgrund des Sicherheitswahns in Leipzig ist das nicht mehr möglich.» Und das ist dann wirklich frech von Mateschitz und seinen Schergen in den Institutionen. Da schaut die Polizei bei heftiger Randale nicht einfach zu, sondern wappnet sich und will in der Tat sogar dagegen vorgehen. Danke, RB Leipzig, kann der wahre Fan da nur sagen, euretwegen müssen wir tatsächlich unter dem Sicherheitswahn leiden.

Der Kümmerer

Christian Andiel am Donnerstag den 18. August 2016


Schlechte Neuigkeiten für (fast) alle Fussballfans: Bayern wird in der kommenden Saison das Triple holen. Das lässt sich deshalb nicht vermeiden, weil das ohnehin starke Kader nun von einem Trainer betreut wird, der nicht sich, sondern die Spieler in den Vordergrund stellt. Carlo Ancelotti hat bei allen seinen bisherigen Stationen bewiesen, dass er ein unglaubliches Gespür für die Menschen um sich herum hat. Er ist ein gewiefter Taktiker, aber er stellt nicht sein Denken, seine Ideen über alles und verliert dabei den Respekt vor den Fähigkeiten des Gegners. Ancelotti ist also nichts weniger als ein Anti-Pep, er erinnert vielmehr an Jupp Heynckes, den Vorgänger von Guardiola. Und was war das Erbe jenes ehrgeizigen, erfahrenen, bescheidenen, sympathischen Heynckes? Genau, das Triple.

In einer lesenswerten Biografie mit dem passenden Titel «Quiet Leadership – Wie man Menschen und Spiele gewinnt» (für eine Leseprobe klicken Sie bitte hier) bringt uns Ancelotti sein Denken nahe, er erzählt von seinem Leben, von seiner Kindheit in sehr einfachen Verhältnissen. Der Vater war Bauer, die Familie lebte von der Herstellung von Parmesankäse. 50 Prozent der Einkünfte mussten an den Eigentümer des Landes abgegeben werden. Ancelotti hat seine Herkunft nie vergessen, und dennoch kann er mit den Superstars der restlos überteuerten Fussballwelt so umgehen, dass einer nach dem anderen im Buch eine wahre Lobeshymne auf den ehemaligen Trainer abgibt: «Er ist ein unglaublicher Mensch» (Cristiano Ronaldo), «Er ist der beste Trainer aller Zeiten» (Zlatan Ibrahimovic), «Für mich ist er das Nonplusultra» (John Terry), «Für mich ist er ein Freund, und ich vermisse ihn» (Paolo Maldini).

Lächerliche Gesten sind ihm fremd

Bei Ancelotti muss Thomas Müller nicht bis nach dem allerletzten Spiel nach drei Jahren warten, ehe er sagt, nun habe der Trainer endlich Mensch sein können, wie er das bei Guardiola tat. Und was nur zeigt, wie sehr sich der Katalane selbst überhöht hat und wie das Umfeld diese Hybris übernommen hat. Ancelotti liebt den Fussball, aber er wird ihm nie wichtiger sein als die Menschen um ihn herum. Paul Clement, sein langjähriger Wegbegleiter als Assistent, sagt: «Carlo ist ein Kümmerer.» Dass ihm das immer wieder als Schwäche ausgelegt wird, dass er zu weich und nachgiebig im Umgang mit Spielern sei, das zeigt nur eines: wie dämlich Mächtige und Entscheider im Fussball halt zumeist sind.

Die Liebe zum Fussball lässt Ancelotti auch die nötige Demut wahren. Er schreibt: Die Menschen im Stadion «zahlen nicht, um mich an der Seitenlinie zu sehen oder Pep Guardiola oder Sir Alex Ferguson». Also wird Ancelotti nicht auf lächerliche Art während eines Penaltyschiessens demonstrativ auf einen Stuhl neben der Seitenlinie sitzen und den Blick vom Geschehen wenden, er wird nicht während eines Spiels bis fast zum Mittelkreis rennen, um Goalie Manuel Neuer nach einem minimalen und folgenlosen Fehler publikumswirksam zusammenzustauchen.

Wie läuft es mit den Chefs?

Auf eines darf man freilich schon gespannt sein: das Verhältnis zwischen Ancelotti und seinen Chefs. In seiner Autobiografie macht der Italiener deutlich klar, was er von Einmischungen von oben und ganz oben hält, wie sehr es ihn anwidert, wenn man auf Konkurrenten oder Schiedsrichter verbal einprügelt. Er sieht sich auf der Seite der Spieler und des Spiels, sonst nichts. «Ich verbringe nicht sehr viel Zeit mit dem Präsidenten», schreibt er etwa, dieser Teil der Kommunikation sei ihm nicht sehr wichtig. Blöd nur, dass der Präsident beim FC Bayern bald wieder Uli Hoeness heisst. Daneben schwurbelt ein Karl-Heinz Rummenigge auch gerne zu allem und jedem irgendetwas. Und das in einer Phase, in welcher der interne Machtkampf zwischen den beiden Gockeln wieder heftig entfacht werden wird.

Aber die Störfeuer der selbstherrlichen Chefs werden leider der Konkurrenz nichts nützen, weil auch Rummenigge und Hoeness am Menschen Ancelotti abprallen. Gut für den Italiener, schlecht für die anderen Vereine.

Mourinho – Guardiola 1:0

Christian Andiel am Donnerstag den 11. August 2016
Real Madrid's coach Jose Mourinho (R) shakes hands with Barcelona's coach Pep Guardiola before their Champions League semi-final first leg soccer match at Santiago Bernabeu stadium in Madrid April 27, 2011. REUTERS/Sergio Perez (SPAIN - Tags: SPORT SOCCER) - RTR2LOFS

Dich ignorier ich nicht einmal! Pep Guardiola (links) und José Mourinho während ihrer gemeinsamen Zeit in Spanien. Foto: Reuters

Das muss Pep Guardiola fertigmachen. Gleich das erste Duell mit seinem Intimfeind José Mourinho verliert der stolze Katalane. Knapp, aber verloren ist verloren. Dabei sah Guardiola im ersten Moment wie der Sieger aus: 190,1 Millionen Euro warf sein Club Manchester City für neue Spieler auf den Markt, und damit 5,1 Millionen mehr als Lokalrivale Manchester United. Haben die Besitzer von ManU ihren neuen Coach Mourinho also weniger lieb, ist er ihnen weniger teuer? Falsch, wie der zweite Blick aufdeckt: ManU hat keinen Cent eingenommen, also eine Transferbilanz von eben diesen 185 Millionen Euro. Manchester City aber hat die Herren Dzeko, Rulli und Lejeune für insgesamt 19,5 Millionen verkauft, damit sinkt die Transferbilanz auf jämmerliche 170,6 Millionen Euro. Es ist eine Schande, wird sich Guardiola sagen, bereut er möglicherweise schon den Wechsel zu diesen Geizkragen?

Natürlich spinnt die Premier League. Und das Transferfenster schliesst erst Ende August, man darf noch einiges erwarten, wenn Mourinho und ManU schon bereit sind, für einen Paul Pogba 105 Millionen Euro zu bezahlen: In den Jahren 2014/15 (1,2 Milliarden) und 2015/16 (1,4 Milliarden) wurde die Milliarden-Grenze überschritten, da wird man doch noch jemanden finden, mit dem man sein Team aufpeppen kann? Einen mittelmässig begabten deutschen Linksverteidiger vielleicht oder einen vielfachen Internationalen, den man als dritten Goalie engagieren kann, zur Not einen schicken Greenkeeper? Guardiola kann also weiter hoffen, dass sein Club ihm noch den einen oder anderen überteuerten Wunsch von den Augen abliest.

Aber klar ist trotzdem: Die Vorfreude auf diese Saison inmitten des englischen Wahnsinns ist riesig. Allein was sich da an Coaches bei Titelanwärtern messen: Guardiola und Mourinho, Klopp (Liverpool), Conte (Chelsea) und Wenger (Arsenal). Oder können Ranieri (Leicester) und Pochettino (Tottenham) mit weniger Mitteln, aber mehr Ideen, besserer Taktik, grösserer Leidenschaft und Teamgeist die Grossen wieder ärgern, wie es Leicester als Meister vorbildlich gezeigt hat?

Der Zirkus startet am Sonntag mit Arsenal – Liverpool, und schon am 4. Spieltag (10. September) ist High Noon: Manchester United empfängt Manchester City. Der «Guardian» witzelte schon darüber, dass Spanien fast zu klein war für die Egos von Guardiola und Mourinho, als der eine bei Barcelona, der andere bei Real arbeitete. Und nun müssen sich beide das vergleichsweise kleine Manchester teilen, quasi Tür an Tür mit dem jeweiligen Grölef (grösster lebender Feind). Man stelle sich das vor, beide kaufen gleichzeitig im selben Biomarkt ein, und Mourinho schnappt sich die letzte reife Avocado, er knurrt: «In dieser Stadt ist kein Platz für uns beide», im Hintergrund erklingt die Mundharmonika, die Sporen klirren… ach, endlich wieder Fussball!

Hummels und Hoeness, das passt!

Christian Andiel am Dienstag den 3. Mai 2016
Bayern Munich's players and Chief Executive Karl-Heinz Rummenigge (3R) and President Uli Hoeness (2R) hold up German soccer cup (DFB Pokal), Champions League and German soccer championship Bundesliga trophies as they stand on the balcony of the town hall in Munich June 2, 2013. Bayern Munich completed the treble by beating VfB Stuttgart 3-2 in the German Cup final on June 1, 2013, adding the trophy to the Champions League and Bundesliga titles they have already won this season. REUTERS/Michael Dalder (GERMANY - Tags: SPORT SOCCER) - RTX1099B

Da will der gute Mats jetzt halt auch mal mittun dürfen: Die Bayern wissen 2013 gar nicht, wohin mit der Silberware. Foto: Reuters

Die Dortmunder bekommen also von den Bayern wieder einmal das höchste Lob: Rummenigge und Mitstreiter kaufen dem BVB einen zentralen Spieler weg, sie haben erkannt, wer ihnen richtig gefährlich werden kann. Das ist legitim, und auch der Wunsch von Mats Hummels ist verständlich, in den letzten Jahren seiner Karriere nochmals richtig abzukassieren (nicht, dass er in Dortmund darben musste, aber mehr von richtig viel ist eben richtig viel mehr).

Borussia Dortmund's Mats Hummels (R) walks past the trophy next to German president Joachim Gauck after his team's German Cup (DFB Pokal) final soccer match against Bayern Munich in Berlin May 17, 2014. REUTERS/Ina Fassbender (GERMANY - Tags: SPORT SOCCER TPX IMAGES OF THE DAY) DFB RULES PROHIBIT USE IN MMS SERVICES VIA HANDHELD DEVICES UNTIL TWO HOURS AFTER A MATCH AND ANY USAGE ON INTERNET OR ONLINE MEDIA SIMULATING VIDEO FOOTAGE DURING THE MATCH. - RTR3PMT2

Immer verlieren ist irgendwie blöd: Mats Hummels geht zu den Bayern. Foto: Reuters

Nachvollziehbar sind aber auch die Reaktionen der BVB-Fans, die ihrer Enttäuschung über das Verhalten des langjährigen Captains mit Pfiffen Ausdruck verliehen. Was hatte Hummels erwartet? Er, der vor nicht allzu langer Zeit deutlich seinen Unmut geäussert hatte über den Wechsel seines damaligen Teamkollegen Mario Götze zu den Bayern. Alles ausführlich dokumentiert und beschrieben. Hummels verstand damals die Titelfixierung von Götze nicht, sagte unter anderem: «Ich muss nicht sagen: Wenn ich nie die Champions League gewonnen habe, werde ich nicht glücklich im Leben.»

Er muss aber damit fertig werden, dass man seine Wort von früher nicht einfach vergessen hat. Was das heisst, darüber kann er ja dann in München mit seinem neuen Spezl Uli Hoeness fachsimpeln. Dem verschmitzten Steuergauner wurden nämlich ebenfalls frühere Worte schwer zum Verhängnis. Niemand (ausser Hoeness’ Familie und Freunden) hätte es lustig gefunden, dass er Steuern in Millionenhöhe hinterzogen hat. Was die ganze Sache aber richtig schlimm machte, waren Hoeness’ Auftritte vor der Verurteilung, in denen er über die angebliche Steuerungerechtigkeit in Deutschland hergezogen war und immer wieder betont hatte, wie doof er selbst eigentlich sei, weil er immer noch ehrlich seine Steuern zahle, und wie gefährlich es für den Staat ist, wenn die Reichen ihr Geld in die Schweiz oder nach Österreich bringen. Die Justiz brachte ans Licht, was diese angeblich mutigen, ehrlichen Worte waren: Abbild seiner Arroganz, Selbstherrlichkeit und seines sehr speziellen Staats- und Gerechtigkeitsempfindens.


Hoeness warnt davor, dass die reichen Deutschen ihr Geld in die Schweiz bringen könnten. Quelle: OdeToAsia/Youtube

Hummels muss nicht in den Knast, natürlich nicht. Er wird glücklich werden bei den Bayern, und bald werden sich Hummels und Hoeness in den Armen liegen nach den vielen weiteren Siegen und Triumphen, sie werden lachen über die Aufgeregtheit der Menschen, die getane Aussagen für bare Münze nehmen. Momentane Anlaufschwierigkeiten der beiden Schwätzer werden überwunden, man ist schliesslich unter Männern. Und Geld bringt einiges ins Lot und viele zum Verstummen. Wer weiss das besser als Hoeness?

Der Rüpel hat immer recht

Christian Andiel am Dienstag den 22. März 2016

Wenn Sion-Präsident Christian Constantin schon nicht die ganze Welt erobern kann, will er wenigstens dem Schweizer Fussball jeden Anstand rauben (das Foto entstand bei der Sion-Gala im Februar 2015). Foto: Keystone

Wo ist der Trainer, der einen Spieler nach einer ungeahndeten «Schwalbe» vom Feld nimmt und den Wechsel genau damit begründet, dass er dieses unsportliche Verhalten in seinem Team nicht duldet? Noch besser wäre es, den Spieler dann zusätzlich intern für ein halbes Jahr zu suspendieren.

Wo ist der Sportdirektor des Clubs, der seinen Trainer nicht schützt, sondern kritisiert, wenn er sich offensichtlich daneben benimmt? Wenn er sich also zum Beispiel weigert, auf die Tribüne zu gehen, weil er vom Schiedsrichter dazu aufgefordert wird? Man darf dem Angestellten dann ruhig auch eine Abmahnung erteilen.

Leverkusens Trainer Roger Schmidt legt sich mit dem vierten Offiziellen an. Später sollte er in dieser Partie gegen Dortmund auf die Tribüne, weigerte sich aber und provozierte damit eine Spielunterbrechung. Foto: Keystone

Wo ist der Verband, der einen Clubpräsidenten so hart wie möglich bestraft, wenn er eine Art Kopfgeld auf einen Schiedsrichter aussetzt, ihn nach einem Fehler wegen Betrugs anzeigen will? Am besten zieht man dem Verein empfindlich viele Punkte ab, im Wiederholungsfall wird zwangsrelegiert.

Ach so… diese Strafen sind zu hart, und dann treffen sie auch noch die Falschen … hm, ist natürlich blöd. Aber wer ist denn der Richtige?

Klar, der Schiedsrichter. Wer keine Lobby hat, ist eine arme Sau. Wer aber im Millionenspiel der Suche nach dem eigenen Vorteil den Job hat, die Regeln einzuhalten, der hat keine Lobby. Der darf keinen Fehler machen, selbst wenn man ihn erst in der zehnten Super-Zeitlupe sieht. Der ist höchstens der Hofnarr, der zwar auch dafür angestellt ist, um die bittere Wahrheit zu sagen – der aber halt auch immer Gefahr läuft, geköpft zu werden. (Nicht dass wir hier Christian Constantin auf dumme Gedanken bringen.)

Renato Steffen hingegen, der öffentlich erklärt hat, dass eine «Schwalbe» nicht nur korrekt, sondern dem Erfolg des Teams sogar geschuldet sei, darf weiterspielen. Wo ist also jetzt der Clubpräsident, der den Spieler rauswirft und sich vor den Schiedsrichter stellt, so wie er sonst so gerne die prügelnden Fans seines Clubs verteidigt, weil sie doch Hundertschaften von Einzelfällen sind, die vielleicht noch eine schwierige Jugend hatten?

Fussball verroht nicht wegen mehr Fouls oder zu hartem Einsteigen beim Zweikampf. Fussball verroht, weil der Eigennutz über allem steht, weil rüpelhafte, betrügerische Mittel den Zweck heiligen. Dass das ein Abbild der Gesellschaft ist, stimmt, machts aber nicht besser.


Die «Schwalbe» von YB-Spieler Miralem Sulejmani (die entscheidende Szene ab Minute 3:05). Aber war Sulejmani hinterher der Böse? Nein, natürlich der Schiedsrichter. Quelle: SRF/Youtube

Bleibt noch die Frage: Haben die Blatters, Hoeness’, Platinis und bin Hammams den Fussball nach ihrem Abbild, Denken und ihren moralischen Grundsätzen gestaltet? Sind also die Miralem Sulejmanis und Steffens nur die Vollstrecker all dieses niederträchtigen Lügens, Betrügens und Verarschens aller anderen? Oder verwandelt der Fussball mit seinem Geld, seiner Macht, seiner weltweiten Faszination an und für sich integre Menschen in rücksichtslose Ego-Maschinen und charakterlose Haderlumpen?

Haben wir noch rasch Zeit für das Thema Rudelbildung? Gut, denn wo bleibt der Schiedsrichter, der sich diese Missachtung allen Anstands nicht gefallen lässt und dann halt in einer Partie mal sechs Spieler vom Platz schickt?

Wir werden darauf lange warten müssen. Auf Sky hat Deutschlands einstiger Vorzeige-Schiedsrichter Markus Merk letzthin nach einem Fehlentscheid fast schon vorwurfsvoll gesagt, die betroffene Mannschaft habe schliesslich nicht reklamiert … Steffen, Merk, Sulejmani, Constantin… nur der Rüpel hat im Fussball recht.

FIFA referee Markus Merk pauses before receiving the ethics award of sports of Germany's catholic sports organisation Deutsche Jugend-Kraft (DJK) from Cardinal Karl Lehmann during a ceremony in Mainz June 29, 2007. Merk is honoured for his efforts as soccer referee and his social engagement. REUTERS/Alex Grimm (GERMANY) - RTR1R9TC

Aufruf zur Rudelbildung: Markus Merk war mal Schiedsrichter, jetzt ist er TV-Experte (eine Aufnahme von 2007). Foto: Reuters