Der Anfang, sagen wir, die erste Viertelstunde, war hart und harzig: Eine Frau im blauen Overall und mit schwarzen hohen Docs redet und redet und redet, jeder Satz fällt in einem ähnlichen Tonfall, der Gestus ist leicht überhöht, die Brüche klein. Atemlos. Im Hintergrund, an einem praktisch gehaltenen Tischchen, die Musikerin, deren Geräusche wahllos erscheinen und immer wieder wechseln.
Dann stellt die Redeschwallfrau sich vor: Kari, Kari Selb (virtuos: Julia Monte). Und ab hier, oder spätestens ab dem ersten beschriebenen und beschallten Brand, hebt das Stück ab, erhält einen Drive, einen Sog, der mich nicht wieder losgelassen hat. Musik, Licht und Text wachsen ineinander, verschleifen sich. Das Spiel ordnet sich der Sprache unter, und nur an einigen wenigen Stellen wirkt es immer noch überhöht oder der Text zu wenig auf Bruch und Spannung gesprochen. Atemlos bin am Schluss vor allem ich, die Zuschauerin. Atemlos von der allseitigen Gewalt, der elterlichen, der strukturellen, und der von Kari, die zerbrechlich und mächtig zugleich wirkt.
Ich berichte hier von der Premiere von Angeklagt, der Bühnenfassung eines Romans von Mariella Mehr. Die Sprache ist ausgefeilt und trifft, dort, wo es wehtut. Es ist mir ein Rätsel, warum diese Autorin immer wieder in Vergessenheit gerät, nur dazwischen einfach mal wieder auftaucht. Warum sie nicht in der Schule gelesen wird und im literarischen Diskurs oben mitschwimmt.
Nicht nur deshalb, sondern auch aufgrund der Thematik erachte ich Angeklagt, das Stück, als wichtig. Das ist einer dieser Stoffe, die öfter auf die Bühne gehören: Frauen in komplexen, vielschichtigen Figuren. Frauen, die ich nicht greifen kann und zu verstehen versuchen muss. Frauen als Täterinnen. Unsympathische Frauen. Unverschämte Frauen. Frauen mit Berufen, einer Geschichte – Frauen, denen mensch zuhören muss. Frauengeschichten, in denen es nicht in Wahrheit um den Mann dahinter geht. Schliesslich gibt es genügend Schauspielerinnen, die nicht in das gängige Rollenprofil Schlampe-oder-Mutter passen und passen wollen.
Was es dafür braucht? Mehr reine Frauenteams im Theater. So wie gestern Abend.
Angeklagt läuft noch heute, morgen und übermorgen um jeweils 20:00 im Gaskessel und geht danach auf Tour.
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