schliessen

Deckel drauf

Etwas zögerlich, aber doch sichtbar, versuchen Liebespaare einen internationalen Brauch in Bern beliebt zu machen: Sie hängen als Zeichen ihrer ewigen Treue ein Vorhängeschloss an die Brücken. Um dann von der Stadt schnöde sabotiert zu werden.

Seit der verknöcherte Gymnasiallehrer Gregorius in Pascal Merciers «Nachtzug nach Lissabon» auf der Kirchenfeldbrücke die Bekanntschaft einer verstörend wortkargen Portugiesin gemacht und anschliessend sein Leben gehörig umgekrempelt hat, ist es auch in den Bestsellerlisten festgehalten: Auf Berner Brückenbauten geschehen schicksalhafte Dinge. Seit Kurzem nun gefällt es den Bernerinnen und Bernern, auf der Kornhausbrücke einem symbolträchtigen Zeremoniell zu frönen. Sie befestigen als Zeichen ihrer ewig währenden Zuneigung kleine Vorhängeschlösser an der Kornhausbrücke, manchmal mit Initialen und Datum versehen.

Mit dem Einzug dieses Brauchs ist Bern ein kleines Stück internationaler geworden, schliesslich hängen an den Brücken Italiens schon seit Jahren massig Liebesschlösser, eine römische Laterne auf der Ponte Milvio soll unter der Last des ganzen Messings gar mal umgeknickt sein wie ein Zahnstocher. Es ist aber auch bestechend: Da ist die Brücke, dieser uferverbindende, völkervereinende Geniestreich der Architektur, und da sind die zwei Menschen, vor Liebe ganz närrisch, und wollen den Deckel draufmachen auf dieses Glück. Den Schlüssel werfen sie nachher in einem Akt feierlicher Endgültigkeit ins Gewässer.

Nun waren die Bernerinnen und Berner nicht etwa zu bindungsscheu oder besonders trendresistent, dass sie nicht schon längst, wie alle Kölner, Grazer und Lyoner im Umland, damit begannen, den italienischen Brauch zu imitieren und Schlösser aufzuhängen. Dass so lange keine Schlösschen prangten an den Berner Brückenbrüstungen, liegt schlicht an der währschaften Physiognomie der Berner Brücken: Kein Vorhängeschloss der Welt hätte einen genügend grossen Schliessbügel gehabt, um das Gestänge der Kirchenfeldbrücke zu umfassen, von der Lorrainebrücke gar nicht zu sprechen, die ist in dieser Hinsicht ein hoffnungsloser Fall. Erst seit 2011 die Sicherheitsnetze auf der Kornhaus- und Kirchenfeldbrücke aufgestellt sind, hat sich das Blatt gewendet: Die Drahtmaschen sind dünn genug für das Ansinnen der Liebespaare.

Der aufmerksame Flaneur wird aber festgestellt haben, dass sich an den Berner Brücken noch keine Schlossschwärme gebildet haben. Sogar, dass sich ein in Bern kürzlich noch entdecktes Schloss über Nacht in Luft auflösen kann. Das trifft zu, ist aber kein Grund zur Sorge: Dahinter steckt kein aufgelöstes Liebesverhältnis, sondern die Stadt Bern: Aus Sicherheitsgründen lasse das Tiefbauamt regelmässig die Schlösschen abzwacken, ist aus dem städtischen Informationsdienst zu erfahren. Der Grund: Rostende Schlösser könnten das Netz schädigen oder in der kiloweisen Ballung die Statik beeinträchtigen.

Ob sich diese Praxis ungünstig auf die jeweilige Verbindug auswirkt, ist nur zu erahnen. So oder so plädieren wir hier für etwas Nachsicht mit den paarungslustigen Trendsettern vonseiten der Stadt: Romantik ist schliesslich nie ganz ohne Risiko zu haben.

Hanna Jordi

Hanna Jordi lebt in Bern seit 1985. Etwas anderes hat sich bislang nicht aufgedrängt.


Publiziert am 8. Oktober 2012

4 Kommentare

Alle Kommentare zeigen

Verbleibende Anzahl Zeichen:

Die Redaktion behält sich vor, Kommentare nicht zu publizieren. Dies gilt insbesondere für ehrverletzende, rassistische, unsachliche, themenfremde Kommentare oder solche in Mundart oder Fremdsprachen. Kommentare mit Fantasienamen oder mit ganz offensichtlich falschen Namen werden ebenfalls nicht veröffentlicht. Über die Entscheide der Redaktion wird keine Korrespondenz geführt.