Archiv für die Kategorie ‘Fiction & Facts’

Underground Fight League

Urs Rihs am Donnerstag den 25. Oktober 2018

 diese Kampfnacht letzten Samstag in der Grossen Halle – wer hat nicht davon gehört?
Aber hat wer davon berichtet?
Und gibt’s das KSB eigentlich noch, dieses Kulturblog?
Na dann mal los hier.

Das erste Mal hatte sich dieser Untergrundzirkus, welcher zu einem kompletten Hype in der ganzen Stadt wurde – also in den besetzten Häusern und Garagen, den zugewandten Wagenplätzen, rauchigen Küchen und wo der Filz halt so sitzt und kifft – der ganzen Stadt eben – in einem stinkigen Kellerloch zugetragen. Einem Disco-Keller, dem «Rabbithole» im Osten.
Dort wo Jahre zuvor noch Ratten die ganzen Cola-Vorräte auffrassen und den Boden mit einem Teppich von Nagerscheisse überdeckten – different story – unterdessen hält man den Stall aber einigermassen besenrein – anyway …

Die Meldung hatte schnell die Runde gemacht: «Die Jungen ziehen so ein Box-Ding durch, das wird ill, krank!» und die Begeisterung war greifbar, schon Wochen vor dem Abend sprach die halbe Stadt darüber.

Lauter Jungskram? Vielleicht, aber eben auch Kämpfe, klare Regeln, Mut und vor allem dieses ominöse «Eins gegen Eins», ohne Ausrede.

Das war im Oktober 2017, bereits ein weiteres Scheissjahr her, und vor allem vor dem Atomsommer – diesen letzten Sommer, welcher unsere Birnen schon ohne Schläge komisch gummig gebrüht hat, aber irgendwie auch gierig machte.
Auf mehr so Spinnerzeugs.

Genug der endlosen Konzerte, der Festivals, der alternativen Fussballcups oder was weiss ich was sonst an ausgeleiertem Szenegedöns – etwas Neues musste her, und etwas Grosses.

Ein Momentum brachte der Atomsommer also auch – für die Jungen*. Die geöffnete Grosse Halle «Augenblicke verändern uns mehr als die Zeit» und diese Idee:
Underground Fight League performance.

Ein dezidiert nichtkommerzieller Anlass.
Dezidiert antirassistisch, antianti-queer, antisexistisch – szenenimmanent mittlerweile alles, godbless. And did I mention selbstausbeuterisch?

Ich wollte folglich dabei sein – an der Schreibmaschine und hatte Feuer gefangen für die Sache, seit dem ersten Wind davon.
Der erwischte mich bei einem Bier in der ZAR, als es noch viel heisser war und ich dazu meine kurzen, abgeschnittenen 501 verwettete, aber egal –

Ich hatte mit den Jungen also schon Wochen vor den Kämpfen ab und an mal Kontakt. Und vor allem während dem Aufbau. Dabei sah ich im Speziellen die Augenringe von Specialguest M.* wachsen.

Der hatte , Jahr zuvor noch und im Kellerloch, ein hartes Stück Boxschule lernen müssen, die praktische Bedeutung des Begriffs «Technisches K.O.».
Charaktergestärkt konzentriert er sich jetzt mehr aufs Zimmern mit Holz, und ganz allgemein aufs Organisieren.

Zu verbranntem, bitteren Kaffee – aus einem von Stahlwolle zerkratzten Bialetti-Replikat – erklärte er mir händeringend, wie sehr es alle gerade anscheisse, dass beide geplanten Frauenkämpfe nicht zustande kämen, aus Gründen. Das war ein herber Dämpfer für die Gruppe, sie wollten nicht bloss Typen im Ring, möglichst alles richtig machen und trotzdem das Ding einfach auch durchziehen.

Diese Undergrund Fight League performance. Trotz Kritikkreuzfeuer aus allen möglichen Gräben – gefüttert von Neid und Moralin.
Leider auch szenenimmanent.

Mensch, man muss Dinge durchziehen, unbedingt, gerade wenn man Bock hat. Das moralische Fallbeil auch riskieren, wenn dabei die Ohren für Kritik offen bleiben und der Selbstgerechtigkeit abgeschworen wird – denn folgt ohne Lust und Risiko nicht Komfortzone und der drecks Immobilismus?
Ich bekenn mich hier übrigens schuldig, der Homosozialität – guilty – aber hey, hier schulterklopft jemand, der dabei war und hörte, wie strukturelle Problematiken bis zum einkehrenden Selbstzweifel (der Hünde!) diskutiert wurden – I can prove that right.
Ah und wenn wir schon mal dabei sind, gönnt euch zum Thema und aktuellen Anlass die Diskussion zwischen Ugi, Knackeboul, Dani Rysrer und Franziska Schutzbach aus der Sendung «LATE LIFE im Exil» bezüglich dem neuen K*##el Buch «In Badehosen nach Stalingrad», worth a klick. anyway …

Einen durchziehen wär jetzt schön, und ich rauch nicht mal Hase.
say word.

Wow wow wow wow, fuck, es geht los – Diesen Beitrag weiterlesen »

Lass uns Lieben – Puts Marie

Urs Rihs am Sonntag den 14. Oktober 2018

Der Fischer hiess uns letztens, er hiess uns zu schreiben und noch besser Liebesbriefe.
Also schreib ich, an eine Band, die Band der Stunde.

Stell dir vor: Untergehende Sonne, in der Luft schon die süsse Ahnung einer langen Nacht, der längsten. Im kaputten Rom von Übermorgen – feuchter, bohemer Traum.
Halbzerfallene Renaissancebauten und trotzdem so schön wie noch nie, eine Stadt dem Halbdunkeln und so hell wie noch nie. Puts Marie, Puts Marie –

Undurchsichtig, unnahbar, eine rauschende, flirrende Idee von wie das klingen sollte – viel Rauch, viel Krach, viel Drama,
und lassen nicht bloss die Gebrochenen das Licht durchscheinen?
Puts Marie, Puts Marie –

Lasst uns die Brunnen mit den besten Tropfen aller Zeiten füllen, lasst uns mit dem edelsten Tscharas alle Gotteshäuser beweihräuchern und in den sterilen Laboratorien der Technokraten das reinste Acid synthetisieren. Und dann lass uns riechen, lass uns schnaufen, lass uns leben.
Lass uns lieben.
Puts Marie, Puts Marie –

Auf Clubtour mit ihrem neuen und lang ersehnten Album, die Band mit dem abgründigsten und erdeschönsten Soul, der Stunde und bitter, bitter nötig – Puts Marie.

Erster Spieltag ist nächsten Freitag im Südpol, Luzern.

250 Lastwagen und stolz drauf.

Urs Rihs am Freitag den 28. September 2018

Es riecht nach Herbst im Wankdorfquartier und der ganzen Siedlung.
In den Werkhöfen des Tiefbauamtes werden die Zündkerzen der Laubbläser mit Messingdrahtbürsten gereinigt. Die Besen gebunden, die Strassensauger poliert.
Bis Ende Saison gibt das etwa einen riesigen Haufen Blätter – 250 Lastwagen voll.

Erst halten die Bäume aber den Schnauf an. Saugen ihrem Laub den Stoff ab.
Das Blattgrün weicht, kommt das Rot, dann der Fall.
«Es geht um Leben und Tod» steht in der GEO, ein Laubbaum würde den Winter mit Blättern nicht überstehen, zu schwer wöge die Last der Krone.

Es riecht nach Modder, nach Muff, erdig, weil das Laub verfault.
Nach Reifearomen und animalischen Noten – Herbst.
Die Atmo filtert uns das flach einfallende Licht der Heliumkugel warm und die Farben ballern Kontrast – Herbst. Die Stadt erscheint im Aufputz.

Und die Tiefbauämtler rücken an – zu ihrem Pièce de Résistance:
Den Asphalt vom schmierigen Braun freihalten.
Damit du dich mit dem Velo nicht hinlegst, nachts.

In Parkanlagen die Blätter mit Rechen zu Hügel harken.
Damit deine Kids sich darin suhlen können und auf schlafende Igel treten, oder Hundsdreck.

Und die Tiefbauämtler schwitzen bei ihrer Arbeit und fluchen dabei und rauchen zum Schaffen.
Und du regst dich auf dabei – weil das so viel kostet gell und weil das so bünzlig ist und sinnlos mit dem Benzinlaubbläser. Und du raunst dabei und staunst:

«Wieviel Blätter das wohl sind pro Jahr? Wieviel die wohl wiegen

Das liesse sich doch hochrechnen, denn bei den 21 000 städtisch verbrieften Bäumen auf öffentlichem Grund – schreibt das Baumkompetenzzentrum – und den durchschnittlich 20 Kilo Laub pro Stamm – sagt die GEO – sind das 420 000 Kilogramm Laub am Boden.

Und bei einem geschätzten Gewicht von ca. 1,6 Gramm pro Blatt – was einem dünnen A4 Druckpapier entspricht – sind das um die 260 000 000 stadtbernische Blättchen.

Ich frag den Tiefbauämtler, wie es ihm ergeht beim Wischen und ob er sich in der Winkelriedstrasse – mit ihrer Ahornallee – nicht wie Sisyphos unten am Berg vorkomme?

«Den musst du dir», belehrte er mich, «als glücklichen Menschen vorstellen.»
«Der Typ ist vom Fach!» denk ich und halte den Rand.

Zum Abschuss dann er nochmals:
«250 Lastwagen voll Laub putzen wir Strassenfeger jeden Herbst weg.
Wegputzen alles, das ist eine Herkulesaufgabe, wenn du schon bei den Griechen bist –
wir putzen es einfach weg

und sind einfach nur stolz drauf.»

“Selbst festgefahrenes Laub auf Asphalt lässt sich mit sehr starken Laubbläsern entfernen”, sagt M* vom Tiefbauamt.

call 0800 00 12 16

Roland Fischer am Donnerstag den 16. August 2018

Wir müssen wieder lernen zuzuhören.

via GIPHY

Zum Beispiel Johanna Kotlaris, wenn sie mit sonorer Stimme eine Geschichte erzählt, am anderen Ende der Leitung.

But then, I kissed you back. And you kissed me back. And I kissed you back.

Am besten mal im Zug, wenn alle bloss ihre Touchscreens streicheln. Call her.

Das Projekt 0800 00 12 16 von Ines Marita Schärer ist eine Telefonnummer, eine Voicemailbox, welche aus der Schweiz kostenlos angewählt und abgehört werden kann. Die Nummer ist eine Plattform zur Veröffentlichung von gesprochenen Texten oder künstlerischen Arbeiten, die auf Sprache basieren. Hier geht’s zum Archiv.
Ines Marita Schärer liest übrigens selber diesen Samstag in der Quartieroase.

Krumme Geschäfte

Roland Fischer am Freitag den 10. August 2018

Buskers all over. Vor allem auf dem Münsterplatz, wo das überalle All sich ausbreitet für ein paar Tage, mit allerlei Inner-, Aufder- und Ausserirdischem. Zum Beispiel Essen aus abartigem Gemüse, mit dem Food Fest.

Oder mit dem ehemaligen KSB-Alien Miko Hucko, die ja mit der Social Space Agency schon einige Erfahrung in Sachen Wel/t/raum-Erkundung hat. Am Buskers entführt sie als Utopian Witness auf eine zeitreisende Stadtführung.

Wir nehmen euch mit auf eine Reise zurück in die dunklen Zeiten des Spätkapitalismus. Damals, als die Welt von Krisen gebeutelt schien und viele Menschen keine Zukunft näher sahen als den Weltuntergang.

Loveletter to a festival: Gugus Gurte

Mirko Schwab am Dienstag den 10. Juli 2018

Liebes, zum sechsten Mal schon, wie ich höre. Die Jahre verfliegen. Im Wind, der Substanz abträgt vom Berg mit jedem Jahr – eine stromlinienförmige Düne versinkt im Plastikmüll. But you no care.

Ein Glas Weisswein auf dich. Du Glitzer-Punk und Sozi-Hedon. Machst Gemeinsinn gemeinhin sinnvoll und all inclusive: Menschen mit Behinderungen, mit Herausforderungen, mit Geltungsdrang oder unbekanntem Talent gehen auf in dir und machen Sachen: Gugus, Dada, Theater, Lärm.

Drüben bei Zuckerberg verkaufen gerade alle ihre Viertagespässe oder versuchen es, die Preise sinken – ist es wegen dir?

Wegen des Musikprogramms allein kämen sie wohl nicht. Da gibt es andere Adressen und das weisst du auch. Du bleibst dir treu und machst Kollekte, aus Kraut und Rüben ein feines Süpplein. Es schmeckt besonders gut in diesem Jahr: Frau Trouble etwa, die sich unberechenbar gemacht hat in selstsamen Liebeleien mit dem Kitsch, Herr Porsche mit seiner Bieler Seelenmusik, Geschlechtsteile, die im Voodoo-Rhythmus wackeln und der Baze, der Klassenbeste, auf produktiven Abwegen – sie sind um die nötige Schärfe besorgt in der allgemeinen Sämigkeit. Eine Sämigkeit, die dir gut ansteht, das weiss ich schon.

Und eben, all inclusive: Zessen, Ztrinken, Diskothek. Und eine Metzgete der Hemmungen hast du dir ausgedacht, du alter Hippie-Schwerenöter. Einen Zungenkuss auf dich, ein zwanglos ausgezogenes Hemd vielleicht?

Ein Hoch auf die Talstation!

Gugus Gurte – Sexy Freunde. Von Mittwoch bis Samstag in und um die Heitere Fahne in Wabern.

Glockenspiele

Mirko Schwab am Freitag den 25. Mai 2018

Der Zytglogge leuchtet frisch frisiert. Schade: Ein weiteres mal hat es die Denkmalpflege verpasst, den Zeitgeist abzubilden im Glockenspiel. Vier Vorschläge für eine modernere Repräsentation der Sandsteinstadt.

Immer wenn der Glocken-Gockel kräht, der Narr in seinen Schellen rührt, die Bärlein tänzeln ringelreih, Chronos seine Sanduhr stürzt und ein Leu die Schläge zählt, die Hans von Thann über die Schindeldächer der alten Stadt schickt, weil es Zeit ist – immer dann also, wenn der Zwölfer nicht recht passieren kann, weil eine Traube Touristen auf der Strasse steht und der entnervte Chauffeur mit dem Gedanken spielt, so eine asiatische Reisegruppe einfach mal im Sinn der Pädagogik leicht anzufahren – immer dann vergibt man hier die Chance, wirklich etwas zu erzählen von dieser Stadt und dem wilden Leben darin. Dabei böte auch das post-millenniale Bern Stoff für Geschichten, erzählt in mittelalterlicher Hemdsärmeligkeit.

Vorschlag I
«Reit for your Reit o. der Rytglogge»

Der Hahn kräht – und trägt jetzt Igelfrisur, ach Erich zu Hesz, du alter Blasebalg – und immer immer die selbe Leier! Die Drehscheibe bringt einen Bären hervor, darauf reitet Retho Nause, der mit langer Schlangenzunge nach einem Reigen schwarzgekleideter Narren faucht. Die Narren heben das Kopfsteinpflaster aus dem Boden und werfen es dem Aargauer Tyrannen als Bsetzi-Steine vor den Latz. Wieder kräht der Hesz. Taugenichtse, Tagediebe, Trunkenbolde: ein Miniatur-Vorplatz wird gezeigt, knöcheltief im Wein tanzen Jung und Alt, stiernackige Ritter geben sich auf die Grinde, zwei Kinder stehen auf einer Scheibe, die sie ins Lot zu bringen versuchen, derweiil die Zeiger der grossen Uhr wild übers Zifferblatt wischen. Kräht der Hesz ein letztes mal, so umarmen sich die Kinder, die Balance ist gefunden und die Zeit wird angezeigt.

Vorschlag II
«Bern und die Kultur o. der Filzglogge»

Der Hahn kräht, diesmal verkörpert durch Herzog von Leduc. Die drei ersten Töne von «O VII IX», ein Lied über die verhinderte Minne, sind zu vernehmen. Die Drehscheibe zeigt den kulturellen Austausch der Generationen: Karl Tellenbach schneidet Simeon v. Hari den Schnauz, Mani «der Barde» Matter zieht Olivarius «dem Barmann» Kehrli eine Laute über die Rübe, Friedenreich zu Glausern aus dem Siechenhaus legt indes Matho Kämpf eine Krone auf. Wieder kräht der Herzog. Ein frivoler Bärentanz der Berner Kultur und ihrem Filz. Der vorderste Tanzbär wird vom folgenden am Anus geleckt, hinter dem Rücken des ersten dann dreht sich der zweite, spuckt zu Boden und lässt sich vom nächsten bedienen, der sein Zünglein spielen lässt und schliesslich spuckt – immer weiter und so fort. Das letzte Herzogs-Krähen. Die weiblichen Kulturschaffenden scharen sich um den Oppenheimbrunnen, Jeszika von Jurassien stellt eine grosse Sanduhr auf den Kopf – die Zeit ist angezählt, time’s up!

Vorschlag III
«Wolfram und Johannes o. der Heldenglogge»

Der Hahn kräht «Fuessbau-Schwizermeischter!» Ein Helden-Tableau wird angerichtet, in gold-schwarz bemalte Ritter jonglieren einen Lederball über den Köpfen ihrer Widersacher hin- und her. And just because we’re going medival: Köpfen ihre Widersacher hinterher. Rotes und blaues Blut tränkt den Heldengrund. Der Hahn kräht « Schölölö!» Der kraushaarige Ritter Wolfram Marcus Wölflîn fliegt durchs Halbrund und fängt mit seiner rechten Hand den Lederball. Der Hahn kräht ein letztes mal recht trunken, bevor der heldenhafte Mohr Johannes Petrus im Turmhelm droben – eine Minute vor der vollen Stund – an die Glocke stüpft. Sie wird in der Folge zwölfmal angeschlagen.

Vorschlag IV
«Glocke der Gastfreundschaft o. der Metaglogge»

Der Hahn lacht. Kleine asiatische Touristen erscheinen auf der Drehscheibe, zücken Stab und Telefon und fotografieren die staunende Schar asiatischer Touristen mit Stab und Telefon, die am Turmfusse sich eingefunden hat.

Ostern beim Syrer

Urs Rihs am Sonntag den 1. April 2018

Oder wie ein Haarschnitt zur Einsicht führte.

Gestern traf ich meinen Freund Tobi* – an der Bar – mit neuem Haarschnitt. Nicht wie gewohnt wild, buschig und verfilzt, sondern schön adrett föhnfrisiert und alles in eine Richtung: nach hinten.
Das passt nicht zu Tobi, denn eigentlich ist er mehr so der Typ Jim-Morrison-Mähne.
Tobi geht aber im Dreivierteljahrestackt zum «Syrer», wie er sagt:

«Der macht mir eben die Haare, was soll ich sagen, ich mag meinen Syrer.
Nicht wie Elvys Presley, sag ich ihm, ich will ja keine Nazi Frisur und dann schnippelt und rasiert er drauf los und am Schluss lauf’ ich eben trotzdem mit diesem Rockabilly-Trimm aus seinem Salon. Scheiss drauf, ich mag ihn eben meinen Syrer.»

Tobi hat ein grosses Herz und regt sich aber schnell auch furchtbar auf:

«Und ja lacht nur, ihr instagramalgorithmisierten Gecken, ich sag euch eins, es tät euch allen gut mal zum Syrer. Mal die Eitelkeit in die Ecke zu stellen und dafür dem Handwerk anderer zu vertrauen. Meine Frisur? Scheiss drauf, das wächst schon nach, aber Vertrauen nicht!
Ihr habt alle kaum Vertrauen mehr und quatscht dafür pausenlos rum, was wie und besser und sowieso. Verdammt Kontrollfreaks, ihr kotzt mich an!
Und im gleichen Mass wie euer Misstrauen wächst, wächst auch eure Ignoranz, weil ihr euer eigenes Wirken überschätzt und glaubt, dass ihr mit eurem Kulturschaffen wirklich was bewegen könnt, aber niemand kommt als Kommunist aus dem Brecht Stück, hat der Bichsel mal gesagt und vom Sanitär, der mir auf Piquet letztes Wochenende mein vollverstopftes WC aufgebohrt hat, hab ich mehr profitiert als von manch einem aufgeblasenem Theater und sowieso …

Tobi ist leidenschaftlicher Landschaftsgärtner, leidender Kulturgänger und eine Legende. Auch an der Bar, denn da macht er Punkte klar, ohne grossartig zu labern, meistens reicht eine Anekdote, langt ein mittlerer Ausraster zur Erwirkung einer Einsicht oder neuen Weitsicht.

 

Und darum geh ich morgen mal zum Syrer.

*Jegliche Ähnlichkeit mit wirklichen Geschehnissen oder lebenden Personen wäre rein zufällig.

Kirschblüten und Synthesizer

Milena Krstic am Mittwoch den 28. März 2018

À propos Werbung: Noch immer nicht genug von den Achtzigern? Dann haben wir hier etwas Schmuckes für Sie: Ein Tape, das vor dreissig Jahren von der Berner Band Standard Orbit aufgenommen wurde – und erst jetzt erscheint. 

Kürzlich bin ich in einem Secondhand Vintage Laden in der Altstadt gelandet. Dort habe ich mich verknallt. In ein Trainerjäckli aus den 80ies nämlich. Es hat pinkfarbene Ärmel, am Abschluss ein rotviolettes Bündchen, es ist gerüscht an den Schultern und hat ein orangefarbenes Dreieck auf Brusthöhe appliziert. 100 % Cupro. Kurzum: Ich sehe darin aus wie ein Tequila Sunrise Cocktail. Der Ladenbesitzer hat sich gefreut über meinen Kauf und mir versichert, dass gerade die Jungen verrückt seien nach den breit geschnittenen Rüeblihose und den Trainerjäggli von damals. Mit dem guten Gefühl, dazuzugehören, verliess ich den Laden.

Ein in Cupro-Stoff gegossener Cocktail.

Die 80er sind seit einer gefühlten Ewigkeit hoch im Kurs, sei es in modischer oder in musikalischer Hinsicht. Die Originale bleiben verehrt. Kraftwerk, Yello, oh, Eisbär … Du weisch. Aber wovon Sie wahrscheinlich noch nichts wissen: Standard Orbit gab es damals auch, Berner Lokalhelden, die auf einer Japantournee im Jahr 1988 ein Werk aufgenommen haben – das nota bene erst jetzt erscheint.

«Wir haben Japan einfach so gefühlt», sagt Bandmitglied Andy Fäs im Interview mit der Journalistin Linda Knecht, die der Geschichte auf den Grund gegangen ist. Sie hat ihre Recherche über «Fake in Japan», wie das Werk heisst, in einen Podcast gepackt, der über Radio Kanal K gesendet wurde.

Alarmgeläute, Kirschblüten und eine ein paar Oktaven nach unten geschraubte Stimme, gurgelnde Synthesizer, lustige Beats und der locker flockige Umgang mit Klischees: «Fake in Japan» ist ein äusserst amüsantes Musikerlebnis. Warum das Album zwar aufgenommen, aber erst jetzt veröffentlicht wurde und warum dieser Beitrag unter der Rubrik «Fiction und Facts» läuft? Hören Sie selbst. Als Extra gibt es eine amüsante Musikkritik von Björn Dinggelmann und ein paar Hörproben des Albums.

Love
Ihre Tequila Sunrise

Fake in Japan – Die Berner Kultband Standard Orbit

 

«Einmal Toast Hawaii, aber bitte ohne Ananas»

Urs Rihs am Donnerstag den 8. März 2018

Letzte Woche Kältepeitsche und alle wollen nur noch weg hier. Mit Billigflieger
oder mit Billigbier.

Vor dem Bahnhof, im Rauch neben diesem Sprüngli: «Weisch wie geil wärs iz z Kuba. Mit Rum und Zigarre – La Dolce Vita

Daneben, hinter Glas in diesem tibits: «It’s only 500 Euros to Madagascar – 300 for greenmiles and just another 150 to rent a car.»

Jedem sein Schattenplätzchen an der Oase,
jeder ihr Stückchen Exotik am Strand.
Sehnsuchtsort für wenig Geld in Reichweite.
Wahlweise trink dich für wenig Geld um den Verstand.

Hauptsache weg vom salzverkrusteten Trottoirrand.

«Die sind alle so schön in Havanna.»
«Die armen Schweine in Afrika.»

Fernweh kann Spuren von Kolonialismus und Fetisch enthalten.

Europa: Neue Leichtigkeit tanzt «Afrika Baby» – STUDEYEAH singt «usgrächnet i de feriä».
Und ich bestell im Calypso Toast Hawaii.

Aber bitte ohne Ananas.

BEDEUTUNGSÜBERSICHT: exotisches Aussehen, Wesen; exotische Beschaffenheit, Gestaltung Beispiel: ein Geschehen von pittoresker Exotik.