Wie spricht man mit Kindern über Suizid?

Entscheidend ist, wie man mit den Kindern darüber spricht: Blumen und Foto nach dem Freitod des Schauspielers Robin Williams. Foto: Keystone
Als vor einigen Monaten ein Mädchen aus der Schule unserer Kinder mit akuter Suizidgefahr in die Kinderpsychiatrie eingeliefert wurde, hat mich das zutiefst erschüttert. Plötzlich kamen mir auch meine eigenen Todesfantasien aus der Pubertät wieder in den Sinn. Aus meiner jetzigen Perspektive als Mutter scheinen sie mir unendlich viel bedrohlicher als damals. Ohne den Schmerz und Kummer meiner Teenie-Jahre lächerlich machen zu wollen, weiss ich heute doch, dass es mehr ein Kokettieren mit dem Tod war als echte Todessehnsucht. Blöderweise kann beides dieselben Auswirkungen haben, denn vor allem in der Pubertät neigen Kids zu Kurzschlusshandlungen.
So hart es ist, dem müssen wir uns stellen. Kinder können sich umbringen, und einige tun es auch. Das Thema beschäftigt mich daher sehr. Insbesondere seit ich nach Robin Williams’ Freitod in der «Süddeutschen Zeitung» folgenden Hinweis fand: «Anmerkung der Redaktion: Wir haben uns entschieden, in der Regel nicht über Selbsttötungen zu berichten, ausser sie erfahren durch die Umstände besondere Aufmerksamkeit. Der Grund für unsere Zurückhaltung ist die hohe Nachahmerquote nach jeder Berichterstattung über Suizide.»
Seither frage ich mich, wie ich als Mutter mit dem Thema umgehen soll. Ignorieren geht nicht, aber darüber reden ist heikel. Was tun? Ich habe mich bei der Pro Juventute erkundigt, die sich intensiv mit solchen Fragen befasst. Hier ein paar Denkanstösse aufgrund jenes Gesprächs.
- Über Depressionen und Suizidgedanken soll unbedingt geredet werden. Gerade im Zeitalter von Facebook und Instagram stehen Kids unter enormem Druck, gut auszusehen und «jemand zu sein». Viele haben das Gefühl, das Leben nicht so hinzukriegen, wie andere es tun und von ihnen erwarten. Sie leiden unter Selbstzweifeln bis hin zur totalen Verzweiflung und brauchen einen geborgenen Rahmen, um darüber zu sprechen.
- Es ist entscheidend, wie man über den Freitod spricht. Spätestens seit Goethes Werther kennt man die Sogwirkung, die ein Suizid insbesondere bei Pubertierenden haben kann (siehe auch den Hinweis in der «Süddeutschen»). Eltern sollten daher versuchen, dem Selbstmord das Schillernde, das er leider haben kann, zu nehmen. Suizid ist eben nicht einfach die ultimative freie Entscheidung und auch keine Chance, endlich mal alle abzustrafen, die einen verletzt haben. Ebenso wenig ist er eine Abkürzung zu Ruhm, von dem man dann ohnehin nichts mehr hat. Es ist wichtig, den Jugendlichen bewusst zu machen, dass diese Rechnung nicht aufgeht.
- Wenn ein Jugendlicher sagt: «Ich will nicht mehr leben», ist das ein Schock und man möchte es am liebsten als dramatisches Gehabe abtun, Pubertät halt. Aber man muss solche Äusserungen unbedingt ernst nehmen, nachfragen und dranbleiben. Auch wenn vielleicht nicht zwingend eine ernste Selbstmordabsicht dahintersteht, ist es entscheidend, impulsive Handlungen möglichst abzuwenden. Das bedingt, dass Eltern gelassen, aber einfühlsam reagieren – selbst wenn das im Moment unsäglich schwerfällt.
- Kinder sollen realisieren, dass Selbstmord nichts ist, was man mal eben rasch ausprobieren kann, es ist für immer. Sie sollen zudem wissen, wie schlimm es für ihre Eltern wäre, sie so zu verlieren. Allerdings sollte das nicht zu oft wiederholt werden, da es sonst zu einer Beschwörungsformel verkommt.
- Laut Pro Juventute soll weder der genaue Hergang eines Suizids besprochen, noch einzelne Fälle besonders eingehend beachtet werden. Das Thema sollte auf einer eher generellen Ebene besprochen werden. Das heisst: Der Fokus soll auf dem eigenen Leben liegen und darauf, wie man es bewältigen möchte und kann. Kummer ist Teil des Lebens. Er ist keine Schande und wir alle müssen lernen, damit umzugehen und darüber zu reden. Gesprächstabus machen einsam.
- Je nach Kind und Familienkultur kann es durchaus mal sinnvoll sein, sich in einem gelösten Rahmen die eigenen Beerdigungsfantasien anzuvertrauen. Sie verlieren sehr schnell an Anziehungskraft, wenn man merkt, wie sehr sie sich alle gleichen. Wir alle hoffen ja, dass dereinst möglichst viele Menschen möglichst traurig sein werden und sagen, wie aussergewöhnlich wir doch gewesen seien und welch ein Verlust für die Menschheit unser Hinscheiden sei. Solche Gespräche sind allerdings nicht jedermanns Sache und können nicht erzwungen werden.
Der Rest ist Lieben und Leben. Mehr kann man nicht tun. Aber das ist schon sehr, sehr viel.
71 Kommentare zu «Wie spricht man mit Kindern über Suizid?»
wie er einfach so „gehen“ konnte. Bis jetzt habe ich ihr es noch nicht gesagt. Aber denke lange werde ich es ihr nicht mehr „verheimlichen“ können und mit dem Suizid „herausrücken“. Und sie wird ganz bestimmt nicht locker lassen, bevor sie weiss, WIE. Nur lügen kann ich nicht und die Tatsache sagen, ist zu brutal für ein Kind. Was nun?? Schweigen bis sie volljährig ist??
Ja, wie mit Kindern üer Suizid reden?? Mein Bruder (also der Onkel, meiner Kinder) hat vor 4 Jahren Suizid begannen. Die Grosse war damals 4.5 Jahre alt und die Kleine 1.5 Jahre. Die Grosse wollte natürlich damals schon wissen, warum stirbt man so früh/jung? Ich erklärte ihr, dass es ihm ganz schlecht ging und er sich einfach wünschte nicht mehr leben zu müssen und es ihm nun gut gehe. Damit war sie natürlich nicht zufrieden, da sie eine sehr einfühlige und wissenbegierige ist. Ich versprach ihr, dass alles mal zu erkären, wenn sie grösser sei. Nun seit ca. 1.5 Jahren fragt sie immer wieder..
ausgerechnet die ProJuventüte würde ich hier nicht aufführen… Denn wieviele Verdingkinder wurden durch deren Nazi-Politik bis 1974 in den Tod getrieben?
Weder dieser Artikel noch die Kommentare sind sehr hilfreich wenn sein Kind wirklicheSuizidgedanken hat. Nach einer Vergewaltigung hatte meine Tochter während 2 Jahren Suizidgedanken, eine Sozialphobie und jetzt „nur noch“ Automutilation, es ist hart wir haben damit leben gelernt trotz allem Vertrauen zu haben zu seinem Kind und
zur Arbeit gehen und so ein grässliches Bauchgefühl….
‚wir haben damit leben gelernt trotz allem Vertrauen zu haben‘
Das ist das höchst Erreichbare. Mehr geht im Augenblick nicht.
„Weder dieser Artikel noch die Kommentare sind sehr hilfreich wenn sein Kind wirklicheSuizidgedanken hat. “ hm. Genau das schrieb ich ja weiter oben, sehr einverstanden, tes.
Nein, stimmt nicht, der Beitrag wurde, obwohl keineswegs anstössig, zensiert.
Dieser hier aber nicht. Verstehe noch einer die Zensurpolitik hier.
Ich hatte Suizidgedanken und ich wusste sehr genau, dass das kein Spiel sondern bitterer Ernst war und für immer wäre.
Ich wusste, dass ich niemandem etwas sagen durfte, da es sonst sicher verhindert würde.
Vorher wollte ich aber noch beweisen, dass die Welt tatsächlich so starr und für mich damit nicht lebbar war wie Mutter glauben machen wollte. Dass es also für mich tatsächlich keinen Platz in dieser Welt gebe.
Es kam anders. Die Welt kann auch Sonderlinge gebrauchen, und wie. Also konnte ich mich für mein Leben entscheiden.
Diese Entscheidung werde ich noch mehrmals fällen müssen.
Nur ein Wort ist in diesem besten aller Beiträge zum Thema falsch, ‚bitterer‘. Solange es bitterer Ernst bleibt, ist es zu früh. Erst wenn es nicht mehr bitter ist, kann man ganz gelassen in den Tod gehen. Wenn der Tag kommt, an dem ich mir meine Schnürsenkel nicht mehr selbst zubinden kann, ich meine eigene Degeneration miterleben muss, möchte auch ich gehen. Schon um im Gedanken an mein erfülltes Leben sterben zu dürfen. Daran kann mich auch niemand hindern. Darüber habe ich schon geredet, mit meinen Kindern, weil sie das vorher wissen müssen und ich weiss, dass mich niemand aufhalten kann.
Meine Kinder müssen wissen, warum ich das zu einem Zeitpunkt entschieden habe, an dem ich noch alle Attribute des Erfolges hatte. Sie sollen deshalb nicht traurig sein oder gar Gewissensbisse bekommen. Ich gebe ihnen keine Chance, es zu verhindern.
Sonderling bin ich auch und habe wie Sie mehrfach erfahren, dass wir Sonderlinge der Gesellschaft unheimlich gut tun. Sei es nur, um als Feindbild zu fungieren.
Die Normalen brauchen uns viel mehr, als wir sie. Weil wir Kräfte haben, die die Normalen nie entwickeln können, weil die Angst vor allem Möglichen haben, vor dem Tod, vor Krankheit, vor Armut, vor Prestigeverlust, die wir nur mit Mühe nachvollziehen können. Die Gewissheit, dass ich in der Lage bin, mit einem gezielten Suizid selbst bestimmt und mit einem fröhlich- höhnischen Lächeln den Daumen zu zeigen, macht mich wirklich frei.
Man spricht gar nicht darüber. Speziell nicht wenn es ein Junge oder Mann betrifft, denn dann müsste man ja über sehr unbequeme Zustände diskutieren, die das männliche Geschlecht betreffen. Also führt man lieber einen Alibi-Tanz auf und hofft das alles schnell wieder abklingt.
Zum Tode von Robin Williams: Er hat mehr als genug versteckte Nachrichten verschickt. Für diejenigen die sie verstanden haben kam der Suizid nicht überraschend. Ganz und gar nicht!
RIP. Robin.
Was hilft: Unsere Mutter hat etwas ganz Einfaches gemacht, immer wieder: Reden, reden, reden, ….. und immer wieder reden mit uns Kindern. Vielleicht jeden Tag ein anderes Thema, aber im Gespräch bleiben. Man kann gar nicht früh genug damit anfangen. Das Kind macht dann schon klar, wann es (nicht) versteht. Und morgen kann man ja weiter fragen.
Unsere Mutter war halt zuhause, hat sich mit der Welt selber auseinander setzen müssen, weil sie, wie so viele ihrer Zeit so „unschuldig“ in die Ehe gingen, wie ein Dreijähriger Autofahren kann.
Sterben und Friedhof gehörte auch dazu.
„Sie sollen zudem wissen, wie schlimm es für ihre Eltern wäre, sie so zu verlieren.“ Verständlich und authentisch, aber evtl. heikel. Könnte die Botschaft ankommen, dass das Kind keine Probleme haben darf, bei denen es extrem verzweifelt ist und Suizidgedanken hat? Ich würde es bevorzugen, wenn das Kind weiss, dass es solche Gedanken haben kann und darf, dass dann aber statt umsetzen reden mehr helfen dürfte.
„Wir alle hoffen ja, dass dereinst möglichst viele Menschen möglichst traurig sein werden und sagen, wie aussergewöhnlich wir doch gewesen seien und welch ein Verlust für die Menschheit unser Hinscheiden sei.“ Ist das Ausdruck für den Druck in Punkt 1? Dass einfach ein normales Leben, in dem man anderen möglichst viel genutzt und möglichst wenig geschadet hat, nicht mehr genügt? Dass es nicht genügt, ein Rädchen der Gesellschaft und Menschheit zu sein, das zu deren Erhalt beiträgt? Gewöhnlich ist einfach zu langweilig, so wie auch gewöhnlicher Narzismus langweilt.
Ich habe mich auch an dem Satz gestossen. Ich halte ihn auch nicht für wahr. Ich hoffe, dass meine nächsten Angehörigen (Frau, Kinder) echt um mich trauern und mich gerne weiter um sich herum gehabt hätten. Für alle andern ist mein Tod eine „alltägliche Unnannehmlichkeit“, da mache ich mir keine Illusionen.
Wie soll man allgemein bleiben und nicht auf die „Methode“ zu sprechen kommen, wenn man an einer privaten Gedenkstätte auf einer hohen Brück vorbei kommt? Das hat meine Kinder am meisten beschäftigt, und ich wüsste nicht, wie ich sie davon abhalten sollte!
Solche privaten Gedenkstätten darf es nicht geben, weil da alle Kinder so wie ihre reagieren würden.
Ein gutes Beispiel für den noch unterentwickelten Umgang mit dem Thema. Wenn ich schon einen lieben Menschen dadurch verloren habe, baue ich nicht auch noch einen Trigger für Nachahmer auf.
Zu meiner Oberstufen/Sekundarschulzeit habe ich in einem Hochhaus gewohnt, wo in dieser Zeit alleine in unserer Etage drei Nachbarn Selbstmord (das Wort Suizid war vor 20 Jahren noch nicht besonders gebräuchlich) begangen haben. Ein anderer ist vom Dach gesprungen, den habe ich später unten liegen sehen. Darüber gesprochen haben wir nur oberflächlich, was ich im Nachhinein auch richtig finde. Was will man stundenlang darüber spekulieren, ohne Hintergründe zu kennen und ziemlich sicher falsche Schlüsse zu ziehen?Fände ich belastender, als zu akzeptieren, dass es für manche Leute ein Ausweg ist.
Man muss ja auch nicht über den fall an sich sondern über das thema diskutieren. Und auch nur dann, wenn es einem auch wichtig genug erscheint.
Stimmt, müssen muss man nichts. Aber gerade für Leute in der Pubertät ist es sehr lehrreich, zu sehen, was bestimmte Leute so weit bringt.
Vielleicht kann man mit den Kindern/Jugendlichen auch darüber reden, dass wahrscheinlich nur Leute suizidieren, denen es nicht gut geht. Als letzter Ausweg oder letzter Hilfeschrei. Dadurch entsteht die Frage, was man selbst tun kann, damit man nicht soweit kommt. Z.B. sich Probleme eingestehen und noch viel schwieriger, nicht zu stolz zu sein, anderen die Probleme einzugestehen. Vor allem gegenüber Stellen oder Leute, die einem helfen könnten, sich also Hilfe holen.
Das läuft diametral der Leistungsgesellschaft mit geringer Fehlertoleranz entgegen, in der niemand perfekt ist, aber viele versuchen, wenigstens perfekt zu scheinen. Hinzu kommen vermutlich Entwicklungen, wie Jesper Juul sie beschreibt. Ob Kinder einfach liebenswert und geliebt werden, so wie sie gerade sind (und dies selbst auch so erleben). Oder nur für „richtiges“ Verhalten, „richtigen“ Gefühle, usw. und sonst als „unfertige“, „kleine“ Menschen gesehen werden, deren Bedürfnisse, Gedanken und Wünsche nur halb zählen (ganz zählen heisst nur gleichwertig, aber nicht immer zu erfüllen).
Wenn ich Juul richtig verstanden habe, hat Gewalt gegen andere, Gewalt gegen sich (Drogen-/Medikamentenmissbrauch, Selbstverstümmlung, etc. bis zum Suizid) miteinander zu tun, sind nur andere Formen des gleichen Problems (nach aussen oder nach innen gerichtet). Der tiefen Erfahrung, als Kind nicht oder zu wenig wertgeschätzt zu werden (dabei wollen wohl die meisten Kinder ein ebenfalls wichtiges Mitglied ihrer Familie sein). Nicht in Ordnung zu sein, wie man ist. (Definitions-)Gewalt zu erleben. Unwichtig zu sein, nicht „gesehen“ zu werden (man ist ja nur ein Kind, ein halber Mensch).
Das Kind kann das Problem nicht „rational“ begreifen und äussern. Aber es kann mit Gewalt gegen andere oder sich selbst zeigen, dass es ihm nicht gut geht. Bis vielleicht irgendein Amt, ein Sozialarbeiter oder Heimmitarbeiter mal zuhört. Vielleicht einem Kind, das trotz Verwöhnung und in Watte gepackt werden zum „Tyrannen“ wurde, weil es nicht bekam, was es brauchte und seine Not auf die Art zeigte, die es konnte (und die immerhin etwas Beachtung fanden) und dafür vielleicht noch fast gehasst wurde von den Eltern.
Lieben und Leben, der Rest ist der Umgang mit Suiziden. Was läuft bei ersten beiden schief, dass es zu letzterem kommt? Warum nicht mit Kindern darüber reden? Sind wir auf dem richtigen Weg, wenn mit Gewalt Jungen (und Mädchen) davon abgehalten werden zu kämpfen, Waffen zu erfinden, usw. Ob sie die erlebte Gewalt zu friedlicheren Menschen machen wird? Wie sieht es aus in anderen Bereichen?
Ich bin über 40 und verspüre nicht den geringsten wunsch zu sterben. Aber ich möchte doch die w-frage stellen: warum denn nicht?
Es ist durchaus die ultimative freie entscheidung. Auch während einer depression kann ich entscheidungen treffen, die für mich in diesem moment einfach richtig sind. Uns auch wenn es eine kurzschlusshandlung ist, das spielt doch keine rolle.
Nat. muss man versuchen die person vom gegenteil zu überzeugen. Ein depression geht vorbei und im nachhin ist man meistens froh, es nicht getan zu haben. Aber ab und zu möchte man einfach nicht darauf vertrauen und warten…
Haben sie Kinder, Marcin? Und würden sie den Satz „Und auch wenn es eine Kurzschlusshandlung ist, das spielt doch keine Rolle.“ auch dann bringen, wenn sich eines dieser Kinder aus z.B. momentanem Liebeskummer selber töten würde?
Nein, habe ich nicht.
Aber kann ich das so nicht objektiver beurteilen?
Es ist doch so: wenn man tot ist, hat man keine probleme mehr.
Natürlich ist das auch eine extrem egoistische handlung – denn für die hinterbliebenen fangen die probleme dadurch an. Und ich kann mir auch vorstellen, was das für die eltern bedeutet.
Aber: ich denke, wir dürfen hier jetzt nicht über die hinterbliebenen reden. (Die trauer ist ja auch ein sehr egoistisches gefühl) Müsste man nicht eher akzeptieren, dass die person ihre probleme auf die radikalste weise gelöst hat?
@marcin:
„Müsste man nicht eher akzeptieren, dass die person ihre probleme auf die radikalste weise gelöst hat?“
NEIN!
Weil sie nur infolge, in ihrer derzeit-Sicht, keine gangbaren Atlernativen gesehen hat.
Und genau bei diesem Punkt, was sind Alternativen, was sind Lösungsansätze, gäbe es jede Menge zu tun. Dass sich jeden Tag jemand umbringt, Menschen die oft erst am Beginn des Erwachsenenlebens stehen, das finde ich nicht hinnehmbar.
Müsste man nicht eher akzeptieren, dass die person ihre probleme auf die radikalste weise gelöst hat?
Ja, wenn es sich bei dem Problem um etwas in der Grössenordnung „unheilbare, zum Tode führende Krankheit“ handelt.
Definitiv nein, wenn es sich dabei um den Liebeskummer und Weltschmerz eines Teenagers handelt.
„Auch während einer depression kann ich entscheidungen treffen, die für mich in diesem moment einfach richtig sind.“
Nein, genau während einer schweren Depression ist man eben nicht mehr entscheidungsfähig. Oder warum sonst können beispielsweise Verträge, die von einem nachweislich manisch-depressiven Menschen abgeschlossen werden, rechtlich als ungültig erklärt werden?
Ihr habt beide recht. Schwere Depressionen sind selten, das Gros sind depressive Verstimmungen, bei welchen der Betroffene durchaus noch in der Lage ist, sich zu kontrollieren. Allerdings nur eingeschränkt im Sinne der Alltagtauglichkeit, vor allem Arbeitsfähigkeit. Suizide sind in der Phase selten, eher demonstrative Versuche, die aber auch manchmal schief gehen können.
wichtig finde ich, dass – bevor man über suizid spricht – über den tod und auch das leben spricht! es gibt leider immer noch viele menschen, wo der tod ein tabuthema ist. dabei gehört er genau so zum leben, wie das leben selbst! man kann meiner meinung nach nicht über suizid sprechen, wenn man nicht über tod sprechen kann. ausserdem verstehen wohl viele leute immer noch nicht, dass der tod ein teil des lebens ist und auch als solcher akzeptiert werden sollte. den tod und suizid zu thematisieren ist sehr wichtig. Versucht werden sollte es dem alter entsprechend angesprochen zu werden…
Hab mal mit den Kindern spontan einen Friedhof besucht, der gerade am Weg lag. Und gestaunt, mit was für Fragen und welcher Tiefe sie (5 und 8 Jahre) sich mit unseren Bestattungsriten und dem Tod auseinandergesetzt haben. Kann ich nur empfehlen, Friedhöfe sind ja meist schöne Orte. Und die Kinder stellen die Fragen von alleine. Oder vielleicht auch nicht und man geniesst einfach den Ort und überlegt sich dabei für sich, was einem wirklich wichtig ist im Leben.
Wie spricht man am besten über Suizid? Am besten sehr, sehr vorsichtig und nicht über öfentliche Medien. Da hat die „Süddeutsche“ für einmal recht. Die Punkte von Pro-Juventute sind aber sehr vernünftig.
Ein kleiner, aber IMHO wichtiger Hinweis: Benutzen Sie immer das Wort „Suizid“.
warum?
Vielen Dank!
Damit wir Eltern diese Vorschläge gelingend umsetzen können, ist auch wichtig dass wir uns selbst mit diesen Themata (Tod allgemein bis Suizid) auseinandersetzen konnten. Und ausreichend Balance haben um diesen Fragen zu begegnen, je persönlicher die Ebene wird (Suizid als möglicher Lösungsweg angesprochen) desto herausfordernder.
Danke Dir, Brunhild, das muss man auch sagen, der Suizid im Alter ist per se nichts Schlechtes. Grausam ist, wenn inzwischen auch Kinder sich umbringen. Darauf muss Prävention sich konzentrieren.
Im Gespräch mit Kindern muss man von Anfang an klar machen, dass der Tod das unvermeidbare Ende eines erfüllten Lebens sein kann und im Alter jeder für sich entscheiden darf, wann diese Erfüllung gegeben ist und ab wann Leben nur noch zur Qual wird. Medizinisch alles rauszuholen verhindert ab einen bestimmten Punkt den Tod in Würde. Auch wenn der potentiell Tote das selbst will.
@Muttis Liebling:
einverstanden mit den medizinischen Aspekten, doch es gibt auch bei Älteren und Alten einen Suizid welcher eher mit Perspektivenlosigkeit, Wertlosigkeit, Resignation uä zu tun hat- bloss weil ein Mensch ein gewisses Alter überschritten hat, sollte er nicht den Respekt/das Achthaben seines Umfeldes verlieren.
Ich hab meine, körperlich gesunde, Oma durch Suizid verloren und es war sehr schwierig für mich,
ihren Entscheid auf die Reihe zu kriegen.
An Gesundheit hats dort nicht gefehlt, aber an achtsamen Umfeld. Und damit ist sie wohl nicht alleine…
2/
damit will ich keinesfalls implizieren, das Umfeld sei jeweils schuld weil es zu wenig achtsam war! Betroffene Angehörige zerfleischen sich ohnehin schon genug mit Schuldgefühlen. Aber zum Ausdruck bringen dass auch ältere Menschen in Lebenskrisen, oder Haltungen stecken können, welche ihnen den Weg zum Suizid in einem hellen Licht erscheinen lässt- und dafür den Blick für Alternativen, mögliche lebensbestärkende Massnahmen aber verdunkelt.
Auch dafür bräuchte es Prävention.
@Brunhild, klar hat Statistik schnell ein Ende und bei derart individuellen Entscheidungen taugt die nur zur Grobbeschreibung. Die preussische Tradition, die mich geprägt hat, hat nur eine geringe Suizidschwelle. Amerikaner, Süddeutsche, Schweizer etc. entschuldigen sich für einen schwerwiegenden Fehler, ein Preusse Ent- Schuld – igt sich nie, sondern erschiesst sich.
Gern nenne ich zum wiederholten Mal das Beispiel Dorine u. André Gorz. Als klar war, dass Dorine sich nach einem Narkosefehler nie wieder erholen würde, hat er sein letztes Buch ‚Wege aus dem Kapitalismus‘ zu Ende geschrieben,
dann sind beide am 2.September 2007 nach 60 Ehejahren in den Tod gegangen.
Beeindruckend ist auch, das André Gorz seiner Frau am ersten Tag des Kennenlernens den Heiratsantrag gemacht hat 6 Wochen später habe sie geheiratet.
@Muttis Liebling:
tja, mit sich-erschiessen oder anderweitigen Terminal-Massnahmen (siehe auch Japan…) zeigt man ja einen höchst aufgeschlossenen Umgang mit Themen wie „aus schwerwiegenden Fehlern lernen“, „Scham“ uä …
Ein schlechtes Beispiel für die Entschuldigungs- Unkultur sehen wir dieser Tage bei der NR Nellen. Sie hat nichts falsch gemacht, nennt ihr völlig korrektes dennoch Verhalten Fehler, weil es mal wieder gelungen ist, gefühltes Unrecht gegen sie zu mobilisieren.
Das ist so schwach, damit hat die Dame sich für alle Zeiten politisch disqualifiziert.
Ihr hätte eine trotzige Stirn viel besser zu Gesicht gestanden, aber das lernt man hierzulande nicht.
Danke für den einfühlsam geschriebenen und äusserst wichtigen Blog!
mariechen, das mensch gewordene verständnis für alles und jeden, der schönste zahnlose mund aller Zeiten.
Auch das ist MB, nicht das zufällig heute Thema. Nicht löschen admin! Wenn in 50 Jahren ein Historiker verstehen will, was MB war, braucht es meine Meta- Beiträge.
marie sieht das auch so, oder?
Ein Danke an Andrea Fischer für einen weiteren differenzierten Text, der das Wichtige prägnant auf den Punkt bringt.
Kann mich dem Kompliment nur anschliessen. Suizide sind in der Altersklasse der Jugendlichen und jungen Erwachsenen die zweithäufigste Todesursache. Und dies ist seit Jahren so, obwohl die CH mit grosser Konsequenz die leider alltäglichen Suizide weder vermeldet noch kommentiert. Sprich, die Grundhaltung der Süddeutschen wird seit Jahren gehandhabt, und trotzdem sterben jeden Tag 4 Menschen in der CH an Suizid. Ein Vielfaches des Strassenverkehrs, wo man mit Via Sicura einen immensen Präventionsaufwand betreibt. In dem Rahmen müssten wir uns mal fragen ob genug zur Suizidprävention getan wird.
Mehr Suizide als Verkehrstote? Das wusste ich nicht, das ist ja wirklich krass. Umso übler ist es, wie sehr gewisse Reglementierungen psychotherapeutische Behandlungen erschweren.
Wobei man genau hinschauen muss in die Statistik, ob „assistierte Suizide“ (Sterbehilfe) zu den Suiziden gezählt werden oder nicht. 2009 wurde die Sterbehilfe aus der Suizidrate herausgenommen.
Die Suizidhäufigkeit zeigt, wie viele andere sozial beeinflusste Phänomene, eine Badewannenfunktion. Zwei Gipfel im Jugend- und im Seniorenalter, dazwischen eine Tiefebene. Folglich steigt die Anzahl der Suizidfälle mit wachsender Lebensdauer. Bis dahin ist das nur Statistik, erklärt aber zu einem Teil die hohen Werte in CH.
Mehr Erklärung bekommt man, wenn man sich vergegenwärtigt, dass wir nur die Anzahl dokumentierter Suizide kennen. In CH deckt sich das fast mit der Realität, nicht aber in ländlich, katholisch geprägten Staaten. Da ist es immer noch gar nicht so selten,
2/dass der leichenschauende Arzt einen natürlichen Tod dokumentiert, obwohl der Mann Strangulationsmarken hat. Soviel gegenseitige Beistand ist man sich im Dorf schuldig, weil der Mann sonst nicht auf dem Friedhof begraben werden kann. Im Deutschen Reich war die Suizidrate im protestantischen Mecklenburg 5x höher, als im katholischen Bayern.
Und noch etwas: 2012 gab es in CH 752 (Männer) + 285 (Frauen) dokumentierte Suizide. Im gleichen Jahr sind geschätzte (BAG) 3000 Menschen an med. Behandlungsfehlern gestorben, meist Fehlmedikation aus nichtigsten, leicht verhinderbaren Gründen.
Die assistierten Suizide sind da schon nicht mehr mitgezählt. Diese haben zB 2008 noch knapp 20 Prozent der erfassten Suizide ausgemacht, weshalb die Zahlen dadurch früher natürlich noch höher waren. Wobei man konstatieren muss dass die Suizidraten über Jahrzehnte gesehen insgesamt rückläufig sind.
Interessant auch: Frauen machen viel mehr Suizidversuche, Männer verüben aber mehr Suizide. Dies nur nebenbei, ist hier ja nicht das Thema. Auch wenn es nochmals eine andere, an sich interessante Diskussion wäre.
@Martin Frey, der Suizidversuch ist ein Hilferuf und hat, ausser das es Unfälle gibt, nichts mit dem Thema Suizid zu tun. Männer rufen seltener um Hilfe, das ist ihrer Erziehung und den Erwartungshaltungen geschuldet.
Frauen senden sehr viele Hilferufe. So blöd es klingt, die Länge von Schals ist eines der auffälligsten.
Hilferufe von Männern äussern sich meist in Aggression und anderen Dominanzspielen.
Danke ML für die Aufklärung auch wenn sie nicht unbedingt nötig gewesen wäre. Nebenbei, ich halte Ihren Suizidspot weiter unten für gefährlich und daher an dieser Stelle für etwas unnötig, auch wenn Ihr Beitrag Ihr tiefstes Innere und Ihre Gefühlswelt zu widerspiegeln vermag. Ihr Enthusiasmus ist Ihnen unbenommen, aber das Thema ist doch etwas zu heikel, finde ich.
Schade, dass ich immer wieder das Gleiche schreiben muss, Martin Frey. Niemals würde ich mein ‚tiefstes Innere und … Gefühlswelt … widerspiegeln ‚.
Ich benutze mich als erzählerisches Handlungssubjekt. Ist es wirklich so schlimm, das hierzulande keiner mehr Geschichten und Märchen zu lesen in der Lage ist, weil immer gleich der personale Bezug hergestellt werden muss?
‚Ich‘ bin nicht Ich. Das ist doch trivial, lernt man im Literaturunterricht in der 8. Klasse. Hier ist nicht Bauchnabelschau, sondern subjetfreie Erörterung von Problemen.
Ja, aber Leute: WARUM bringen sich die Leute denn um? Das hat doch Gründe! Und Suizide vermeiden zu wollen, ohne deren Gründe zu kennen, ist etwa so wie der Versuch, eine Sonde auf den Mars zu bringen, ohne die Keplerschen Bewegungen zu verstehen. Versuchen kann man’s ja, aber Erfolg wird man nicht wirklich haben.
FMH meinte ich
‚weder der genaue Hergang eines Suizids besprochen, noch einzelne Fälle besonders eingehend beachtet werden. Das Thema sollte auf einer eher generellen Ebene besprochen werden.
Das gilt nicht nur für Suizid, sondern für jedes Thema, welches mehr als nur eine Person oder kleine Gruppe betrifft. Der MB ist das beste Beispiel, das genau dies fast trotzig vermieden wird. Selbst gute Journalisten schreiben lieber auf der konkreten, privaten Ebene, weil ihnen das mehr Leser sichert.
In den meisten europäischen Ländern war Berichterstattung über konkrete Suizidfälle bis vor 30-40 Jahren obsolet.
Das hat sich in den letzten 10 Jahren grundlegend geändert. Jetzt werden sogar eindeutig nicht von öffentlichen Interesse seiende Fälle dramatisch und emotional dargestellt durch die Medien gejagt. Gestern hatten wir im TA ein Beispiel.
Es ist bekannt, dass Suizide und das, was man Amok nennt (es selten ist) IMMER Nachahmer findet. Deshalb gehören de generell raus aus den Medien, nur kann man das heute nicht mehr rückgängig machen. Nicht nur wegen dem Internet, welches alles blosslegt.
Deshalb muss man mit seinen Kindern darüber sprechen, aber, wie im Bog gefordert, auf einer nicht konkreten
Heisst das, dass der Wunsch, sich für eine unmenschliche Terrororganisation aufzuopfern oder einzeln geplante brutale aber unsinnige Anschläge auszuüben auch Nachahmer findet, wenn oft und reisserisch genug darüber berichtet wird? Nicht wenige, die nach Syrien reisen wollen, sind ja Jugendliche…
Für Suizid und Amok gibt es Erfahrungen, die man nicht direkt auf ein neues Phänomen übertragen kann. Es steht aber stark zu vermuten, dass auch dem so ist. Wir werden es erfahren, wie immer, wenn es schon halb zu spät ist.
3/ Ebene.
Es ist eben noch etwas in den letzten 30-40 Jahren passiert. Es gibt inzwischen Suizid (versuch) e in der Pubertät, nicht erst ab Pubertät. Wenn man es böse meint, könnte man sagen, seitdem Suizide hemmungslos medial ausgeschlachtet werden, hat sich deren Verteilung signifikant verändert. Das wäre schrecklich.
Das darüber reden lässt sich so oder so nicht vermeiden, aber bitte nur in persönlichen Gesprächen zwischen Eltern und Kind. Keine Öffentlichkeit, wie Beratungsstellen, alle Pro irgendetwas Vereine. Damit transportiert man das Thema dahin, wo es nicht hingehört.
ML: „Der MB ist das beste Beispiel, das genau dies fast trotzig vermieden wird. Selbst gute Journalisten schreiben lieber auf der konkreten, privaten Ebene, weil ihnen das mehr Leser sichert.“
Definition von „Blog“:Der oder das Blog [blɔg] oder auch Weblog [ˈwɛb.lɔg], engl. [ˈwɛblɒg], Wortkreuzung aus engl. Web und Log für Logbuch, ist ein auf einer Website geführtes und damit meist öffentlich einsehbares Tagebuch oder Journal, in dem mindestens eine Person, der Web-Logger, kurz Blogger genannt, Aufzeichnungen führt, Sachverhalte protokolliert (‚postet‘) oder Gedanken niederschreibt. (Wikipedia)
Da ist die subjektive Perspektive, gegen die Sie sich so wehren, wohl fast unvermeidlich, nicht?
Guten Morgen Susi, Ich sehe in Wiki- Definition keinen Gegensatz zu meinen Positionen. Ich schreibe hier ja auch nur meine Gedanken. Nur kommt es nicht oft vor, dass ich dabei konkret an mich oder an Privates denke.
Ich führe auch seit Jahrzehnten Tagebuch, in diesem nehmen private Tatbestände <=3% Platz ein. Als Teilnehmer einer öffentlichen Diskussion oder in meinen öffentlichen Aufsätzen stelle ich aber gar nichts Privates zur Diskussion, höchstens verpacke ich bisweilen allgemeingültige Sätze in eine privat klingende (Ich-) Form.
ML, der witz ist, dass du deine privat angelegenheit als allgemeingültig siehst. wenn du nicht müde wirst, mehrmals wöchentlich zu betonen, dass du schon vor 20 kinder hattest, und alles andere falsch ist, dann ist das deine private sicht und eben entgegen deiner annahme nicht allgemeingültig
@tina, mich selbst darf ich als Beispiel benutzen, wenn es um allgemeinere Aussagen steht. Nur das Umgekehrte, die Meinung eines anderen Blogschreibers oder Kommentator zu benutzen, um auf den rückzuschliessen, darf man nicht.
Beispiel: Frau F. schreibt ‚Der Rest ist Lieben und Leben. Mehr kann man nicht tun.‘ Da bin ich ganz anderer Meinung. Mir fällt aber auf die Schnelle kein griffiges Gegenargument ein, deshalb lasse ich das so stehen und schreibe nicht, Frau F. sieht etwas nicht richtig, nur weil ich es als nicht richtig sehe.
Was ist der MB? Steh auf dem Schlauch..