Papas Alleswisserei nervt

Papa Allmächtig: Bei all dem Elternwissen kommt sich der Nachwuchs manchmal ganz schön blöd vor. Foto: iStock
«Ich kann gar nichts besser als du. Immer weisst du alles!» Mein zwölfjähriger Sohn ist sichtlich genervt. Gerade hat er die politische Situation in Bolivien zum Anlass genommen, mich zu fragen, ob ich weiss, woher der Name dieses Landes kommt. Ein bisschen Restewissen darüber habe ich noch im Kopf. Simón Bolívar, Unabhängigkeitskrieg gegen Spanien, irgendwas mit Attentat und Exil. Bis gerade eben war mir überhaupt nicht klar, dass in dieser Situation mein Nichtwissen gefragt ist. Ich hab mich einfach bemüht, aus dem Gedächtnis eine passable Antwort zusammenzukratzen, und nicht wirklich mitbekommen, dass sie wohl so etwas wie ein Test war.
Ich schaue in sein mauliges Gesicht und denke darüber nach, inwieweit da was dran sein könnte. Auf der einen Seite stimmt es: Ich bin das, was Professor Snape in Harry Potter einen «unerträglichen Alleswisser» nennt. Und zwar aus schulischen und beruflichen Gründen. Als notorischer Newsjunkie mit humanistischer Bildung neige ich dazu, mir kleine Wissensausrisse von irgendwelchen Themen, über die ich schreibe, ins Gehirn zu recherchieren. Wenn der entsprechende Text fertig ist, bleiben davon Wissensschnipsel: Stichworte, Allgemeinplätze, Wikipedia-Halbsätze in Briefmarkenformat.
Ehrlichkeit statt Prahlerei
«Ungefähre Ahnung» beschreibt meinen Wissenstand ganz gut. Auf der anderen Seite habe ich keine Schwierigkeiten damit, zuzugeben, wenn ich etwas nicht weiss. Diese Fähigkeit verdanke ich meinem Literaturstudium. Denn das bot mir nicht nur die Möglichkeit, meinem Interesse an Büchern zu frönen, sondern es hat mich ziemlich gründlich von der Versuchung geheilt, so zu tun, als hätte ich ein Buch gelesen, das ich nicht gelesen habe. Zwar gibt einem ein solches Studium wirklich alle Instrumente an die Hand, um genau das zu tun. Also beispielsweise den Klappentext zu lesen und dazu noch eine halbe Rezension, um anschliessend mit Begriffen wie Wucht, Evidenz und Harmlosigkeit um sich zu werfen.
Aber die anderen verfügen halt auch über diese Instrumente. Und vermutlich haben die meisten von ihnen auch zumindest das ziemlich grossartige Buch «Wie man über Bücher spricht, die man nicht gelesen hat» von Pierre Bayard gelesen. Um es kurz zu machen: Die Wahrscheinlichkeit, in einem potenziellen Laberfach von anderen Laberexperten beim Labern erwischt zu werden, ist ziemlich hoch. Damit macht man sich immer sehr viel lächerlicher, als mit dem Eingeständnis, dass man dieses oder jenes Werk der Weltliteratur nicht gelesen hat.
Profitipp: Versuchen Sie das nicht damit zu rechtfertigen, dass Sie Autor oder Autorin beziehungsweise ihr Werk für überschätzt halten. Auch das lässt Sie ziemlich schlecht aussehen. Ehrlichkeit hingegen wirkt erstaunlich gut: nie davon gehört, dazu bin ich bisher nicht gekommen, interessiert mich nicht, Titel irgendwie nichtssagend, worum geht es da eigentlich. Dann können daraus gute Gespräche werden und nicht bloss die üblichen «Mein Haus, mein Auto, mein Pferd, mein Bildungsstand»-Prahlereien.
So toll bist du, mein Kind!
In meinem Fall bedeutet das, dass ich zwar immer noch das altgriechische Alphabet runterrattern und den römischen Dichter Ovid zitieren kann. (Neun Jahre Latein, fünf Jahre Altgriechisch – ich will Ihr Mitleid, verdammt! Wie deutlich muss ich denn noch werden?!) Aber damit hat es sich dann. Und genau so kommuniziere ich das auch. Altgriechisch hat mich
so angekotzt (Deutlich genug?), dass ich bis zum Alphabet mitgegangen bin und keinen Millimeter weiter. Der Rest war ein elendes Durchgewurschtel mit, Sie ahnen es, sehr viel Rumgelaber meinerseits. Das scheint jedoch bei meinem Sohn so nicht zu landen.
Bei ihm kommen meine Wissensschnipsel irgendwie als meterlange Pergamentrollen an. Aber vielleicht geht es ja auch weniger um mich als vielmehr um ihn (Randbemerkung als Vierfachvater: Das ist fast immer so, behalten Sie das im Hinterkopf!). Also sage ich ihm, dass das nicht stimmt, und zähle ein paar Dinge auf, von denen er mehr weiss oder die er
besser kann als ich: Er weiss zum Beispiel mehr über Autos und Fussball und zeitgenössischen Hip-Hop als ich. Er ist grosszügiger als ich, besser im Handball und im Skaten. Er kann besser kochen und ist sehr viel netter zu anderen Menschen als ich in seinem Alter. Während ich rede, hellt sich sein Gesicht immer mehr auf, bis es am Ende vor Freude strahlt. So toll ist er nämlich. Wenn nicht noch toller. Und nicht nur vielleicht sollte ich ihm das sehr viel häufiger sagen. Das ist dann auch nicht bloss Gelaber, sondern schlicht und ergreifend die Wahrheit.
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15 Kommentare zu «Papas Alleswisserei nervt»
Meine Frau ist die welche alles weiss. Ich bin auch nicht auf den Kopf gefallen (ETH Ausbildung) aber ich habe keinen Drang das zu zeigen. Ich glaube, dass Maenner (und Frauen) die mit ihrem Wissen aufdringlich sind Probleme haben, um die sie sich beser kuenmmern sollten. Meine Kinder fragen wenn sie etwas wissen wollen von dem sie denken wir koennten das wissen, und mgekehrt auch, ich frage meine Kinder oft um Rat und Meinung. Sie sind sehr sicher und nett.
Viel tragischer finde ich Eltern, die ihren Kindern auf die trivialsten Fragen nur „weiss ich auch nicht“ antworten – entweder weil sie wirklich von nichts eine Ahnung haben oder weil sie einfach zu faul zum Erklären sind. Leb lieber mit dem Klugscheisser-Image, dafür werden deine Kinder dann irgendwann ebenfalls eine ganze Menge wissen.
Besten Dank fuer diese unterhaltsame Kolumne! Ist aber, wenigstens in meinem Fall, doch ein wenig beschoenigend. Wenn ich bei meinen Kindern in ein wenig Wissenstransfer schwelge, ist die Reaktion schon ein wenig harscher: „Hoer auf, das hast du uns schon oefter erzaehlt“ ist noch eine sanfte Form des Widerstandes. Ist aber immer noch angenehmer als wenn die Reaktion auf einen geschichtlichen Diskurs von immenser Bedeutung ist, dass jener Wagen 1000 PS unter der Haube hat!
PS: habe auch eine humanistische Bildung genossen (ohne Griechisch, obwohl mein Lateinlehrer sehr dazu geraten hat!) aber im Gymnasium hatte ich nur 6 1/2 Jahre Latein. Hut ab, Herr Pickert, 9 Jahre sind eine tolle Leistung!
Was Herr P. hier schildert ist recht eigentlich ein Luxusproblem.
Schlimm, und ich meine wirklich schlimm wird’s bei – Achtung, das folgende ist vielleicht nicht politisch korrekt! – Also ich meine wirklich schlimm ist’s, wenn ungebildete Eltern (und die sehen das ja meist diametral anders), also wenn die ihr „selbstgemeintes Scheinwissen“ an ihre Kinder weitergeben.
Entweder werden diese nämlich weiter ihren Eltern glauben(!), oder es steht ihnen ein schmerzhafter Prozess bevor, wenn sie das nämlich merken …….
andererseits, dieser schmerzhafte Prozess steht ihnen so oder so bevor. Wir selbstkritischen Eltern können es ihnen aber leichter machen, z.B. so wie Herr Pickert das beschreibt.
Wissen Sie, wie ich mich – nicht erst im Gymi – bis auf die Knochen blamiert und in Grund und Boden geschämt habe, wenn ich was gesagt habe, wo ich von meinen Eltern/Grosseltern und so „gelernt“ habe?
Find ich sehr gut, dass du deinen Sohn in dieser Art bestätigst. Als Jüngste der Familie wussten immer alle (nicht nur der Vater, auch die Mutter und die Geschwister) wirklich alles besser als ich – gerade im Teenageralter fühlte ich mich deshalb „sehr klein“ (keine Sorge – das hat sich wieder gelegt 😉 ). Solange es nicht in elterlicher Lobhudelei ausartet, tut es dem Selbstwertgefühl einfach gut.
Wissensvermittlung ist ein heikles Thema. Weiss man viel zu vielen Themen und lässte es auch noch raus, wird man schnell als Naseweis und Besserwisser abgestempelt. Sagt man dagegen nichts, wird man als Unwissender wahrgenommen.
Die Mischung machts. Beim Sohn, in der Famile oder in einer Diskussion. Hier die richtige Mischung zu finden ist durchaus schwierig – wenn man nicht das Gesicht des Sohnes als Gradmesser hat !
Hätte man nicht einen Vati in Szene setzen können, der wenigstens fähig ist, einen Bleistift richtig zu halten, anstatt so, dass man vom Betrachten des Bildes noch selber den Krampf bekommt?
Ich fühle mich durch die vielen Infos, die nichts mit der Kommunikation zwischen Vater und Sohn zu tun haben, etwas zugetextet. Mann kann nach dem Lesen des zweiten Abschnitts problemlos gleich zum letzten springen ohne thematisch etwas zu verpassen. Diese drei Textpassagen jedoch, haben mir gut gefallen. Sie sind es durchaus wert, gelesen zu werden.
Die vielen Infos nennt man labern 😉
Aber stimmt schon, wenn man es rein auf die Vater-Sohn-Geschichte bezieht, war es überflüssig. Und dennoch interessant, so ganz allgemein gesehen.
@Lisa
„Die vielen Infos nennt man labern .“
Word!
Leider neige ich manchmal auch dazu, mehr
zu erläutern als nötig/erwünscht wäre.
Unsere Tochter macht mich dann jeweils in strengem Ton und unter Augenverdrehen darauf aufmerksam „Mami, stop! Too much information!“
Ist das Roger Köppel auf dem Foto? Dann müsste es doch „Besserwisserei“ heissen. Das arme Kind…
Herr Pickert, in letzter Zeit laufen Sie zur Höchstform auf! Ob das am Alter liegt? 😉
Herzlichen Dank für das Lächeln, das Sie mir mit dem heutigen Text aufs Gesicht gezaubert haben! Da verstecken sich einige Perlen der Weisheit, die allzu oft im Rauschen des Alltags untergehen: weniger Labern, mehr Essenz. Weniger bluffen, mehr Ehrlichkeit. Mehr Fokus auf Ressourcen als auf Defizite.
So muss ein Blog sein!
Danke für den schönen Beitrag. Mein Mann ist auch ganz gross in der Wissensvermittlung – manchmal nervt das, manchmal staune ich, wieviel bei ihm hängen geblieben ist. Vor allem in Physik kann er wirklich toll alltagsnah auftrumpfen (papa wie hoch fliegt die Gewehrkugel wenn man sie in die Luft schiesst). Die Kinder sind mit 7 und 8 jedoch noch im Papa-ist-der-Beste Alter.