Logo

Bern auf Probe: Transkulturelle Roboter

Anna Papst am Dienstag den 5. Dezember 2017

“Ok, wir machen einen Speedy-Durchlauf. Ihr wisst, was das heisst!”, ruft Graziella Cisternino den vierundzwanzig Spieler*innen zu, die im Progr Atelier 210 darauf warten, dass die Probe von Zeitwerk Theater beginnt. Es herrscht Pausenplatzatmosphäre, man plaudert miteinander, einer fährt mit dem Skateboard durch den Raum, zwei proben Tanzschritte, eine lernt ihren Text, ein Grüppchen sitzt im Kreis und hört Musik, in der Ecke werden Kostüme an- und ausgezogen. Unter blauen, gebleichten und rasierten Frisuren lassen sich auch drei graue Haarschöpfe ausmachen. Cisternino und ihr künstlerischer Co-Leiter Christof Schüepp bezeichnen die Stücke von Zeitwerk Theater als “Transkulturelle Generationenprojekte”. Achtundzwanzig Menschen (an der heutigen Probe waren einige krank) aus Syrien Eritrea, Deutschland, Afghanistan, Portugal, Spanien, Thailand und der Schweiz stehen in der aktuellen Produktion “Interperfekt” auf der Bühne. Sie sind zwischen siebzehn und achtundsechzig Jahre alt, manche sind erst seit kurzem hier, manche haben ihr ganzes Leben in Bern verbracht. Im Stück spielt das keine Rolle und das ist gut so.

Die Kostüme der Superroboter Sing-ma, En-ma und Hi-ma werden trotz des wissenschaftlichen Fortschritts noch in Migros-Säcken aufbewahrt

“Interperfekt” handelt von einer Welt, in der die Weiterentwicklung von künstlicher Intelligenz und Klon-Technik so weit fortgeschritten ist, dass der Mensch überflüssig zu werden droht.
Im “Speedy-Durchlauf”, wird der uneingeweihten Probebesucherin bald klar, wird das Stück im Eiltempo durchlaufen. Da hauen sich Politiker*innen jeder Couleur ihre Argumente für oder wider die neue Spezies um die Ohren, da wird im Labor in Windeseile befruchtet und aufgestartet. „Wir wollen unsere Kinder immer noch selber zeugen!“ ruft ein aufgebrachter Bürger einer Wissenschaftlerin am Rednerpult zu. Man stellt sich die Beweggründe zu dieser Aussage vor und schmunzelt.

Cisternino und Schüepp sitzen am Rand, zwischen ihnen eine Tischklingel, die gedrückt wird, wenn etwas noch nicht klappt wie gewünscht. Klingelt es, wird die Szene unterbrochen, werden Anweisungen gegeben und Unklarheiten besprochen. Auch das geschieht mit Hochgeschwindigkeitstempo, das gemeinsame Ziel ist, heute durch das ganze hundertminütige Stück zu kommen. In zehn Tagen ist Première, geprobt wird noch fünfmal, dann muss es klappen. Das kriegen die Spieler*innen zu spüren: „Leg das Textbuch weg“, ruft Cisternino einem zu. Als dieser antwortet, dass er dann wahrscheinlich einen Hänger hat, weist sie die Gruppe an, es in solchen Fällen irgendwie gemeinsam zu retten. Versprecher, vergessene Requisiten, verfrühte oder verspätete Auftritte – alles von dem man hofft, dass es nicht passiert, gehört zur Theatererfahrung dazu. Wer auftreten will, muss sich zu helfen wissen, möchten Cisternino und Schüepp ihren Spieler*innen vermitteln.

Es wird ruhig im Proberaum. In der Mitte der Spielfläche singt eine junge Frau sehr leise ein Lied auf deutsch. Deutsch scheint nicht ihre Muttersprache zu sein, das Erlernen des Textes wird sie viel Mühe gekostet haben. Als das Lied zu Ende ist, bricht die Menge in Jubel aus. Der Erfolg, etwas gemeistert zu haben, ist hier ein geteilter: Für das Gelingen der Proben wurde ein Götti-System entwickelt, jede*r ist für eine*n andere*n verantwortlich.

Im letzten Teil des Stücks kriegt der (wissenschaftliche) Ehrgeiz sein Fett weg: „Malochen, malochen, nach Stockholm blochen“ – der Speedy-Durchlauf ist zu einer Metapher für den atemlosen Karriereaufstieg geworden.

“Interperfekt” von Zeitwerk Theater, 7.,8.10. Dezember Theater am Käfigturm

Die Lenzburgerin Anna Papst arbeitet für ein Jahr als Hausautorin am Konzert Theater Bern. Dieses vorübergehende Asyl nutzt sie, um die lokalen Probegepflogenheiten auszukundschaften. Einmal pro Woche schielt sie über den kantonalen Gartenzaun, um mitzukriegen, was in Bern so geübt wird.

« Zur Übersicht

Kommentarfunktion geschlossen.