Fake History: Wenn die Falschen den Krieg gewinnen

Was wäre, wenn Deutschland den Zweiten Weltkrieg gewonnen hätte? Ausschnitt aus der Serie «The Man in the High Castle».

Kein Zweifel, David Benioff und D. B. Weiss haben einen guten Riecher. Die beiden Produzenten schafften es, mit «Game of Thrones» eine Erfolgsreihe der Sonderklasse aufzulegen. Und jetzt, nach Abschluss des Fantasyspektakels, entwickeln sie eine Serie, die bestens in unsere konfuse Zeit passt. Sie heisst «Confederate». Und wie der Fernsehsender HBO meldet, erwartet uns da ebenfalls Grausames. Nämlich dass die amerikanischen Südstaaten 1865 den Bürgerkrieg gegen die Nordstaaten gewinnen. Dass Amerika ein Sklavenstaat bleibt.

Fake History? Gleich nach der Ankündigung des Projekts machten es die Strassenkämpfe von Charlottesville wieder mal klar: Viele möchten den alten Bürgerkrieg tatsächlich neu ausfechten. Denn viele hätte gern eine andere Geschichte. Schon deshalb darf man vermuten, dass «Confederate» ein weiterer TV-Blockbuster wird.

Adolf Hitler als kleiner Feldwebel

Die Anziehungskraft dieser Art von Geschichtsstory wurde schon öfter bewiesen. In den USA gibt es fast schon eine kleinere Kulturindustrie, die das staubige, korrupte, zurückgebliebene Südstaaten-Amerika schönschreibt zu einer Gegengesellschaft mit Charme und Zukunftschancen. Es gibt reihenweise Filme und Romane mit diesem Szenario, darunter eine interessante Grossserie wie «Southern Victory»: Darin schildert Harry Turtledove einen Sieg der Südstaaten – und schreibt davon ausgehend gleich die Weltgeschichte um. So überlebt Kaiser Wilhelms Deutschland danach den Ersten Weltkrieg, weil es das Plantagenbesitzer-Amerika an seiner Seite hat. Und dies wiederum hat die nette Nebenwirkung, dass Adolf Hitler gar nicht hochkommt. Er kriegt in «Southern Victory» nur einen Kurzauftritt als verrückter kleiner Feldwebel.

Wir sehen: Alternativgeschichten helfen durchaus, den Weg von damals nach heute ein bisschen klarer zu sehen. Auffällig scheint nun aber, dass sich diese Art Histories in letzter Zeit mehrt – und vor allem, dass dabei ein gewisses Grundmuster gilt: Es siegen die Rechten. Entweder es siegen die Südstaaten, oder aber, noch beliebter: Es siegen die Nazis.

In Grossbritannien ging im Frühling die fünfteilige Serie «SS-GB» über die BBC-Sender und holte insgesamt 25 Millionen Zuschauer auf die Fernsehsessel. Das Szenario dort: Es gelingt den Nazis, die Insel zu erobern; Churchill wird hingerichtet; im Buckingham Palace residiert ein Statthalter des «Führers».

Die Nazis beherrschen England: Trailer zu «SS-GB», 2017.

Schon 2015 hatte der Medienriese Amazon eine Filmserie aufgelegt, worin Deutschland und Japan den Zweiten Weltkrieg gewinnen und die USA 1947 unter sich aufteilen. «The Man in the High Castle» wurde zur erfolgreichsten Reihe im Streaming-Dienst von Amazon und ging inzwischen in die dritte Staffel.

Nazis und Japaner haben Amerika unter sich aufgeteilt: Trailer zu «The Man in the High Castle», 2017.

Leicht könnten wir hier weitere Namen auflisten, die demselben Prinzip folgen – speziell erwähnt sei natürlich «Fatherland», der ebenfalls gross verfilmte Erfolgsroman von Robert Harris: Da darf Hitler pompös seinen 75. Geburtstag feiern, begleitet von einem US-Präsidenten namens Kennedy.

1964, Nazis und die Amerikaner haben sich die Welt aufgeteilt: Trailer zu «Fatherland», 1994, nach dem Roman von Robert Harris.

Aber was besagt all das? Nebenbei zeigt es wohl, wie sehr das kommunistische Modell abgewirtschaftet hat: Dass die Rote Fahne siegt und dass unter Hammer & Sichel eine neue Welt hingeklotzt wird – diese Idee taugt offenbar nicht mal mehr für einen Fernsehplot. Denn natürlich wählen gewitzte Drehbuchautoren für ihre Fake-Histories bloss Szenarien, mit denen sich auch halbwegs lebensnah gruseln lässt. Nur dann wecken sie die nötige Angstlust – beziehungsweise die nötige Betroffenheit.

Moralische Prüfung im Fernsehsessel

Was wäre, wenn? Wer die Geschichte neu schreibt und anders weiterzieht, spricht damit eine Warnung aus. Dies beabsichtigen immer auch jene Werke, die einen neuen historischen Rahmen für unsere Gesellschaft erfinden. Der jüngste literarische Meilenstein dieses Typs war «Unterwerfung» von Michel Houellebecq, erschienen 2015 – auch das ein Erfolgsprodukt erster Güte: In Houellebecqs Buch verrät Frankreich seine Tradition der Aufklärung vollends und fällt dem religiösen Islam anheim. Das aktuellste Beispiel in dieser Reihe bietet «The Handmaid’s Tale»: In diesem zehnteiligen Fernsehdrama nach dem Roman von Margaret Atwood übernehmen fundamentalistische Christen die Macht und errichten einen Gottesstaat namens Gilead.

Horror im Gottesstaat: Trailer zu «The Handmaid’s Tale», 2017.

Margaret Atwood, die kanadische Schriftstellerin, hatte «The Handmaid’s Tale» bereits 1985 verfasst – in den Reagan-Jahren, als christliche Prediger starken Einfluss auf die amerikanische Politik gewannen. Dass die neue Verfilmung als Kommentar zu unserer heutigen Zeit wirkt, ist klar. «Wir haben geschlafen. So liessen wir es geschehen»: So lauten die Eingangssätze der Heldin von «The Handmaid’s Tale». «Als sie das Parlament zerstörten, wachten wir nicht auf. Als sie überall Terroristen verdächtigten und die Verfassung aufhoben, wachten wir nicht auf.»

Die «Alternate History»-Projekte, das zeigt sich hier besonders gut, können immer auch als Warnung dienen. Jedes Mal stellen sie ihr Publikum vor eine kleine moralische Prüfung: Wer wärst du unter den Nazis? Auf welcher Seite stündest du, wenn die Konföderierten gewonnen hätten? Was tust du, wenn die Religiösen zurückkehren?

Am Ende geht es immer um die Freiheit. Vermutlich ist der Erfolg solcher Werke ein starkes Anzeichen dafür, wie sehr wir uns langsam um diese Freiheit sorgen.

12 Kommentare zu «Fake History: Wenn die Falschen den Krieg gewinnen»

  • Rolf Zach sagt:

    Na, es sind nicht nur die Rechten, die da träumen, wenn die Ereignisse sich ein klein wenig verändert hätte, wäre dann die Geschichte zu ihrem Gunsten entwickelt worden. Auch in Russland wird Stalin nachgetrauert, mit der Unterstützung sogar von dem eigentlich gar nicht kommunistischen Putin, der aber der glorreichen Weltmacht Sowjetunion nachtrauert. Ebenso in China, wo anscheinend Mao wieder im Ansehen zunimmt, obwohl er der Verantwortliche für die grässliche Kulturrevolution war. Es gibt da wieder Leute, die glauben unter Mao waren die Dinge gerechter und die Korruption weniger.
    Wir müssen unterscheiden, kommen solche Interpretationen von Leuten, die sich als Verlierer fühlen oder von Leuten, die objektiv schreiben, dass es wenig gebraucht hätte und die Sache wäre anders gekommen.

  • David Rovere sagt:

    Schade, dass diese durchaus interessanten und diskussionswürdigen „Was-wäre-wenn“ Ueberlegungen zu „Fake-History“ degradiert werden.

    Wer sich abseits von Fernsehserien und Verschwörungstheorien für dieses Thema interessiert, dem sei das Buch „Virtuelle Geschichte: Historische Alternativen im 20. Jahrhundert“ des britischen Historikers Niall Ferguson empfohlen. Die bessere englische Originalausgabe bezieht sich nicht nur auf das 20. Jahrhundert.
    Der Autor erklärt darin auch, wieso für bestimmte Geschehnisse keine Alternative möglich ist (Bsp. Eintritt der USA in den 1. Weltkrieg).

    Wenn man betrachtet, wie unglaublich wenig manchmal dazu führte, dass es so gekommen ist wie es gekommen ist, so kann ein wenig Demut in Sachen Menschheitsgeschichte nicht schaden.

  • Daniel Briner sagt:

    Fake History, also das haben wir ja gerade mit der 100-Jahre russische Revolution Ausstellung und den Vorträgen im Landesmuseum erlebt, was uns da die UNI-Professoren aus Zürich, Basel und Bern so weggelassen haben bzw. einfach die sozialistische Propagandaversion wiedergaben war schlicht nur unerträglich. Wer sich diesbezüglich richtig schlau machen will, dem empfehle ich sehr den Vortrag von Frau Dr. Elisabeth Heresch, Wien „Hundert Jahre Revolution – Mythos und Wirklichkeit“, Montag 25. September 2017, ab 18:00 H, Hotel St. Gotthard, Bahnhofstrasse 87, 8001 Zürich; Eintritt Fr. 60.- / Studenten gratis.

    • SrdjanM sagt:

      Ja, die geheimnisvolle Frau Dr.phil. Elisabeth Heresch, die so plötzlich und aus dem nichts exklusiven Zugriff auf zuvor unbekannte Dokumente und Quellen erhalten hat, etwas was auch etablierten Geschichtswissenschaftlern nach jahrelangen Mühen nicht möglich war.
      Ganz passend, fing etwa um die gleiche Zeit auch die grossangelegte staatliche Lobhudelei des russischen Zarenreiches.

      • Daniel Briner sagt:

        @SrdjanM: In Ihrem Kommentar lese ich so grad nur eine Kombination von Feigheit, Missgunst und Hinterhältigkeit;
        Was ist denn so geheimnisvoll an Frau Dr. Heresch?
        Haben Ihre angeführten „etablierten Geschichtswissenschaftlern nach jahrelangen Mühen nicht möglich war“ gar einen Namen?
        Wessen „grossangelegte staatliche Lobhudelei des russischen Zarenreiches“?
        Nun gut, gehen Sie doch einfach an diesen Vortrag, da können Sie anschliessend sogar Fragen stellen, auch Dümmliche.

  • Daniel Wigger sagt:

    Es ist keineswegs ein Vorrecht der Rechten, die Geschichte in „Was wäre wenn?“ umzuschreiben. Orwell in 1984 tat genau das gleiche. Die Mehrheit der Drehbuchschreiber haben sicher nicht Sympathie im Sinn, wenn sie eine Welt in Diktatur sehen, sondern schreiben es als eine Warnung. Schliesslich läuft es uns allen kalt den Rücken herunter, wenn wir diese Plots studieren.

  • Michael sagt:

    Das sind durchaus interessante Gedankenspiele. Schade das man das scheinbar nur vermehr rückwärts gerichtet macht – was wäre, wenn Hitler oder die Südstaaten gewonnen hätten.
    Nett, aber bringt uns das weiter. Viel interessanter wären doch die nach vorn gerichteten Gedankenspiele – wie sähe die Welt aus, wenn es statt der zentralen Energieerzeugung durch KW jeder sein Solarpanel auf dem Dach hätte. Oder wenn es das bedingungslose Grundeinkommen geben würde ? Oder eine Einheitskrankenkasse ?

  • André Hafner sagt:

    Kleiner Fehler: In Turtledove’s Serie ist das Deutsche Reich nicht mit den Südstaaten, sondern mit den Nordstaaten alliert und gewinnt so den ersten Weltkrieg. Und während Hitler nur eine Nebenrolle hat, kommt in den Confederate States nach dem verlorenen ersten Weltkrieg ein Sergeant in seinem Stil an die Macht, komplett mit Genozid-Plänenen gegen die schwarze Bevölkerung.

  • Hanspeter Fischer sagt:

    Sie schreiben es. Ich bin pessimistisch, es kommen jetzt tatsächlich die
    Falschen ans Ruder.

  • Derrer sagt:

    Ähnliches existiert ja ich im Bereich SF- und Fantasy-Literatur …

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