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  • Wie auf einer Party, zu der man nicht eingeladen ist.

  • Die Aare, ein Tümpel.

  • Auf der anderen Seite der Brücke: die gemischte Liegewiese.

  • Zutritt nur für Männer – doch man kann auch verzichten.

Das Geisterbad

Zentral und doch irgendwie vergessen: Die Männerbadi im Marzili ist ein Ort, den man normalerweise nicht besucht. Weshalb, wird bei einem Besuch schnell klar.

Im Rahmen des grossen Badi-Reports genoss das Marzilibad kürzlich grosse Aufmerksamkeit. Ein blinder Fleck blieb dabei aber bestehen: Die Männerbadi am äussersten Zipfel der Badeanstalt.

Sie ist einer dieser Orte, an denen man gemeinhin schnell vorbeigeht und wenn möglich nicht hinschaut. Das war schon in Kinderjahren beim Badibesuch mit meiner Mutter so, die mich jeweils schnell daran vorbeizog und in mir die Fantasie schürte, dass sich hinter der Absperrung wohl so etwas wie ein Garten voller Monster verbergen müsse.

Fünfzehn Jahre später hat sich daran nicht viel geändert. Die Fantasie ist zwar nicht mehr gar so lebhaft, am Umstand der gewissenhaften Ignoranz des Abteils ändert sich dadurch aber nichts. Es würde sich schlicht nicht lohnen, vor seinen Freunden mit einem Besuch zu prahlen. Die Männerbadi ist quasi ein Unort. Weshalb aber?

Ich beschliesse, den Vorurteilen auf den Grund zu gehen und einen Besuch zu wagen. Die Verhältnisse scheinen gut, warm, wenig Leute, das heisst, wenig Leute die ich kennen könnten. Und doch. Beim Betreten kommt es schon, dieses flaue Gefühl im Magen. Ein akutes Unwohlsein kündigt sich an, ein sehr hartnäckiges Unwohlsein, dass mich bis zum Verlassen der Anstalt begleiten wird.

Es beginnt mit all den Blicken. Mein Erscheinen wird von einer Vielzahl wachsamer Augen verfolgt. Auch nach dem Aufsuchen eines entfernten Winkels und dem ruhigen, souveränen Ausrollen des Badetuchs ändert sich das nicht. Ich merke schnell: Ich bin fremd hier.

Es hat nicht nur mit dem Durchschnittsalter zu tun, das ich wohl um einige Jahrzehnte senke. Es ist viel mehr das Gefühl, das man an einer Party erhält, zu der man nicht eingeladen ist. Die alten Männer scheinen sich alle zu kennen. Sitzen, sprechen kaum. Und immer wieder blickt einer rüber zu mir. Das leichte Unwohlsein entwickelt sich zu einer leisen Paranoia.

Verstärkt wird dies durch die offene Sicht auf die andere Seite der Brücke, auf die gemischte Liegewiese. Was, wenn mich doch jemand sieht, den ich kenne? Im schlimmsten Fall eine Freundin? Ich wage mir nicht auszumalen, was sie von mir denken könnte. Ihr verwunderter Blick: Was macht denn der dort drüben? Hat er etwa Angst vor Frauen?

Ich fühle die beobachtenden, alle Energie aufzehrenden Blicke nun von jeder Seite. Weshalb nur gibt es da keinen besseren Zaun hin zur gemischten Liegewiese? Und wann hören endlich alle die Blicke von der anderen Seite her auf?

Ich entschliesse mich als Ablenkungsmanöver zu einem Bad in der Aare. Doch auch die vermag mein Unwohlsein nicht zu vermindern. Sie liegt hier, ohne Strömung und von Schilf umgeben, nur mehr als trüber, seichter Tümpel vor mir.

Der Beschluss steht danach ziemlich rasch: Dieser Ort ist nichts für mich. Das Tuch wird eingerollt, der Platz geräumt, ich flüchte mich auf die Strasse. Ab jetzt heissts wieder Lorrainebad.

David Streit

David Streit begibt sich auf Entdeckungsreisen in seiner Heimatstadt: Hinter den verschlossenen Türen der Bundesstadt erforscht er Winkel, die der Öffentlichkeit normalerweise verborgen bleiben.


Publiziert am 13. Juni 2014

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