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Nieder mit dem Elektrophallus

Mirko Schwab am Samstag den 28. Oktober 2017

Es rumort im Berner Untergrund. Und die Stromgitarre lebt hoch. Auch dank Willibald, die am 11. November ihre neue EP vorlegen.

Deborah Spiller von Willibald bei der Arbeit. (Photo: JBDUBOIS)

Gitarre, Bass und Schiessbude, die Urformel. Elementare Anmut des Rocktrios. Hier wird nicht gefummelt, denn fürs solistische Gewichse fehlt die zweite Geige, die verknechtete Rhythmusgitarre. Das Gewicht lastet auf dem Dreier gleichermassen und das Primärziel ist energetisch. Dreimal laut und ohne Schabernack.

Oft wurde das Rocktrio für tot erklärt und mit ihr die ganze Gitarrenmusik, als wäre sie wirklich gestorben an diesem trüben Dienstag im April 1994. (Zur Stirn, zur Brust, nach links und rechts.) Doch die musizierende Zunft blieb erfinderischer als der gemeine Musikjournalist, immer mal wieder liess sich was aufregendes anstellen mit dem alten Saitenscheit. Ja, man kann die Gitarre auch zerschlagen, zertreten, verstümmeln und in Brand stecken – das Popgedächtnis aber ist der Roadie, der sogleich eine neue, funktionstüchtige und einwandfrei in gedroppt D gestimmte Klampfe auf die Bühne zurückbringt.

Trotzdem ist es gut, wird die Kulturgeschichte der Stromgitarre von Zeit zu Zeit neu verhandelt und um ein Kapitel bereichert: «Girls who play guitars» heisst das im Schrieb begriffene – und nochmal mit Blick zurück in den amerikanischen Nordwesten 199X – das schon unlängst begonnene. Nieder mit dem Elektrophallus! Ein Kapitel also schreiben, um es obsolet zu machen – denn eigentlich ist es schrecklich langweilig, über das biologische Geschlecht einer Instrumentalistin oder eines Instrumentalisten nachzudenken. Doch vorerst leider nötig.

Womit wir bei Willibald wären, einer der Bands der Stunde in dieser herbstlichen Sandsteinstadt und – zufällig oder programmatisch, who cares in near future – zwei Girls und ein Boy: Gitarre, Schiessbude und Bass. Aus der kommenden EP liegen schon Schnipsel parat im Interwebs, die eine äusserst ansprechende Mischung aus entrücktem Gaze und grobkörnigem Garage-Gestus versprechen. Auf «While We Feel Romantic On Rooftops» gibts nichts, was in der Geschichtsschreibung der Popmusik nicht schon angeklungen wäre, auf einer Jaguar, Jazzmaster, Telecaster irgendwo – und desto erfreulicher ist es, schürft die Band so schnörkellos die alten Wunden und macht der totgeglaubten Gitarrenmukke ein feines Fest in fünf beseelten Liedern. Atemberaubend halsbrecherisch trommelt sich da Christine Wydler bisweilen in Ekstase, drückt Charli Grögli am Viersaiter aufs Fuzz-Pedal. Und eine helle Freude auch der schamanische, von Tonmeister Stefan Allemann blendend inszenierte Gesang der Debo Spiller.

(Thanks for saving Rock’n’Roll, dear Willibald.
At least till tomorrow morning.)

Bitte notieren Sie: 11.11.17, Release «While We Feel Romantic On Rooftops» (Oh Homesick Records) von Willibald. Getauft wird in der schönen Spinnerei.

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Ein Kommentar zu “Nieder mit dem Elektrophallus”

  1. Dienstbier sagt:

    Yeah, Willibald keeps the wheel on fire! Tolle Schreibe, dear Schwab :)